Attila Hildmanns aktuelles Kochbuch hat mir Kopfzerbrechen bereitet. Ich glaube es liegt daran, dass es selbst nicht so recht weiß, was es will. Das beginnt schon beim Titel. "Vegan For Fun". Ich stelle mir dabei Jim vor, der mich freudig anruft um mir mitzuteilen, dass er gerade seine Beef Fajita Nachos gemacht hat, dabei Tofu anstelle des Rindfleischs und eine Hefe-Soja-Masse anstelle des Käse verwendete. Auf meine Frage weshalb sagt er lachend, dass es ihm eben Spaß mache. Genau. Eher wird die Eintracht noch mal Meister. Vegan ißt man aus den verschiedensten Gründen - und die meisten davon werden in dem Buch angesprochen - "just for fun" gehört aber kaum als nachhaltige Motivation dazu. Im Untertitel geht es dann weiter: "Junge vegetarische Küche". Ich denke ich muss hier nicht näher auf den Widerspruch eingehen, oder? Gut, es fängt beides mit V an. Als nächstes fällt ein großer gelber Sticker auf dem Umschlag auf, der von "Null Cholesterin" (in Anführungszeichen) spricht und "schlank werden und gesund bleiben" ankündigt. Geht es also um ein Diät-Kochbuch? Und dann ist da noch die Sache mit den vielen Hinweisen und Ratschlägen, die in einem so großen Umfang daherkommen, dass ich mir nicht sicher bin, ob das Buch nicht auch irgendwie Ratgeber und Lebenshilfe sein will. Aber schauen wir uns doch die Bewertungskategorien für das Kochbuch des jungen Berliners im Einzelnen an, der gerade den bekannten vulkanischen Gruß als copyrighted Logo angenommen hat:
Persönlichkeit - ★★★★★☆☆Wir erfahren viel über Herrn Hildmann. Sehr viel. Wir sehen ihn nicht nur in der Küche, sondern auch im urbanen Setting mit seinem Fahhrad und vorallem leicht bekleidet beim Sport. Joggen im Wald, über Baumstämme kletternd oder bei Klimmzügen an Ästen. Und wir sehen ein älteres Foto von ihm als Moppel (vorher/nachher - weißt bescheid). In den erzählerischen Kapiteln erfahren wir von seiner Entscheidung vegan leben zu wollen, davon wie gut es ihm geht, aber auch wie er von der veganen Community dennoch immer wieder gedisst wird, weil er eben nicht zu 100% vegan lebt - Stichwort Lederschuhe. Das klingt alles ganz nett, aber irgendwe auch ein wenig überambitioniert, gestellt, unnötig und teilweise redundant. Ich habe allerdings auch den Eindruck, dass das hier nicht alles Hildmann selbst ist, sondern viel vom Verlag gewollt und gefordert ist, wozu ich auch die Probleme mit Titel, Untertitel und dem gelben Sticker zähle. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Rezepte - ★★★★☆☆☆Die rund 60 Rezepte decken Vorspeisen, Hauptgerichte, Desserts und ein paar Shakes ab. Eine Strategie von Hildmann ist es, gängige Gerichte vegan umzugestallten. Darunter fallen dann Gerichte wie Spaghetti Bolognese, Tofu-Nuggets, eine sahnige Erdbeertorte und auch der vegane Döner zum Mitnehmen. Daneben stehen Gerichte, die prinzipiell vegan sein können, wie Bärlauchgnocchi, Tagliatelle mit grünem Spargel in Safran-Orangen-Creme oder verschiedene asiatische Reispfannen. Ein ganzes Kapitel beschäftigt sich dann mit leckeren veganen Süßspeisen, von Donauwellen bis zur cremigen Mousse au Chocolat. Sowohl die Zubereitung in gut geschilderten Schritten als auch das Besorgen der Zutaten ist in der Regel leicht zu erledigen, womit das Buch sowohl Anfänger als auch regelmäßige Köche anmachen kann. Zu jedem Gericht gibt es dann noch einen kurzen Hinweis von Hildmann zur Zubereitung oder einzelnen Zutaten. Er strebt bei seiner Auswahl ein farbenfrohes Gegengewicht zum längst überfälligen Klischee der unattraktiven veganen Küche an, wobei eine handvoll Hammer dabei sind, aber auch vieles, was nur mäßig begeistert.
