Volksabstimmungen auf Bundesebene möglich und notwendig - Verblüffende Ergebnisse eines Studienprojekts

Am 12. November hat der Deutsche Bundestag erneut über einen Gesetzentwurf, diesmal von der Fraktion DIE LINKE, zur Durchführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene abgestimmt. Erwartungsgemäß wurde der Antrag von den anderen Fraktionen abgelehnt oder durch Stimmenthaltung praktisch abgewiesen.
Von Marianne Grimmenstein
Jedoch gerade durch diese breite Ablehnung eröffnet der Bundestag dem Volk ganz neue Perspektiven zur Durchführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene.
 
Ein laufendes bundesweites Studienprojekt untersucht im Auftrag eines bundesweiten Netzwerks (www.netzwerkvolksentscheid.de), das sich für Volksabstimmungen auf Bundesebene einsetzt, gerade die Ursachen dieser immer wiederkehrenden Ablehnung des Bundestages hinsichtlich der Durchführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene und ist dabei jetzt schon auf verblüffende Ergebnisse gekommen. Deutschland hatte nämlich schon mindestens eine Volksabstimmung nach dem zweiten Weltkrieg unter dem jetzt geltenden Grundgesetz durchgeführt.
Vom Volk selbstorganisierte Volksabstimmung 1951
Im Jahr 1951 hat eine vom Volk selbstorganisierte Volksabstimmung selbstverständlich unter ganz anderen geschichtlichen Voraussetzungen stattgefunden, und es ging dabei um die Remilitarisierung Deutschlands. Damals war Deutschland mit den Konsequenzen des zweiten Weltkrieges konfrontiert, die auch zur Teilung des Landes geführt hatten. An dieser selbstorganisierten Volksabstimmung nahmen über 19 Millionen Deutsche teil. Am 20. April 1951 hatten die Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP und BP eine Interpellation im Deutschen Bundestag eingereicht, um diese selbstorganisierte Volksabstimmung als verfassungswidrig zu erklären und irgendwie zu stoppen. Am 26. April 1951 fand eine Bundestagsdebatte darüber statt. Aus dem Bundestagsprotokoll dieser Debatte geht eindeutig hervor, dass alle Abgeordneten im Prinzip schon der Meinung waren, dass Volksabstimmungen im Rahmen des Grundgesetzes möglich sind. Wie aus dem Text hervorgeht, scheint es so, dass sogar auch welche durchgeführt wurden. Nur in diesem Falle war man dagegen, weil es so schien, dass das von den Kommunisten inszeniert wurde.
 
Die damalige Situation der Abgeordneten war geschichtlich bedingt außerordentlich schwierig. Darum geht es hier aber nicht, sondern nur um die Frage, ob Volksabstimmungen durch das Grundgesetz schon damals gedeckt waren, also wie die damalige Einstellung der Abgeordneten zu diesem Thema war. Es ist Tatsache, dass eine Ablehnung bzw. eine Stoppung dieser selbstorganisierten Volksabstimmung aus irgendwelchen rechtlichen Gründen aus dem Protokoll des Bundestages eindeutig nicht hervorgeht. Die Abgeordneten wussten also damals schon, dass Volksabstimmungen nach dem noch heute gültigen Grundgesetz nicht verboten sind. Ein Verbot der Volksabstimmungen auf Bundesebene steht schließlich nirgends im Grundgesetz, und es ist auch kein Gesetz dazu erforderlich, welches derartige Referenden regelt, denn Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz steht unter keinem Gesetzesvorbehalt. Das Volk hat hier bereits uneingeschränkte Kompetenz. Es scheint auch für die damaligen Abgeordneten ganz klar gewesen zu sein, dass das Volk oberstes Verfassungsorgan ist und die Staatsgewalt vom Volk und durch weitere Organe (Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung) ausgeübt wird, die also neben dem Volk als Verfassungsorgan existieren und nicht anstelle des Volkes.
Die Rolle Deutschlands
Inzwischen hat sich die geschichtliche Lage umfassend verändert. Die Gegensätze zwischen Ost und West haben sich aufgelöst. Deutschland hat sich vereinigt. Die Rolle Deutschlands in der Weltgemeinschaft hat sich stabilisiert. Das heutige Ansehen Deutschlands kann man nicht mehr mit der damaligen Lage des Landes vergleichen. Es sind auch zwei Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen 1977 in Kraft getreten, die die Vertragsstaaten zur Einhaltung des Rechts auf Selbstbestimmung aller Völker verpflichten. Der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte sowie der Internationale Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte erkennen das Selbstbestimmungsrecht der Völker für die Vertragsstaaten bindend an. In beiden Pakten heißt es gleichlautend in Artikel I: „(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“ Nach Artikel 25 Grundgesetz ist das Völkerrecht ein absoluter Bestandteil des Bundesrechts und es steht sogar darüber. Außerdem bestätigen zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1952 (SRP-Verbot Absatz 38) und 30. Juni 2009 (Urteil zum Lissabon-Vertrag Absatz 211 und 212) ganz eindeutig das Selbstbestimmungsrecht des Volkes in personellen Fragen wie in Sachfragen. Beide Urteile bestätigen ganz klar, dass es der elementare Bestandteil des Demokratieprinzips ist.
Das Volk soll und kann selbst entscheiden
Damit Volksabstimmungen auf Bundesebene dauerhaft Realität werden können, sollten lediglich die Verfahrensregeln gesetzlich eingeführt werden. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Bundesländer für Volksentscheide auf Landesebene zeigen, was aus offizieller Sicht für fair gehalten wird. Da Parteien sich zur Einhaltung des Grundgesetzes und des Völkerrechts bekennen, sind sie nach Artikel 21 (1) GG und den Menschenrechtspakten von 1977 verpflichtet, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten. Die Bürger/innen müssen nämlich selbst entscheiden können, was sie in den jeweiligen Ebenen für fair halten, sprich: welche Regelungen sie sich selbst geben wollen. Letztlich sind sie in der Verantwortung für alle demokratischen Staatsgebilde, in denen sie sich bewegen. Darum sollten für die Bundesebene mehrere Alternativen für die Bürger/innen zur Diskussion und zur Auswahl stehen, bevor sie selbst darüber abstimmen. 
Zwei Fragen an die im Bundestag vertretenen Parteien
Aus den oben genannten Gründen sollten die im Bundestag vertretenen Parteien also gar kein Gesetz zum Verfahren über Volksabstimmungen verabschieden. Das ist eindeutig die Sache des Volkes. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Parteien der Souveränität und damit auch dem Selbstbestimmungsrecht des Volkes die höchste Achtung erweisen müssen. Es scheint ihnen auch bewusst zu sein, dass sie ihren Willen nicht mit dem Willen des Volkes gleich oder sogar an dessen Stelle setzen dürfen. Um diese Tatsachen zu überprüfen, wurden alle im Bundestag vertretenen Parteien gerade durch das erwähnte Studienprojekt am 15. November angeschrieben. Es wurden Hermann Gröhe, Volker Kauder und Alexander Dobrindt von CDU und CSU, Walter Steinmeier und Andrea Nahles von der SPD, Birgit Homburger und Christian Lindner von der FDP, Steffi Lemke, Renate Künast und Jürgen Trittin von Bündnis 90/Die Grünen, Gesine Lötzsch, Klaus Ernst und Gregor Gysi von DIE LINKE höflichst gebeten, im Namen ihrer Partei zu den folgenden Fragen - möglichst bis zum 22. Dezember 2010 - Stellung zu nehmen:
 
