Unsere abenteuerliche Wanderung durch die nordperuanischen Anden führt uns heute vom malerisch gelegenen Valle Huaylla Belén in das kleine Andendorf Congón.
Aus der Hauptstadt der Region Chachapoyas geht es an einem verregneten Morgen in einem alten klapprigen Minibus los in Richtung Valle Huaylla Belén. Aufgrund der andauernden Regenfälle ist die zu Beginn noch asphaltierte Strasse an vielen Stellen von Geröllmassen versperrt, die in der vorangegangenen Nacht von den Hängen herabgefallen sind. Straßenarbeiter bemühen sich, den teilweise riesigen Felsbrocken Herr zu werden. Wir malen uns aus, was im Falle eines Zusammenstoßes mit so einem Brocken von oben mit uns passieren würde. Besser wir denken an etwas anderes. Schon bald verschwindet der Asphalt von der Straße und wir finden uns auf einem schlammigen Weg aus roter Erde wieder. Teile des Weges sind weggebrochen. Unseren Fahrer scheint die Beschaffenheit des Untergrundes nicht zu beeindrucken. Mit stoischer Gelassenheit lenkt er das Gefährt um tiefe Schlammlöcher herum oder gibt Vollgas, um die Schlammmassen zu bewältigen. Der Wagen ächzt unter unserer Last, Stoßdämpfer scheint es keine zu geben, was auch unsere Wirbelsäulen zu spüren bekommen. Wegen der unglaublich schlechten Wetterverhältnisse benötigen wir für eine Strecke von 150 km fast sechs Stunden.
Das Tal Haylla Belén
Als sich der Nebel endlich etwas lichtet und der Regen nachlässt sehen wir es plötzlich vor uns. Das wunderschöne Tal Haylla Belén. Von oben sehen wir ins Tal hinab. In tief dunkles Grün getaucht, von dem schlangeförmigen Flüsschen Belén durchzogen, die Flusshänge dunkelrot. Über dem Wasser hängen tiefe Nebelschwaden. Wir kommen uns vor wie in dem Film „Herr der Ringe“. Ein Ort voller Magie. Die Andenhänge ziehen sich hier bis auf eine Höhe von 3000 Metern.
Unser Minibus steuert direkt auf eine kleine Hütte zu, die am Rande des Tals im Schutze eines kleinen Hügels gelegen ist. Hier werden wir also die Nacht verbringen. Als wir aussteigen werden wir von einem kleinen Jungen misstrauisch beäugt, der seine kleine Schwester auf dem Arm trägt. Wir fragen ihn nach seinen Eltern. Die Mutter sei noch nicht wieder zurück von der Suche nach brennbarem Material für den Ofen, gibt er zögerlich zurück. Seine Schüchternheit weicht, als wir ihn nach den Meerschweinchen fragen, die hinter ihm auf dem Lehmboden herumlaufen. Stolz fängt er eines und hält es uns hin. Auch in Peru sind Meerschweinchen eine kulinarische Delikatesse. Wir fragen ihn, was mit den Tieren passiert. Er deutet an, was wir bereits erwartet haben. Sie dienen als reines Nahrungsmittel. Ein Tier kostet auf dem Markt ca. 15 Soles, das sind nicht mehr als 1,50 Euro. Ungläubig hört er sich unsere Geschichte an, dass Meerschweinchen in Europa als Haustiere für Kinder gehalten werden. Andere Länder, andere Sitten. Kurze Zeit später trifft die Mutter der Beiden ein. Sie zeigt uns unsere Betten und wir treffen uns bald darauf in dem Raum wieder, den man als Küche bezeichnen kann, da es einen gusseisernen Herd gibt sowie Regale mit Geschirr, die an den Lehmwänden der Hütte zu kleben scheinen. In einem großen Topf köchelt bereits eine gut duftende Hühnersuppe, die uns nach den Eindrücken dieses Tages die Mägen füllen soll. Wir lassen den Tag mit einer kleinen Entdeckungstour in die nahe Umgebung ausklingen und begrüßen die Dunkelheit mit unserem Guía Ronald, seinen Schauergeschichten über Andengeister und seinem selbst angesetzten Zuckerrohrschnaps, an dessen in der Kehle brennenden Abgang wir uns schnell gewöhnen. In kürzester Zeit ist es stockdunkel. Nur der Schein des Feuers erhellt unsere Gesichter. In den Bergen um uns herum tanzen Glühwürmchen um die Wette.
