Vietnamesisch- Eine isolierende Sprache

Vietnamesisch kann nach unterschiedlichen Kriterien beeurteilt werden. Drei Charakteristika werde ich in der Folge vorstellen:
- Vietnamesisch ist eine isolierende Sprache.
- Vietnamesisch ist eine Mon-Khmer-Sprache.
- Vietnamesisch ist eine Tonsprache.
Heute werden wir sehen, dass Vietnamesisch eine isolierende Sprache ist. Was bedeutet das?
Linguisten kategorisieren Sprachen anhand ihrer Flexion, d.h. inwiefern sie Wörter verändern ("beugen"). Es gibt Sprachen, wie z.B. Latein, Deutsch und Französisch, die alle Formen beugen (Verben werden konjugiert, Nomina dekliniert). Das macht das Lernen dieser Sprachen sehr schwierig, weil aufwändig. Wer hat nicht beim Lernen von Verbtabellen im Latein- oder Französischunterricht gestöhnt? Andererseits gibt es Sprachen, die dies überhaupt nicht kennen, sie konjugieren nicht, deklinieren nicht, verändern nichts. Sehr einfach zu lernen, weil kaum Formen!
Vier Kategorien werden meist unterschieden:
1) Agglutinierende Sprachen. Agglutinierend heißt so viel, wie anklebend, anhaftend. Diese Sprachen sehen fast aus, als ob sie beugen, aber in wirklichkeit werden nur bestimmte Formen aneinandergefügt. Türkisch, Koreanisch und Japanisch sind Beispiele dieser Sprachen. Da wird munter angefügt, bis das, was man sagen will, erreicht ist. Wahre Wortmonster können da entstehen. Aus japanisch taberu (essen) kann man da tabesaseraremasen deshita machen..., was so in etwa bedeutet, dass jemand mich nicht zum Essen genötigt hat (Kausativ/Passiv)...
2) Flektierende Sprachen: Diese Sprachen beugen einfach wie oben bereits erwähnt. Infinitiv ess.en wird zu ich ess.e, du iss.t (sogar mit Vokaltausch), zu ich aß...Das Lateinische ist da ja der klassische Fall, wobei Sanskrit noch schlimmer ist.Die Zeit der absolut flektierenden Sprachen ist wohl vorbei. Wer mal Latein gelernt hat, weiß, wovon ich rede!
3) Inkorporiende Sprachen (heute vorwiegend als polysynthetische Sprachen bezeichnet: Nicht wirklich meine Spezialität. Sie bilden grammatische Aussagen durch Inkorporation, d.h. durch Infixe, d.h. im Inneren des Wortes finden Veränderungen statt. Viele Inuit-Sprachen gehören dazu.
4) Letztendlich die isolierenden Sprachen: Hier existiert keine Veränderung der Wörter und Silben. Grammatische Funktionen werden einerseits durch andere Wörter übernommen, oder direkt aus der Stellung im Satz erschlossen. Chinesisch gehört dazu und natürlich auch das Vietnamesische - allerdings ist die Isolation wohl im Vietnamesischen erst später entstanden. Einen Trend zur Isolation finden wir im Übrigen auch im Englischen: I go, you go, we go, you go, they go. Lediglich in der 3. Person Singular ist sie noch erhalten, die Flexion: he goes. Man erinnere sich mal an Shakespeare: thou goest....Im Deutschen gibt es ja auch ähnliche Ansätze "Wenn ich Aldi geh..."
Wie sieht das denn nun genau aus? Vergleichen wir mal einige Verben:
Flektierend (Deutsch und Latein)
sehen (Infinitiv) videre
ich sehe (1. Pers. Sg. Präsens) video
du siehst (2. Pers. Sg Präsens) vides
ich sah (1. Pers. Sg. Präteritum) videbam
du sahst (2. Pers. Sg. Präteritum) videbas
Auffällig ist, dass das Deutsche trotz eindeutiger Flexionsformen noch Personalpronomina nutzt. Das ist etwas ur-germanisches, das sich in unserer Sprache so erhalten hat. Das Latein benötigt sie nicht. Man kann natürlich ego video sagen, aber es ist unnütz und rhetorisch auch überflüssig. Ansonsten erkennt man aber schon, dass Regelmäßigkeiten vorhanden sind. Jeder Flexionsform ist eine grammatikalisch eindeutige Bedeutung zugeordnet. Video kann nur "ich sehe" heißen und sonst nichts. Ausnahmen gibt es natürlich schon
Agglutinierend
Wir hatten ja oben schon das Beispiel für agglutinierende Sprachen. Aber weil es so schön ist, hier nochmal alle Formen im Japanischen:
mimasu
mimasu
mimashita
mimashita
Sieht gleich aus? Ist es auch. Das Japanische kennt eben diese Flexion in unserem Sinne nicht. Ich habe mir mal ein Buch gekauft "501 Japanese Verbs", mit Verbtabellen. Da steht dann seitenweise dasselbe. Das Japanische erschließt aus dem Kontext, wer was tut. Die Silbe mi- ist dabei Bedeutungstragend (Lexem) und heißt "sehen". Das -mas.- kennzeichnet eine mittlere Höflichkeit, eine Art Sie-Ebene oder leichte Vertrautheit. Und das -u schließlich zeigt mir, dass wir im Präsens sind. Demzufolge kann mimasu theoretisch alles von der 1.Pers. Sg bis 3. Pers. Plural heißen (in der Praxis ist es allerdings komplexer!). Bei der Vergangenheit genauso: mi (sehen) + mashi (leichte Höflichkeit) + ta (Vergangenheit). Und an diese Formen könnte ich jetzt durchaus noch andere Dinge anfügen...
Nun zu den Isolierenden Sprachen (Chinesisch und Vietnamesisch)
nehmen wir mal das Verb jian1 (1 bezeichnet den Ton)
wo3 jian1 tôi xem
ni3 jian1 anh...xem
wo3 jian1 le tôi đã xem rồi
ni3 jian1 le anh đã xem rồi
Chinesisch und Vietnamesisch funktionieren gleich: Gleichrangige Wörter werden nebeneinander gestellt.
Man muss das Ganze jetzt noch nicht wirklich verinnerlicht haben. Man muss aber verstehen, dass Vietnamesisch eben eine vollkommen andere Struktur hat. Aussagen, die im Deutschen einfach mittels Flexion gemacht werden, müssen im Vietnamesischen analytisch gemacht werden: Person + Verb + Aspekte. Später werden wir darauf zurückkommen.

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