Verschwörungstheorien beleuchet: Dichtung und Wahrheit

MIZ413WEIMAR. (fgw) Die Zeitschrift MIZ – Politisches Magazin für Konfessionslose und AtheistInnen – widmet sich in ihrer (erst jetzt erschienenen) Ausgabe 4/13 dem sehr aktuellen Schwerpunktthema “Big brothers are controlling us?” Hierin geht es um allseits grassierende Verschwörungstheorien zwischen Skepsis und Paranoia.

Mit seinem sehr ausführlichen Editorial „Dichtung und Wahrheit” gibt Chefredakteur Christoph Lammers einen profunden Einstieg in das Schwerpunktthema. Bezugnehmend auf die mediale Landschaft schreibt er, daß derzeit „Verschwörungstheorien und Geheimbünde en vogue sind”. Und er beleuchtet auch die Hintergründe, also die Intransparenz vieler politischer Entscheidungen in der globalisierten Welt. Die Bürger würden „regelmäßig und systematisch mit Halbwahrheiten. Legenden und und Lügen getäuscht”, um diese von den realen Zuständen (und Alternativen) abzulenken. Diese Intransparenz habe zu einer Krise der Demokratie geführt. Schlimmer aber noch sei, daß „die Krise der Demokratie zugleich eine Krise der Aufklärung und der Wissenschaft ist.” (S. 2) Deshalb sei es für die MIZ an der Zeit, sich dem „Phänomen der Verschwörung zu nähern”, wobei zwei Gesichtspunkte im Vordergrund stehen sollen: der Glaubens- und der Ausgrenzungsaspekt. Lammers weist darauf hin, daß es Krisenzeiten immer darum gehe, Macht und Einfluß zu erhalten und gesellschaftliche Veränderungen zu verhindern. Verschwörungstheorien seien für die ökonomisch und politisch Herrschenden dafür stets ein probates Mittel. Deshalb gelte es u.a. auch im 21. Jahrhundert, die Aufklärung zu stärken!

Einige ausgewählte Verschwörungstheorien in Vergangenheit und Gegenwart beleuchtet Bernd Harder in seinem Beitrag „Und was haben die Illuminaten damit zu tun?”. Als weitere Stichworte aus seinem Artikel seien hier nur genannt: Lady Gaga, die sogenannte Reichsbürger-Bewegung oder die „Chemtrails”.

„Verschwörungstheorien sind sehr irdisch” meint im nachfolgenden Interview Thomas Grüter, Autor des Buches „Freimaurer, Illuminaten und andere”. Auf die erste Frage von Daniela Wakonigg antwortet er mit einer glasklaren Definition: „Eine Verschwörungstheorie ist im allgemeinen Sprachgebrauch jede Idee, daß Menschen sich heimlich verabredet haben, etwas Böses zu tun, Schaden anzurichten oder ein Verbrechen zu begehen.” (S. 11) Desweiteren geht es im Gesprtäch um die Ursachen dafür, warum Menschen überhaupt an Verschwörungstheorien glauben, welches die „richtigen Rezepte” für das Stricken einer populären Verschwörungstheorie sind und daß es letztlich um diese Devise gehe: „Wir oder sie”, also um eine vereinfachte Weltsicht statt der Untersuchung sehr komplexer Ereignisse. Für Verschwörungstheoretiker gelte: „Unsere Feinde, nicht die Natur oder der Zufall, sind verantwortlich für alles Böse, das uns geschieht. Bekämpfen wir also unsere Feinde, daß alles besser werde!” (S. 13)

Zum Schwerpunktthema paßt auch ein weiter hinten stehender Artikel von Sebastian Bartoschek und Alexa Waschkau: „Auf die Geister, fertig, los!” Hier geht es um das neue Phänomen der Geisterjäger, ausgelöst anno 2004 durch die US-Fernsehserie „Ghosthunter”.

