Verbot der Woche: Ätzen im Abendland

Mehr als elf Jahrhunderte konnte es ungestört ätzen, lebensbedrohliche Zustände herbeiführen und von Hobbyterroristen dazu gebraucht werden, Sprengmittel aller Art herzustellen. Jetzt endlich hat das Umweltbundesamt dem wüsten Treiben der Salpetersäure im öffentlichen Leben Deutschlands einen Riegel vorgeschoben: Im Einklang mit den Integrationsrichtlinien der EU und im Rahmen der bürgerschaftlich engagierten PPQ-Serie "Verbot der Woche" hat die Dessauer Behörde Benutzung, Verkauf und Verbrauch der bekanntesten und stabilsten Sauerstoffsäure des Stickstoffs verboten. Das türkische Kalk- und Rostlöser "Por Çöz" dürfe nunmehr in Deutschland nicht mehr verkauft werden, weil es mindestens 20 Prozent Salpetersäure enthalte, teilte die Behörde mit, die damit erstmals ein Verbot auf Grundlage des zur Bekämpfung der zunehmender Verunsicherung der deutschen Hausfrau erlassene Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes von 2007 verhängte.
Schon 2003 hatte das Ministerium für Verbraucherschutz in Baden-Württemberg vor dem Mittel gewarnt, das zu einem Fünftel aus der reinen Säure besteht, die farblos ist und einen scharf stechenden Geruch hat, weshalb vor allem Kinder, Erwachsene und Ältere in zumeist "türkischen Einzelhandelsgeschäften" (dpa) zu dem Mittel griffen, das der arabische Alchimist Geber bereits im 9. Jahrhundert durch trockenes Erhitzen von Salpeter erzeugt hatte.
Salpetersäure galt bislang als einer der wichtigsten Grundstoffe der chemischen Industrie, die daraus Düngemittel, Chemikalien für die Fotoindustrie und Hilfsstoffe für die Herstellung von Farbstoffen, Heilmitteln, Explosivstoffen und Desinfektionsmitteln gewann. Deutschland sei aufgrund des nachhaltigen Aufschwungs jedoch inzwischen auf dem Weg zur Dienstleistungsgesellschaft, 20-prozentige Salpetersäure werde nicht mehr benötigt, sie könne im Gegenteil sogar schädlich für die Volksgesundheit sein, bestätigte auch der Bundesverbotsbeauftragte Herrfried Hegenzecht.
Den von der Opposition erhobenen Vorwurf, ein Verbot von Salpetersäure richte sich gegen einen bestimmten Glauben und komme nach den "kruden Thesen eines Herrn Sarrazin" (Renate Künast) nicht unerwartet, wies Hegenzecht entschieden zurück. Das Reinheitsgebot des Koran verpflichte keineswegs zum Putzen mit Säure, grafische und galvanische Techniken, die auf die Nutzung von Salpetersäure angewiesen seien, könnten künftig auch in Polen stattfinden, wo derzeit auch die Bleimennige hergestellt werde, deren Verwendung in Deutschland seit Jahren verboten, deren Benutzung bei Denkmalschutzarbeiten aber wiederum zwingend vorgeschrieben sei. "Eine andere Möglichkeit", glaubt Hegenzecht, "ist die Auslagerung entsprechender Arbeiten nach Frankreich." Dort müssten die Menschen demnächst fast so lange arbeiten wie Vorruheständler in Deutschland. "Da wir unseren Atomstrom in Zukunft von dort beziehen", so der Verbotsexperte, "sehe ich nicht, warum Chromleisten nicht auch von da geliefert werden können."


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