Trotz kleinem Kater stehen wir am nächsten Morgen früh auf. Zum Frühstück gibt es Ei, Brot und Kochbanane, die uns
Unser Guide
noch einige Zeit als Hauptnahrungsmittel begleiten wird. Voller Erwartung packen wir unsere Sachen zusammen, setzen unsere Rucksäcke auf und verabschieden uns von der kleinen Familie. Das Tal hatten wir bisher nur hinter Nebelschwaden sehen können. Nun sind wir total überwältigt. Die Sonne lugt zwischen den Bergen hervor und taucht das Tal in ein unvergleichliches Licht. Am Rand des Flusses grasen idyllisch Pferde und Kühe, die wie im Paradies zu leben scheinen. Schnell spüren wir die dünne Luft auf über 2500 Höhenmetern, die uns das atmen erschwert. Jeder Schritt ist eine Überwindung, unsere Lungen arbeiten auf Hochtouren.
Nach einer Flussüberquerung und kurzem Bad als Morgentoilette im Flussbett setzen wir uns ins saftig grüne Gras und verschnaufen ein wenig. Aus einer gewebten Umhängetasche, die er um die Schultern trägt, zaubert Ronald einige getrocknete Coca-Blätter hervor, die er jedem von uns anbietet. Er selber stopft sich die Backen voll und schiebt etwas Kalk nach, um die stimulierenden Substanzen aus den Blättern zu extrahieren. Wir tun es ihm gleich.
Über eine alte Inkastraße erreichen wir am frühen Nachmittag erschöpft aber glücklich unser heutiges Ziel, das kleine Andendorf Congón. Hier wohnen ungefähr 200 Familien, die sich größtenteils selbst versorgen. Der Boden ist fruchtbar, das Klima optimal zum Anbau von Früchten wie Avocados, Limonen, Orangen, Pfirsichen, Bananen, Zuckerrohr, Coca und Kaffee. Alles wächst wild durcheinander. Einige Kleinbauern des Dorfes verdienen sich etwas hinzu, indem Sie Wanderern eine Bleibe für die Nacht und ein Abendessen anbieten. Aufgrund der Regenfälle der vergangenen Tage gibt es seit einigen Wochen keinen Strom mehr im gesamten Dorf. Die herab fallenden Wassermassen haben das Verteilerwerk der Umgebung lahm gelegt, ein Ersatzteil aus Lima lässt auf sich warten. Die ganze Region ist von diesem Ausfall betroffen. So bleibt uns nichts anderes übrig, als romantisch bei Kerzenschein unser Abendessen zu verspeisen. Es gibt schlimmeres.
Wie schon in der Hütte im Valle Huaylla Belén laufen auch in der Küche unsere Gastgeber in Congón Meerschweinchen auf dem unebenen Lehmboden herum. Da wir ihr Schicksal bereits kennen, sprechen wir den Bauern nicht auf die Lebenserwartung der kleinen Tierchen an, sondern bitten ihn um einen Spaziergang durch seine Anpflanzungen. Bereitwillig führt er uns durch Bananenstauden und Orangenbäume und zeigt uns stolz seine kleine Kaffeeplantage. Immer wieder fährt seine Hand in eine um seine Hüfte geschwungene kleine Gürteltasche, aus der er gekonnt in regelmäßigen Abständen getrocknete Coca-Blätter hervorzaubert, die dann blitzschnell in seinen Backentaschen verschwinden. Da er die Backen voller Blätter hat nuschelt er sehr beim Sprechen und es ist für uns schwer, seinem angenehmen Singsang zu folgen. Mehrmals fragen wir nach, er antwortet immer wieder gelassen und entspannt auf unsere Fragen. Bei Anbruch der Nacht ziehen wir uns müde in eine kleine Holzhütte zum Schlafen zurück.
Der nächste Tag verspricht anstrengend zu werden, da Ronald uns Pferde besorgt hat. Unsere Begeisterung hält sich in Grenzen, doch wir lassen es uns nicht anmerken. Von 2000 Höhenmetern des Dorfes Congón geht es auf bis 4000 Meter. Wer an einen entspannten Ritt denkt liegt falsch. Lassen wir uns überraschen.
Ronald und unser Gastgeber sitzen noch bis tief in die Nacht hinein Coca-Blätter kauend vor unserer Hütte und erzählen sich den neuesten Tratsch aus den Dörfern.