Ein anderes wichtiges Thema behandelt Gunnar Schedel in seinem Beitrag „Gleiches Recht für alle”. Er zieht hier eine erste Bilanz der seit zwei Jahren laufenden Kampagne „Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz” (GerDiA). Diese habe bewirkt, daß das Problem kirchlicher Sonderrechte im Arbeitsrecht endlich in der Politik angekommen sei. Gleich eingangs folgert Schedel daher zu Recht: „Die GerDiA-Kampagne enthielt viele Elemente, die eine moderne Interessenvertretung für Konfessionslose kennzeichnen könnten.” (S. 18) Dies ist – unausgesprochen – eine sehr direkte Aufforderung an säkulare Organisationen wie KORSO, HVD, BfG u.a., sich aktiver und problembezogener in gesellschaftliche Debatten einzubringen.

Der Autor zeigt für eine solche Interessenvertretung, konkret bezogen auf das Arbeitsrecht, vier mögliche Handlungsebenen auf. Und er weist auf ein neues Projekt des IBKA hin, das an diese Kampagne anschließen soll: „…unter dem Slogan ‘One Law For All’ soll eine systematische Übersicht über die derzeit existierenden Privilegien von Religionsgemeinschaften erstellt werden – gewissermaßen als Vorbereitung, diese anschließend eins nach dem anderen abzuschaffen.” (S. 23)

Daß das unbedingt notwendig ist, verdeutlicht Bernd Vowinkel in seiner Polemik zum Koalitionsvertrag von CDU/CSU/SPD, treffend überschrieben mit „Erschreckend rückwärts gerichtet”.

Er zitiert zur Beweisführung dieser Schlußfolgerung ausführlich aus dem der jetzigen Merkel-Gabriel-Regierung zugrundeliegenden Vertrag. Er geht auf solche Behauptungen ein: „Bereicherung durch religiöse Werte” – „Ohne Kirchen bricht das Sozialsystem zusammen!” – „Segnungen des Islam”, letzteres habe nur einen Zweck: Die Privilegien der christlichen Großkirchen zu zementieren.

Er kontert mit solchen Feststellungen:

„Die Behauptung, daß Christen mehr Nächstenliebe empfinden als Nichtgläubige, ist reines Wunschdenken und eine allerdings recht erfolgreich ausgeklügelte Propagandamasche, auf die auch ansonsten eher skeptische Menschen immer wieder hereinfallen. (…) Ohne die christlichen Wohlfahrtsverbände, die fast vollständig von den Steuerzahlern [also der Allgemeinheit; SRK]finanziert werden, wäre unser Sozialsystem wahrscheinlich eher effektiver und vor allem würden deren Mitarbeiter bessere Arbeitsbedingungen und die vollen Arbeitnehmerrechte haben.” (S. 26)

Die Aussagen zum anstehenden Lutherjahr nennt Vowinkel eine „intellektuelle Meisterleistung” bezogen auf das Verdrehen und Verfälschen historischer Tatsachen durch Politik und Kirchenführungen.

Im Koalitionsvertrag heißt es ferner: „Das bewährte Staatskirchenrecht in unserem Land ist eine geeignete Grundlage für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften.”(S. 27)

Vowinkel dazu sarkastisch: „Bewährt hat es sich vor allem für die Amtsinhaber der Großkirchen, die sich auf Kosten der Allgemeinheit ein schönes Leben machen.” Und er hebt hervor, daß es sich bei den sogenannten Staatsleistungen gemäß des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 lt. dessen Textes nur um lebenslängliche Apanagen der seinerzeit entthronten geistlichen Landesfürsten und um ebenfalls lebenslange Pensionen für deren nicht in andere Fürstendienste übernommenen Staatsbeamten gehandelt habe. Vowinkel: „Meines Wissens sind diese Empfänger staatlicher Leistungen aber inzwischen verstorben.” (S. 27)

Die MIZ führte für diese Ausgabe auch ein Gespräch mit Horst Groschopp, dem Ko-Autor des kommentierten Dokumentenbandes über den kurzlebigen DDR-Freidenkerverband, überschrieben mit „Kampfgruppe gegen die Kirchen?” Warum diese Behauptung in die Welt gesetzt wurde, das bringt Groschopp mit diesen Worten zum Ausdruck: „Bis heute wird von interessierten Kräften aus der konservativen Ecke immer wieder – und oft mit Erfolg – der Holzhammer herausgeholt, sobald sich eine freidenkerische Initiative zeigt. Auch auch der HVD kann ein Lied davon singen.” (S. 31/32) Ja, denn jedwede säkularen Bewegungen bedrohen den Allmachtsanspruch des Klerus über Mensch, Gesellschaft und Staat…

