Vielleicht mal einer ohne Geldbeutel

Jetzt ein Befreiungstheologe. Jetzt einer, der die Bibel von der Lebenserfahrung der Armen her auslegt. Jetzt ein Südamerikaner, der die Favelas kennt, die imperialistischen Versuche des Neoliberalismus, die Ausbeutung von Ressourcen zuungunsten derer, die über oder neben diesen Ressourcen darben.
Man darf freilich nicht glauben, dass der dann die Welt verändert. Aber als moralisches Regulativ könnte er dienen, als sittliche Instanz in einer Welt der Krämer und Händler. Jetzt einer, der einen Syllabus Errorum formuliert, wie weiland einer seiner Vorgänger. Nur dass er darin den Neoliberalismus als einen Irrweg aufnehmen sollte, als die unerträgliche Arroganz, Menschen zu verzwecken und zu Warenwerten aus Fleisch und Blut zu machen. Jetzt einer, der nach Lesart der Befreiung, die organisierte Religion nicht als Feigenblatt irdischer Gewalten missbraucht, sondern als Unterstützer der Armen, als Stimme der Entrechteten nutzt.

Eine Prophezeiung des Malachias soll lauten, dass der 266. Papst (er zählt einen heute nicht mehr anerkannten Papst mit) nur relativ kurz im Amt sein werde - nach ihm komme nichts mehr, ende die Katholische Kirche. Nach dem eitlen Theologen, der jetzt abtritt, soll als keiner mehr kommen. Wer sagt denn, dass man diese Prophezeiung nicht dazu nutzen könnte, mit einer Katholischen Kirche, wie es sie seit Jahrtausenden gibt und wie sie Stück für Stück vor die Hunde geht, zu brechen, um einen neuen Stil zu ermöglichen, eine Kirche, die sich als Organ der globalen Armut versteht und gegen die 0,01 Prozent in Stellung geht?
Umberto Eco berichtet in Der Name der Rose bildreich von Streit derer, die Jesus mit Geldbeutel sahen und denen, die ihn bar der Möglichkeit des Geldsammelns sehen wollten. Kurie gegen Minderbrüder. Reich gegen arm. Diese Option haben die Kardinäle erneut. Wollen sie nochmal einen Reaktionär, der den Exorzismus unterstützt und als Pfeiler der Kirche anerkennt? Oder dann doch lieber einen, der die Probleme dieser Welt nicht in Phantasiekonstrukten wie Linksruck und dergleichen sieht, sondern im beschleunigten Kapitalismus?
Katholische Kirche Seit' an Seit' mit linken Bewegungen? So ein Wahnsinn, nicht wahr? Ich habe Leser, die sich christlich nennen und deshalb Die Linke wählen. Böll war Katholik und engagierte sich aus diesem Grunde sozial. Wie viele andere hoffte er stets, dass der Katholizismus seiner sozialen Verantwortung nicht nur in Fürsorgeeinrichtungen, sondern auf der politischen Bühne, Nachdruck verleihen würde. Der scheidende Papst hat jedenfalls die historische Chance verstreichen lassen, als deutscher Papst ein Europa unter Kuratel deutscher Tugendhaftigkeit lauthals zu verurteilen. Die Befreiungstheologie Südamerikas gilt als eine Wurzel des südamerikanischen Linksrucks, als Inspiration des Bolivarismus. Leute wie die beiden Boffs haben sich nicht trotz ihres Glaubens sozialistischen Projekten genähert, sondern gerade wegen ihres Glaubens.
Man darf kein Hohelied auf den sozialen Katholizismus anstimmen. Zu viel hat er versaut, seine Päpste waren alte, phantasielose Männer, die die Erscheinungen der Welt mit einer Theologie aus Augustinus' Zeiten beantworteten. Und auch die Befreiungstheologie ist noch immer Theologie, also eine Lehre von Gottes Wort und damit für viele vorab diskreditiert. Aber was könnte ein Katholizismus, der näher an Occupy! ist als an der Wall Street, der sich mehr an leeren Reisschalen und Regelsätzen orientiert als an Bankette und Aufwandsentschädigungen für Aufsichtsräte, denn schaden? Wenn Menschen einen Gott zur Stützung ihres sozialen Gewissens benötigen, dann soll es doch gut sein.
Wenn all die eingepflanzten Lehren des Neoliberalismus, der beständige Wettbewerb von Unternehmen und Angestellten, von Kindern in Schulen und Ärzten vor Ort, die Ich-, Meins- und Das-gehört-mir!-Doktrinen, die Privatisierungswut und die genetisch verbrämte Ungleichverteilung, überhaupt noch erschüttert werden können, dann vielleicht von dieser Instanz, die vielen Menschen immer noch ein wenig Respekt einflösst. Was wäre denn, wenn aus Rom eine Enzyklika über Europa käme, in der diese Entwicklungen gebrandmarkt werden? Und was, wenn ein solcher Papst seine Schwester Angela scharf kritisieren würde? Könnte das nicht Wirkung auf die Menschen haben? Oder spickt der Neoliberalismus in so einem Falle bei Bismarck und entfacht einen neuen Kulturkampf gegen diesen gefährlichen und fast schon sozialistischen Ultramontanismus?
Dem noch amtierenden Papst lobte man konfessionsübergreifend auch, weil er die deutsche Staatskirche des Neoliberalismus, die EKD und ihre Hohepriester, nicht antastete und sich stattdessen auf antiquierte Fragen der Ökumene versteifte. Ein in Befreiungstheologie sozialisierter Papst, der seine Herkunft weiterhin pflegte, würde umgehend die Antipathie der deutschen Öffentlichkeit nach sich ziehen - die Meinungsmache liefe auf Hochtouren. Gründete Angela gleich noch ihre Anglikanische Kirche? Abspaltung von Rom? Ein Papst der Befreiung könnte sie nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen. Aber er könnte sie zwingen, immer unverschämter zu lügen.

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