Vogelfrei

„WIR HABEN DOCH NUR BEFEHLE BEFOLGT!“ Bis heute der Lieblingssatz der meisten Täter, wenn sie ihren damaligen Opfern gegenüber stehen.
Zwei Stunden wartete Thomas bereits auf seinen Freund Achim, mit dem er an diesem Abend am Busbahnhof Lütten Klein, ein Stadtviertel von Rostock verabredet war. Sie hatten sich lange nicht gesehen und wollten nun endlich mal wieder etwas gemeinsam unternehmen.
Ein Treffen, auf das sich Thomas schon seit Tagen freute. Und das nicht nur, weil er schon seit längerer Zeit nicht mehr raus gekommen war, sondern viel mehr, weil es, seit er einen Ausreiseantrag gestellt hatte, nicht mehr viele Freunde gab, die sich mit ihm abgeben wollten.
Denn für die meisten von ihnen war Thomas ein Verräter. Einer von denen, der die, die ihm eine Schulbildung und eine Ausbildung ermöglicht hatten, mit Dreck bewarf. Ein Nestbeschmutzer, der es nicht mehr verdiente, von ihnen beachtet zu werden.
Verständlich also, dass Thomas, statt des Wartens überdrüssig nach Haus zu gehen, sich immer wieder einredete, dass sich sein Freund Achim nur aus dem Grunde verspätete, weil ihm etwas dazwischen gekommen war. Dass er statt irgendwann aufzugeben, dort blieb, wo er war und weiter wartete.
Er hätte besser daran getan, der Vernunft zu folgen und das Warten aufzugeben. Doch woher sollte er ahnen, was ihm an diesem Abend noch alles bevor stehen sollte? Woher sollte er wissen, welche Folgen seine Geduld noch haben würde?
Nein. Von alledem ahnte er nichts. Auch nicht, als Thomas plötzlich, während er noch, vorbei an ein paar Bänken und einem mit Fahrrädern voll gestellten Fahrradständer auf und ab ging, im Scheinwerferlicht eines Polizeiwagens stand. Einem Streifenwagen der deutschen Volkspolizei, der leise und von ihm unbemerkt heran gerollt war und ihn nun mit seinem Fernlicht blendete.
Es war eine Situation, wie sie Thomas schon unzählige Male erlebt hatte. Eine von diesen Kontrollen, in denen ein Streifenwagen entweder neben, hinter oder vor ihm anhielt und man ihn aufgeforderte, sich auszuweisen und zu erklären, was er an dem Ort, an dem er sich gerade aufhielt, zu suchen hatte. Eine Kontrolle also, von der er sich sicher war, dass sie schnell wieder vorüber gehen würde.
Ein Irrtum, wie sich sehr bald heraus stellen sollte. Denn diese Kontrolle verlief anders, als die, die er zuvor über sich ergehen lassen hatte. Als er noch einen normalen Ausweis besaß. Als man ihn noch nicht mit einem PM12, ein Ausweisdokument, das seinen Träger nicht nur als "politisch nicht tragbaren" DDR-Bürger kennzeichnet, sondern das ihn gegenüber jedem Beamten und jedem Polizisten als vogelfrei erklärte, gebrandmarkt hatte.
Ja. Thomas war nun vogelfrei. Und das ließ man ihn an diesem Abend mehr als deutlich spüren. Als man ihn mit Gewalt ins Auto zerrte, in dem man ihm nicht nur vorwarf, eines der im Fahrradständer stehenden Räder stehlen zu wollen, ein Vorwurf, der natürlich völlig aus der Luft gegriffen war, sondern in dem man ihn, jedes Mal, wenn er diesen von sich wies, mit brutaler Gewalt ins Gesicht schlug.
Eine Alptraum, der eine ganze Stunde dauern sollte. Der aber nicht damit endete, dass man Thomas wieder frei ließ, sondern damit, dass man ihn auf das nächstliegende Revier verschleppte, um dort mit dem Verhör und den Misshandlungen fortzufahren.
*
Thomas, dessen einzige Schuld darin bestand, als freier Mensch leben zu wollen, wurde damals in einem Schnellverfahren wegen des Verdachtes der Vorbereitung eines Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten verurteilt, die er, bis zum letzten Tag im Strafvollzug Bautzen verbrachte.
Er lebt heute als freier Kolumnist in den USA, wo er für ein New Yorker Tageblatt seine Geschichten schreibt.
**
Diese Geschichte beruht auf eine wahre Begebenheit. Sie ist im Jahre 1986 geschehen.
