Verdienste

Manuelas Augen glitzern gefährlich. „Du-hu, Ansgar?“
Ihr Lebensgefährte hebt fragend die Augenbrauen. „Was ist denn, Maus?“
Manuela reicht ihm einen Prospekt. „Guck mal, Schatz, da ist ein ganz tolles Sofa drin! Nur 350 Euro!“
Ansgar schüttelt den Kopf. „Du weißt ganz genau, dass wir uns das nicht leisten können!“
Manuela springt auf und pfeffert den Prospekt wütend auf die durchgesessene Sitzfläche. „Das Ding ist Schrott, das hätte schon vor Jahren auf den Sperrmüll gehört. Ich habe es so satt, nichtmal ein anständiges Sofa zu haben! Alles zusammengewürfelt hier, denkst Du, so habe ich mir mein Leben mal vorgestellt? Voll zusammengeschnorrter Möbel, kein Geld für neue Klamotten, kein Urlaub, nichts?“
„Was soll ich denn tun?“, fragt Ansgar wütend. „Ich verdiene nunmal nicht so viel! Und Du gehst ja nichtmal mehr halbtags.“
„Ach, ist das jetzt meine Schuld?“, giftet Manuela. „Du weißt ganz genau, dass ich nichts mehr gefunden habe. Ich kann mir auch keine Stelle aus dem Hut zaubern!“
Ansgar schweigt. Betrachtet seine Liebste und dann das Sofa, das wirklich durchgesessen ist und schon vor Jahren auf den Schrott gehört hätte. Tief in seinem Inneren will er ja auch ein neues haben. Aber …
Das Prospekt schimmert verführerisch. Er kann es sich doch wenigstens mal ansehen, oder?
Von „0%-Finanzierung“ ist da die Rede, ein Rechenbeispiel ist angeführt, mehr Infos gibt`s im Internet. Ansgar fährt den Computer hoch und rechnet durch: 350 Euro plus Bearbeitungsgebühr, das wären auf anderthalb Jahre ja gerade mal läppische 21 Euro im Monat – nur 21 Euro?
Ansgar wird warm ums Herz, als er sich umdreht und Manuela sagt, dass sie verdammt nochmal dieses Sofa kaufen werden, und sie ihn anstrahlt wie schon lange nicht mehr. Nichts ist schöner als ihr Lächeln!
Ansgar und Manuela machen Nägel mit Köpfen und bereits drei Tage später steht ihr funkelniegelnagelneues Sofa im Wohnzimmer. Beide strahlen. Ansgar nimmt seine Manuela fest in den Arm.
„Ob das richtig war?“, flüstert sie auf einmal zaghaft.
Ansgar nickt. „21 Euro im Monat ist doch nichts! Und mal ehrlich, Maus: Das haben wir uns verdient!“
Wir wenden uns höflich ab, denn was nun kommt, ist privat.

Es dauert nicht lange und die Unzufriedenheit hält wieder Einzug bei Ansgar und Manuela. Die knappe Finanzlange sorgt ständig für Anspannung und Streit. Hinzu kommt, dass sich Manuela nutzlos vorkommt, sie findet einfach keine neue Stelle. Den ganzen Tag daheim, ihr fällt die Decke auf den Kopf. Eine Lösung muss her!
„Ich kann diese Küche nicht mehr sehen!“, erklärt sie eines Tages ihrem Freund. „Lass uns eine neue kaufen!“
„Wir haben doch grade erst ein neues Sofa gekauft?“, wundert sich Ansgar.
„Und?“ Manuela schnaubt. „Du musst ja nicht den ganzen Tag hier rumhängen und dieses Mistding von morgens bis abends sehen. Das ist noch die Küche meiner Tante, ist Dir das klar? Das Ding ist 20 Jahre alt. Du beschwerst Dich doch ständig, dass ich nicht genug im Haushalt mache. Kauf mir eine neue Küche und dann macht mir die Hausarbeit auch wieder Spaß!“
Ansgar seufzt und Ansgar rechnet; es muss ja keine teure Küche sein. Übernächsten Monat ist die Autoversicherung fällig, nicht so gut, aber wofür gibt es 100 Tage Zahlpause?
Die Küche kommt und Manuela strahlt. Und weil Manuela srahlt, strahlt auch Ansgar. Überhaupt ist er stolz und erwähnt gegenüber seinen Freunden beiläufig: „Ich habe meiner Manu jetzt erstmal eine neue Küche gekauft!“
Die Freunde staunen und wundern sich. Schließlich wissen sie, dass Ansgar mit seinem Gehalt keine großen Sprünge machen kann.
Abends erzählt Daniel seiner Marie davon. Doch wo er sich wundert, reagiert seine Liebste anders als erwartet.
„Soso, der Ansgar kauft der Manu also eine neue Küche“, giftet sie. „Und dass, wo die beiden doch angeblich kein Geld haben. Und wann kriege ich mal was Neues?“
….