Fotos - ★★★★★☆☆Alles richtig macht der Verlag mit der Entscheidung zu jedem Gericht ein Foto abzubilden. Sehr wichtig meines Erachtens. Eine handvoll sieht dabei leider unnötig blass aus, was zum einen an der Zusammenstellung des Gerichts liegen könnte - helle Pasta, helle Sauce, heller Teller auf dunklem Grund -, andererseits am Fotografen, der insgesamt zwar gute Fotos liefert, ich mir aber keines davon als Poster an die Wand hängen möchte. Hinzu kommen zahlreiche Fotos von Hildmann in der Küche oder in gestellten Alltagssituationen: Hildmann liest, Hildmann denkt nach, Hildmann schließt ein Spint auf. Da habe ich aber schon unoriginelleres gesehen.
Übersichtlichkeit - ★★★★☆☆☆Da fast alle Gerichte einheitlich dargestellt und die Zutaten für jeweils vier Personen bestimmt sind, kommt man gut mit dem Buch klar. Ein Rezeptindex am Ende führt nocheinmal alle Gerichte nach Titeln auf und ist durchaus hilfreich, denn die Kapitelwahl ist nicht unbedingt intuitiv. Unproblematisch ist dabei das Kapitel "Süße Belohnungen", in dem eben alle Süßspeisen aufgeführt sind. Die anderen Kapitel sind nicht so eindeutig: "Richtig satt", Veggie-Party", "Vegan to go" sowie "Leicht und Lecker" führten oft dazu, dass ich lange hin und her blättern musste, bis ich entweder zufällig fündig wurde oder dann doch im Index nachschlug. Kleines Beispiel? Der vegane Döner fällt unter die Kategrorie "Richtig satt" während die türkische Pizza Lahmacun "Veggie to go" ist. Sind gefüllte Tomaten mit Nuss-Joghurt-Creme "Leicht und lecker"? Nein, sie gehören auf den Partytisch, genauso wie die Oliven-Tomaten-Focaccia, nicht aber die Gemüsepizza, denn die macht wieder "richtig satt". Ihr erkennt das nicht vorhandene Muster? Das hätte man übersichtlicher machen können, aber an solchen innovativen Kapitelideen kranken viele Kochbücher. Leider.
Ratgeberqualität - ☆☆☆☆☆☆☆Eine unübliche Kategorie, die ich auch nur notgedrungen aufgenommen habe. Wenn ich 25 Euro für ein Kochbuch ausgebe, dass rund 60 Rezepte großzügig auf 130 Seiten verteilt, dann aber noch 60 Seiten übrig sind, lässt sich der Inhalt dieser Seiten nicht als Beiwerk herunterspielen. Dieses knappe Drittel des Buches ist in drei Kapitel eingeteilt: "Vegan For Fun: undogmatisch genießen", "Mein veganes Leben" und "Tipps". Bereits im Vorwort kündigt Hildmann ein veganes Kochbuch "ohne moralischen Zeigefinger" an und verweist dann an einem halben Dutzend Stellen auf den Zusammenhang von Zivilisationskrankheiten und tierischer Lebensmittel, die "großen Herausforderungen der Menschheit" wie Ressourcenknappheit bei Überbevölkerung und vegane Lebensweisen als möglichen Ausweg, die Fleischproduktion im Kontext des Klimawandels und den ethischen Bezug zur Massentierhaltung. "Jede vegane Mahlzeit hilft - dem Einzelnen und uns allen", sagt er. Moralischer Zeigefinger, ick seh dir winken. Mir geht es nicht darum diese wichtigen Aspekte herunterzuspielen. Ganz im Gegenteil! Mir geht es darum, dass man eine vegane Lebensweise nicht entpolitisieren, aus dem ethisch-moralischen Kontext reißen und als "just for fun" herunterspielen kann, dann aber 30 Seiten mit Alltagsweisheiten über die moralische Dringlichkeit füllt. Da passt etwas nicht zusammen. Die autobiographischen Anekdoten im zweiten Kapitel sind nett, muss ich aber auch nicht haben. Dort erfahren wir noch einiges darüber, dass Hildmann viel Sport treibt. Sehr wahrscheinlich der Hauptaspekt für das auf dem Sticker ausgelobte "schlank werden", denn viele der wirklich leckeren Rezepte haben es kalorienmäßig in sich. Gefällt mir, macht aber nicht schlank. Am Ende gibt es dann noch die vermeintlichen Tipps: Für den Neuveganer werden etwa Websites vorgestellt. 