1.) Wenn das Volk in Deutschland nochmals eine Volksabstimmung im ganzen Land selbst organisieren würde, würde Ihre Partei ihre Aufgabe nach Art. 21 (1) GG und den Menschenrechtspakten von 1977 voll erfüllen und das Volk dabei unterstützen?
 
2.) Würde Ihre Partei das Selbstbestimmungsrecht des Volkes über seinen politischen Status und sein Recht zur freien Gestaltung seiner wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung voll achten?
Die Realität der Volksgesetzgebung
Nach geltendem deutschem Verfassungsrecht bzw. Grundgesetzrecht gibt es kein deutsches Recht, das dem Zugriff des deutschen Souveräns - des Volkes - entzogen wäre. Denn das Volk übe seine Staatsgewalt aus, in dem es Recht setze und vollziehe. Recht (im rechtswissenschaftlichen Sinne gemeint) sei daher nicht Voraussetzung und Grenze der Souveränität des Volkes, sondern Ausdruck und Folge seiner Souveränität und Medium in dem die Souveränität sich entfalte. Das Volk sei daher im Prinzip nicht einmal an einer Neuschaffung der Verfassung gehindert (Quelle: wikipedia/Volkssouveränität).
 
Der Bundestag bestätigte dies der Verfasserin bereits 1997 in einem Schreiben, „dass (neue) Verfassungsgebungen jederzeit möglich sind, ohne dass es hierzu besonderer konstitutioneller Ermächtigungen bedürfte“. Denn: „Es entspricht ja dem Grundsatz der Volkssouveränität“. Wenn die Parteien bereit sind, die Bestimmungen der beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen weiterhin voll zu erfüllen, indem sie „die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung“ des Volkes fördern und dieses Recht voll achten, können wir damit rechnen, dass sie den in der Frage 1 erwähnten Vorgang voll unterstützen würden. Das Volk ist der Souverän, und Volksabstimmungen werden nicht umsonst auch als Volksgesetzgebung bezeichnet. Es ist also ausschließlich die Sache des Volkes - ebenso wie eine Verfassungsgebung. Die Parteien können dabei lediglich unterstützend mitwirken. Die laufende Anfrage wird klären, ob die Parteien in Deutschland bereit sind, die Bestimmungen des Grundgesetzes und des Völkerrechts weiterhin einzuhalten.
 
Unsere Gesellschaftsstruktur funktioniert eindeutig nicht mehr. Wir müssen gemeinsam ein neues Modell entwickeln. Unsere Zukunft wird nicht unseren Wünschen entsprechen, wenn wir nichts dazu beitragen. Ihre Kreativität und Ihr Engagement sind gefragt! (PK)
Marianne Grimmenstein im www.netzwerkvolksentscheid.de
Die Musiklehrerin ist seit etwa 15 Jahren Mitglied in dem gemeinnützigen Verein „Mehr Demokratie“, dessen Mitteilungen die NRhZ schon seit Jahren gelegentlich veröffentlicht. Außerdem ist sie aktiv in dem bundesweiten Netzwerk www.jetzt-helfen-wir-uns-selbst.de, wo neue Lösungskonzepte für Probleme der Gesellschaft ausgearbeitet werden, eine der Hauptinitiatoren des Internetparlaments www.iparlament.de und hat 2008 das Buch „Quo vadis Deutschland? – Was sich ändern muss“ im STENO-Verlag herausgegeben.

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