Ein paar Monate später.
Manuela und Ansgar sitzen auf dem neuen Sofa und schauen verzweifelt auf den Stapel Rechnungen, der sich auf dem Wohnzimmertisch stapeln.
„Ich verstehe das einfach nicht“, sagt Ansgar erschüttert. „Wo ist denn das ganze Geld hin, ich gehe doch arbeiten!?“
Manuela schüttelt den Kopf. „Da war die Waschmaschinenreparatur letzten Monat …“
„Das waren einmal 80 Euro, Manu, das ist doch nicht so viel!“ Ansgar zeigt auf die Stromrechnung. „Wenn wir den Abschlag nicht bezahlen, drehen die uns den Saft ab, ist Dir das klar?“
„Ja.“ Manu nickt. „Ich kann die Leute vom Strom sicher auf eine Ratenzahlung runterhandeln. Aber wir müssen ganz dringend unsere laufenden Kosten senken, sonst sehe ich schwarz.“
„Also gut, dann schauen wir mal!“ Ansgar atmet einmal tief durch, nimmt sich ein leeres Blatt Papier und einen Stift. Kurz fühlt er sich an diese komische Schuldner-Beratungssendung im Fernsehen erinnert, aber so weit wie diese armen Schweine, die keinen anderen Ausweg mehr sehen, als sich im TV lächerlich zu machen. Er und Manu sind schließlich nicht verschuldet.

Die Rechnung ernüchtert.
„Ich weiß einfach nicht, wo wir sparen könnten“, sagt Ansgar nach eine frustrierenden Stunde Herumrechnerei, „Es geht einfach nicht!“
„Das kann nicht sein“, sagt Manu, „zeig doch mal her!“
Miete plus Nebenkosten.
Strom.
Heizung.
Autoversicherung.
Haftpflichtversicherung.
Ansgars Berufsunfähigkeitsversicherung.
Rechtschutzversicherung.
„Ha!“, sagt Manuela. „Die können wir doch streichen!“
So ganz wohl ist Ansgar nicht dabei. „Und wenn mal was ist?“
„Ansgar, JETZT ist was, das zählt“, sagt Manuela entschlossen.
„Und meine Berufsunfähigkeitsversicherung?“ Da ist Ansgar noch weniger wohl bei, aber es nützt ja nichts. „Gleich morgen werde ich die kündigen.“
„Alles klar.“ Manuela holt tief Luft. „Und dann wären da noch die ganzen Ratenzahlungen.“
„Die können wir schlecht absetzen. Aber so viel ist das ja auch garnicht“, erklärt Ansgar. „Wir haben ja immer drauf geachtet, die Raten klein zu halten!“

