Gazi-Kasım-Pascha-Moschee, 1543-1546, Pécs, Ungarn.
Eines der wenigen nicht zerstörten Überreste von bis zu
500 Jahren osmanischer Epoche auf dem Balkan.
Nun haben aber viele Migranten aus den Nachfolgestaaten immer noch dieses Feindbild im Kopf, wenn sie im Internet diskutieren. Teilweise noch befördert durch eine Zunahme des Nationalismus auf dem Balkan, und der einhergehenden Publikationswelle, die oft die Schuld für alle möglichen Probleme gerne auf die osmanische Herrschaft zurückführt.
Nun möchte ich gar nicht die osmanische Herrschaft über den östlichen Mittelmeerraum beschönigen, oder Gräueltaten verharmlosen, die es durchaus in der Spätphase der osmanischen Politik gehäuft gegeben hatte, als sich eine Region nach der anderen aus dem Vielvölkerreich unabhängig machen wollte. Übrigens ist es auch unter türkischen Migranten nicht selten, dass sie die moderne Definition von Nationalismus kaum kennen.
Nur macht man es sich als Diskutant zu leicht, wenn man einerseits diese Phase zunehmender Gewalt im 19. Jahrhundert auf allen Seiten in die Vergangenheit zurückprojiziert, und meint, das Verhältnis zwischen den religiösen Gruppen wäre immer schon so schlecht gewesen. Andererseits ist man sich offensichtlich kaum bewusst, dass unser heutiges nationales Gruppenzugehörigkeitsgefühl nicht für alle Ewigkeit in der Geschichte gegolten hat, ja, es ist sogar ein relativ junges historisches Phänomen, entstanden vor allem nach der französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts. Davor haben sich die einfachen Serben, Bulgaren, Ungarn, usw. gar nicht als solche - anders als z.B. im 20. Jahrhundert - gefühlt. Ihre Identität beruhte eben nicht vorrangig auf eine damals noch unbekannte "Nation". Es waren eher andere Identitäten, die eine größere Rolle spielten, insofern darf man Revolten in christlichen Regionen des Osmanischen Reiches z.B. im 17. Jahrhundert nicht als frühe Freiheitskämpfe ohne weiteres begreifen. Dieses wäre dann nämlich ein Zurückdatieren heutiger Vorstellungen von Identitäten, während vielleicht diese Revolten keineswegs das Ziel hatten, aus dem osmanischen Staatsverbund auszuscheren, sondern Reformen innerhalb der osmanischen Welt zum Ziel hatte.
Eines der Hauptvorurteile ist also, dass Nationalismus quasi als etwas naturgesetzliches, immer schon da gewesenes angesehen wird, und nicht erkannt oder gewusst wird, dass es eine Konstruktion darstellt.
Ich möchte daher hier in einer Serie einige Zitate bringen, die die Diskussionen auf einen gleichen Stand bringt, die neuere Ethnien-/Nationalismusforschung berücksichtigt, sowie auch Autoren von Standardwerken über die Osmanen zu Wort kommen lässt.
Dadurch sollten im günstigsten Falle alle Gesprächspartner ein wenig zumindest auf dem internationalen Stand der Forschung sein, wobei nicht wenige Diskutanten z.B. aus dem Balkan einige vermeintliche Gewissheiten dabei über Bord werfen müssten, möchten sie nicht im internationalen wissenschaftlichen Dialog isoliert sein.
Es geht um das Verhältnis der Muslime und Nichtmuslime im Osmanischen Reich, um Gruppenbewusstsein, Identität, Nationenbildung und damit Herausformung neuer Identitäten, Islamisierung und Turkisierung, und alles was im weiteren Sinne damit zusammenhängt.
Es fängt damit an zu erläutern, wie überhaupt die "Nation", der Begriff, die Identitäten entstanden, die wir oft ohne Hinterfragen als so selbstverständlich annehmen.
Nationbuilding / Nationenbildung / Identitäten
Aus dem Brockhaus 2007, Artikel Nation:
In unserem Bewusstsein ist die »Nation« fest verankert - und dabei wird allzu oft übersehen, dass sie keine zeitlose Konstante in der Geschichte der Menschheit ist und mithin auch kein Raster darstellt, das die Menschen seit jeher in große übersichtliche Gruppen einteilt. Die Nation als Solidarverband gibt es nicht »seit Urzeiten«, ]wie dies vor allem von den Protagonisten nationalen Denkens überall behauptet wird. Das Gegenteil ist der Fall. Die Nation ist eine moderne Erfindung. Sie ist gerade einmal zweihundert Jahre alt.
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Nationalbewusstsein wird durch Erziehung im weitesten Sinne vermittelt. Dabei wird meist das hervorgehoben, was die Angehörigen der Nation angeblich gemeinsam haben: Sprache, Kultur, Religion, politische Ideale, Staatsform, Geschichte. Nationalbewusstsein bzw. eine nationale Identität wird aber auch gern durch Abgrenzung von den anderen Nationen oder durch Vergleiche mit ihnen definiert. In der Auseinandersetzung mit dem Fremden - der anderen Sprache oder Religion, den anderen Sitten und Lebensformen, dem anderen politischen System - wird sich eine soziale Gruppe, eine »Schicksalsgemeinschaft«, ihrer eigenen engen Beziehungen bewusst und ihrer Gemeinsamkeiten, aufgrund derer sie leichter miteinander kommunizieren können als mit den »Anderen«, den »Fremden«. Man kann den Sachverhalt zugespitzt ausdrücken: Eine Nation braucht Feinde, weil das offenbar die Suche nach der eigenen Identität erleichtert.
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