ARTus-Kolumne »So gesehen« Nr.543
»Der Wahrheit nachsinnen – / Viel Schmerz!«
Der dem Schmerz und der Trauer in seinen Gedichten so oft zugewandte österreichische Lyriker Georg Trakl (1887–1914) hat in seinem Gedicht »Im Schnee«, das er in der ersten Fassung auch »Nachtergebung« nennt, diese zwei heute omnipräsenten Gedichtzeilen als einleitende Metapher des insgesamt nur sechs Verszeilen umfassenden Gedichtes gewählt. Ich kann es nie ohne Betroffenheit lesen.
Der für die DDR überaus wichtige Autor Franz Fühmann, geboren 1922, verstorben an einer Krebserkrankung in Ostberlin 1984, wählte für seine zweibändige Trakl-Werkausgabe, die im Reclam Verlag Leipzig 1981 nur unter Schwierigkeiten erscheinen konnte, gerade diese Zeilen als Bedeutungsklammer für beide Bände. Der auf nur 115 Exemplaren beschränkten Vorzugsausgabe hat Fühmann eigenhändig eine Abschrift des Gedichtes »Im Schnee« beigefügt. Mir liegt das Exemplar mit der Nummer 4 vor und ich lese seit einem mich erschütternden Anruf am frühen Mittwochabend der ersten Novemberwoche, unmittelbar nach einer Lesung von Trakl-Gedichten im Bergener Benedix-Haus, wieder und wieder auch die zwei nachfolgenden Trakl-Zeilen: »Endlich Begeisterung / Bis zum Tod.«
Verfall und Tod, Schwermut und Trauer als zentrale Aussagen eines Dichters, der die Spanne seines nur 27jährigen Lebens und seines Hineingestelltseins in den Untergang des Abendlandes mit seinen menschenfeindlich kriegerischen Attitüden nicht anders mit Worten ausmessen wollte und konnte, sie schienen mir plötzlich mehr als gegenwärtig. Prof. Dr. Karl-Ewald Tietz, der mit der zitierten Begeisterung wie kein Zweiter auf Rügen über die Welt der wichtigen, nicht immer im Fokus ihrer Zeit stehenden Bücher sprach und begehbare Brücken zu potentiellen Lesern zu bauen verstand, erlag nach langem tapferen Kampf der heimtückischen Krankheit Krebs. Also auch er.
Der Verlust ist für viele Rüganer immens und in seiner Tragweite nicht im Ansatz abschätzbar. Vor achteinhalb Jahren widmete ich Professor Tietz eine erste ARTus-Kolumne. Sie sprach von ihm als einen brillanten »Wort-Deuter und damit der Worte Sinn-Sucher, auch dort wo die Worte der Dichter dunkel ausfallen«. Er verstand sie über Jahre einfühlsam zu erhellen! In »seiner« Arndt-Gesellschaft, die ohne ihn so schwer vorstellbar ist. In den Nachrichten aus »LÜLO«, die nun wer bitte zusammenfassen soll? In den »Vier Jahreszeiten« in Binz, wo er Lesungen mit wichtigen Schriftstellern, mit Freunden und seiner Partnerin initiierte, die so gesehen unvergessen bleiben werden.
Er war ein aufmerksamer, kundiger und zudem charismatischer Wortbegleiter, dessen Stimme heute schon fehlt. Karl-Ewald Tietz starb zu Beginn des Trauermonats November. Fast auf den Tag genau mit Georg Trakl. Unfassbar! ARTus
In Erinnerung an Prof. Dr. Karl-Ewald Tietz (1941 – 2011), der am 2. November einem Krebsleiden erlag. Zeichnung: ARTus