Sofa: 21 Euro
Küche (nach den 100 Tagen Zahlpause): 48 Euro
Das Auto („Du musstest ja unbedingt ein neues Auto kaufen!“ – „Erstens Mal war das alte Auto kaputt, da hätten wir mehr draufgezahlt, wenn wir noch mehr reingesteckt hätte, und zweitens mal war es ja ein gebrauchter und klein Neuwagen!“ – „Ja, aber das sind halt auch nochmal 50 Euro im Monat.“ – „Ach, und warum darfst Du eine neue Küche haben, aber ich kein Auto? Immerhin fahre ich damit zur ARBEIT!“): 50 Euro
Ratenzahlung Katalog (Kleidung): 18 Euro
Ratenzahlung Online-Shop (PC-Spiele und neue Lautsprecher): 17 Euro
Neue Wohnwand (nach 3 Monaten Zahlpause): 15 Euro
Neues Handy Ansgar: 10 Euro
Neues Handy Manuela: 8 Euro

„Siehst Du“, sagt Ansgar, „Das ist nicht viel!“
„Einzeln nicht“, sagt Manuela düster. „Aber zusammen sind das fast 190 Euro im Monat!“
„190??? Das kann doch wohl nicht sein!“ Ansgar rechnet nach. Es bleibt dabei.
Was das bedeutet ist beiden klar.
„Dann rufe ich mal Herrn Tillmann an“, sagt Ansgar düster. „Er soll die Papiere aufsetzen, ich lasse mir meine Altersvorsorge auszahlen.“
Manuela ist erschrocken: Bisher war Ansgar die Altersvorsorge immer heilig! „Aber dann gehen Dir doch die ganzen Zinsen flöten, dann waren all die Jahre, in denen Du eingezahlt hast umsonst! Und später mal-“
„Was soll ich denn machen?“, fällt ihr Ansgar ins Wort. „Die Stromrechnung ist JETZT fällig und die Raten zahlen sich auch nicht von alleine. All unsere Reserven sind aufgebraucht. Mit meinem Gehalt werden wir das nicht schaffen und unser Konto ist schon bei 1000 im Minus. Weißt Du, was wir da jeden Monat an Dispozinsen zahlen?“
„1000 Euro im Minus?“ Manuela ist erschrocken. „Wie konnte das denn passieren? Und wieso haben wir überhaupt so einen hohen Dispo?“
Ansgar zuckt mit den Schultern. „Ein halbes Gehalt, das wäre so üblich, hat der Bankmensch damals gesagt. Und wir dachten, das könne ja nicht schaden, falls mal was ist.“
Manuela überlegt. „Das ist doch alles Mist.“
„Fällt Dir was Besseres ein?“
„Nein.“
Also kündigt Ansgar seine Altersvorsorge.

Ein paar Monate später.
Mit dem Geld, dass sich Ansgar hat auszahlen lassen, haben die Beiden die Stromrechung und andere offene Rechnungen bezahlt, sowie die Küche und das Sofa abbezahlt.
Die Altersvorsorge ist weg, die Berufsunfähigkeitsversicherung ist weg, die Rechtschutzversicherung ist weg.
Die Küche ist schön, aber Manuela hat keine Lust, groß zu kochen.
Ihre neuen Klamotten passen nicht mehr, weil sie zugenommen hat.
Ansgar fällt sein Handy hin, Displayschaden, er braucht ein neues.
Der Gebrauchtwagen ist immernoch ein Gebrauchtwagen und benötigt neue Zündkerzen und spätestens nächsten Monat neue Winterreifen.
Manuela sitzt frustriert auf dem Sofa (nicht mehr ganz links, sondern in der Mitte, weil die Sitzfläche links schon etwas durchhängt) und sinnt über ihr Leben nach.
„Weißt Du, Ansgar“, sagt sie schließlich, „Dieses ewige sparen und aufs Geld achten müssen, dieses ewige jeden Cent zweimal umdrehen müssen, das ist doch echt zum kotzen.“
„Ich weiß, Maus“, sagt Ansgar und seufzt. „Das haben wir echt nicht verdient.“


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