Alle hier beschriebenen Namen wurden geändert.Füge eine Bildunterschrift hinzu„WIR HABEN DOCH NUR BEFEHLE BEFOLGT!“ BIS HEUTE DER LIEBLINGSSATZ DER MEISTEN VERBRECHER, WENN SIE VOR IHREN DAMALIGEN OPFERN STEHEN. Von einem dieser Opfer möchte ich Euch heute erzählen. Vogelfrei Zwei Stunden wartete Thomas bereits auf seinen Freund Achim, mit dem er an diesem Abend am Busbahnhof Lütten Klein, ein Stadtviertel von Rostock verabredet war. Sie hatten sich lange nicht gesehen und wollten nun endlich mal wieder etwas gemeinsam unternehmen. Ein Treffen, auf das sich Thomas schon seit Tagen freute. Und das nicht nur, weil er schon seit längerer Zeit nicht mehr raus gekommen war, sondern viel mehr, weil es, seit er einen Ausreiseantrag gestellt hatte, nicht mehr viele Freunde gab, die sich mit ihm abgeben wollten. Denn für die meisten von ihnen war Thomas ein Verräter. Einer von denen, der die, die ihm eine Schulbildung und eine Ausbildung ermöglicht hatten, mit Dreck bewarf. Ein Nestbeschmutzer, der es nicht mehr verdiente, von ihnen beachtet zu werden. Verständlich also, dass Thomas, statt des Wartens überdrüssig nach Haus zu gehen, sich immer wieder einredete, dass sich sein Freund Achim nur aus dem Grunde verspätete, weil ihm etwas dazwischen gekommen war. Dass er statt irgendwann aufzugeben, dort blieb, wo er war und weiter wartete. Er hätte besser daran getan, der Vernunft zu folgen und das Warten aufzugeben. Doch woher sollte er ahnen, was ihm an diesem Abend noch alles bevor stehen sollte? Woher sollte er wissen, welche Folgen seine Geduld noch haben würde? Nein. Von alledem ahnte er nichts. Auch nicht, als Thomas plötzlich, während er noch, vorbei an ein paar Bänken und einem mit Fahrrädern voll gestellten Fahrradständer auf und ab ging, im Scheinwerferlicht eines Polizeiwagens stand. Einem Streifenwagen der deutschen Volkspolizei, der leise und von ihm unbemerkt heran gerollt war und ihn nun mit seinem Fernlicht blendete. Es war eine Situation, wie sie Thomas schon unzählige Male erlebt hatte. Eine von diesen Kontrollen, in denen ein Streifenwagen entweder neben, hinter oder vor ihm anhielt und man ihn aufgeforderte, sich auszuweisen und zu erklären, was er an dem Ort, an dem er sich gerade aufhielt, zu suchen hatte. Eine Kontrolle also, von der er sich sicher war, dass sie schnell wieder vorüber gehen würde. Ein Irrtum, wie sich sehr bald heraus stellen sollte. Denn diese Kontrolle verlief anders, als die, die er zuvor über sich ergehen lassen hatte. Als er noch einen normalen Ausweis besaß. Als man ihn noch nicht mit einem PM12, ein Ausweisdokument, das seinen Träger nicht nur als "politisch nicht tragbaren" DDR-Bürger kennzeichnet, sondern das ihn gegenüber jedem Beamten und jedem Polizisten als vogelfrei erklärte, gebrandmarkt hatte. Ja. Thomas war nun vogelfrei. Und das ließ man ihn an diesem Abend mehr als deutlich spüren. Als man ihn mit Gewalt ins Auto zerrte, in dem man ihm nicht nur vorwarf, eines der im Fahrradständer stehenden Räder stehlen zu wollen, ein Vorwurf, der natürlich völlig aus der Luft gegriffen war, sondern in dem man ihn, jedes Mal, wenn er diesen von sich wies, mit brutaler Gewalt ins Gesicht schlug. Eine Alptraum, der eine ganze Stunde dauern sollte. Der aber nicht damit endete, dass man Thomas wieder frei ließ, sondern damit, dass man ihn auf das nächstliegende Revier verschleppte, um dort mit dem Verhör und den Misshandlungen fortzufahren. * Thomas, dessen einzige Schuld darin bestand, als freier Mensch leben zu wollen, wurde damals in einem Schnellverfahren wegen des Verdachtes der Vorbereitung eines Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten verurteilt, die er, bis zum letzten Tag im Strafvollzug Bautzen verbrachte. Er lebt heute als freier Kolumnist in den USA, wo er für ein New Yorker Tageblatt seine Geschichten schreibt. ** Diese Geschichte beruht auf eine wahre Begebenheit. Sie ist im Jahre 1986 geschehen. Alle hier beschriebenen Namen wurden geändert.

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