5 (fünf!) an der Zahl, davon einer für einen Naturkostproduzenten der auch Hildmanns Werbepartner ist, einer für seine eigene Kochschule, ein Link zum Vegetarierbund, einer zum Hersteller eines Mixers (seines "Lieblingsmixers") und dann noch eine Website für den Bezug von - festhalten - Grünem Tee. Ansonsten gibt es noch so clevere Tipps für die vegane Küche wie einen Schnellkochtopf, einen Schäler, eine Fritteuse und einen Mixer (den "Lieblingsmixer") zu besorgen. Nicht missverstehen, Hildmann ist schon ganz cool, aber das war leider gar nichts.
Kommen wir zum Praxistest. Ich habe einige der hildmannschen Rezepte ausprobiert und in der Regel war ich angetan. Von den angesprochenen Tofu-Nuggets war ich sofort Fan und auch vegane Lahmacun kommen sehr gut. Mein Shnickster ist auch in Anlehnung an ein Rezept von ihm entstanden. Hier habe ich mich an die veganisierte Version der klassischen Carbonara gewagt:
Vegane Spaghetti Carbonara
Zutaten:
100g Räuchertofu
250g Pasta
Meersalz
1 Zwiebel
1/2 Bund frische glatte Petersilie
3 El Olivenöl
200ml Hafersahne
1 EL Pflanzenmargarine
frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
Tofu in kleine Würfel schneiden. Die Nudeln nach Packungsanweisung in reichlich kochendem Salzwasser al dente garen. Zwiebeln schälen und fein hacken. Die Petersilie waschen, trocken schleudern und fein hacken. Tofuwürfel im heißen Olivenöl braten, bis sie leicht kross sind, Zwiebelwürfel dazugeben und 3 Minuten weiterbraten. Mit der Sahne ablöschen, Margarine und 2/3 der Petersilie dazugeben, salzen und pfeffern. Carbonara mit der Pasta mischen. Mit restlicher gehackter Petersilie und frischem Pfeffer aus der Mühle bestreut servieren.Rezept drucken
Praxistest - ★★★★★★☆
Die Carbonara war gut. Der Räuchertofu gibt dem ganzen die nötigen Aromen und die Hafersahne bringt eine leckere Note. Optisch wäre vielleicht etwas Kurkuma ganz hübsch, da das Gelbe vom Ei ja herausfällt. Man könnte das ganze natürlich auch anders nennen, aber offensiv mit vegetarischen und veganen Alternativen umzugehen, mag ich ja sehr. Auch die anderen ausprobierten Gerichte waren lecker und konnten begeistern. Ein paar Kleinigkeiten würde ich immer noch ändern, aber das ist eben Geschmacksache.
Geben wir nun die Einzelwertungen in meine geheime Formel mit der Bauchgefühlskonstanten ein, erhalten wir folgendes, subjektives Ergebnis:
Gesamtwertung - ★★★★☆☆☆
Eine gute Auswahl leckerer und klischeefreier veganer Gerichte, die ohne den ein ganzes Drittel ausmachenden Ballast des Ratgeberanteils - und damit auch um ein Drittel günstiger - deutlich besser abgeschnitten hätte.
Attila Hildmann
Vegan For Fun
Junge vegetarische Küche
192 Seiten, 87 Fotos, Hardcover
erschienen bei BECKER JOEST VOLK VERLAG
ISBN 978-3-938100-71-4
24,95 €