Auf aktuelle Entwicklungen in der Türkei geht Arzu Toker ein: „Demokratie à la Erdogan & Co. – begraben wird die Republik”. Ihren Ausführungen kann der Rezensent weitgehend zustimmen, abgesehen von ihrer Verurteilung von Erdogans Unterstützung für die Gaza-Hilfsschiffe. Wichtiger aber sind ihre Zitate aus einer türkischen Zeitung über Erlasse von dschihadistischen Kräften in den von ihnen „befreiten” syrischen Städten. Das sollte sich ein jeder auf der Zunge zergehen lassen, der solche von der Türkei, Saudi-Arabien oder Katar finanzierte Kräfte für Vorkämpfer für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie ansieht…

Drei Rezensionen stellen aktuell erschienene Bücher vor: „Nazi-Jagd. Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen” von Daniel Stahl (Christoph Lammers), „Geist und Kosmos” von Thomas Nagel (Thomas Waschke) und Alfred Binders „Jahwe, Jesus und Allah” (Siegfried R. Krebs).

Nicht fehlen dürfen die Rubriken „Netzreport”, „Zündfunke” und „Internationale Rundschau”. Letztere mit Nachrichten aus Deutschland, Italien, Österreich, Rußland, der Schweiz, Spanien, der Ukraine, den USA, Brasilien, Venezuela, St. Vincent und den Grenadinen, Ägypten, Indonesien, Malaysia, Pakistan, Israel sowie Australien.

Gerade diese Rundschau bereichert den Informationsgehalt einer jeden MIZ-Ausgabe. So schreibt die Redaktion in einer Anmerkung zur Nachricht, daß alle Mitglieder des neuen Merkel-Kabinetts Kirchenmitglieder sind und ihren Amtseid mit religiöser Formel geleistet haben: „Deutlicher hätte die SPD nicht signalisieren können, daß sie mit den Konfessionslosen nichts zu tun haben will.” (S. 51) Auch die tonangebenden Grünen wollen „die Konfessionsfreien außen vor lassen”, stattdessen aber ihre Beziehungen zu anderen Religionsgemeinschaften intensivieren. (S. 52)

Und was Sonntagspredigten über die Nächstenliebe angeht, das wird in einer Nachricht aus München deutlich: „Ebenso wie der Papst haben auch viele Bischöfe zu Weihnachten die Not der Asylbewerber in Mitteleuropa thematisiert und den Staat zum Handeln aufgerufen. Kein einziger Würdenträger zeigte sich aber bereit in die eigene Schatulle zu greifen und wenigstens einen kleinen Teil des Kirchenvermögens für die Flüchtlinge zu opfern.” (S. 52)

Aus Rußland heißt es auf S. 55: „Ministerpräsident Medwedew lehnt eine von religiösen Parlamentariern vorgeschlagene Erwähnung des orthodoxen Christentums in der Verfassung ab. Die Verfassung dürfe keine Religion begünstigen.”

Sehr aufschlußreich ist eine Nachricht aus Malaysia. Dessen Regierung wurde vom„Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt,” kritisiert. Was aber der Mainstream bei solchem Meldungen bewußt unterschlägt, das macht die MIZ-Redaktion mit ihrer Anmerkung deutlich: „Was der UN-Beauftragte für Menschenrechte und Religionsfreiheit in Malaysia (mit Recht) anmahnt, läßt er allerdings für Deutschland nicht gelten. Hier haben es sich die C-Parteien von Anfang an zur Aufgabe gemacht, im Staat ‘religiöse Traditionen’ zu formen und ihnen Vorrang zu verschaffen… Daß Bielefeldt hier mit zweierlei Maß mißt, ist kein Zufall: Er ist ein mit dem Vatikan eng vernetzter katholischer Theologe, der seinen UNO-Posten nicht zuletzt der Diplomatie der Kurie verdankt.” (S. 61/62)

Siegfried R. Krebs

MIZ – das bedeutet Materialien und Informationen zur Zeit. Das Vierteljahresmagazin des IBKA (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten) erscheint seit 1972 und kann beim Alibri-Verlag Aschaffenburg bezogen werden.

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]


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