In dieser Woche kam es in Valencia zu erschreckenden Szenen, die spanienweit für Empörung und Entsetzen gesorgt haben. Die Nationalpolizei ging gewaltsam gegen minderjährige Schüler vor, deren Vergehen darin bestand, während einer Demonstration den Verkehr auf einer Straße unterbrochen zu haben.
In der Region Valencia finden bereits seit Wochen an vielen Schulen täglich Kundgebungen gegen die Kürzungen im Bildungswesen statt. So auch am Gymnasiums »Lluís Vives« in der Innenstadt Valencias, dessen Schüler sich für den Nachmittag des 15. Februar zu einer Demonstration vor ihrer Schule verabredet hatten, um auch gegen die speziellen Zustände an ihrer Schule zu protestieren. Einigen Berichten zufolge gab es in dieser Schule bereits seit einiger Zeit Tagen keine Heizung mehr. Der Protest bestand in einer Versammlung und einer Straßensperre von ungefähr zehn Minuten. An diesem Mittwoch wurden die Schüler jedoch bereits von der Polizei erwartet und aufgefordert, die Demonstration zu verlassen. Als sich einige Schüler weigerten und weiterhin versuchten, die vor der Schule verlaufende Straße zu blockieren, kam es zu einem Gerangel zwischen Schülern und der Polizei in dessen Folge ein Minderjähriger festgenommen wurde.
Bild von Twitter-Nutzer @susomb; 17.02.2012, 19.00 Uhr
Am nächsten Tag fand am gleichen Ort eine Demonstration statt, um gegen die Festnahme des Minderjährigen vom Vortag und das harte Vorgehen der Polizei zu protestieren. Etwa 300 Protestierende, darunter viele Schüler und ihre Lehrer, versammelten sich im Zentrum Valencias. Diesmal blockierte ein starkes Polizeiaufgebot die Straße, es kam bereits hier zu sechs Festnahmen. Die Menschenmenge zog weiter vor die Delegation der Zentralregierung, die für den Polizeieinsatz verantwortlich ist, und von dort weiter durch einige der naheliegenden Einkaufsstraßen. Dort wurde der Protestzug dann schließlich von starken Polizeikräften aufgehalten. Die Schüler wurden von Polizisten von der Straße auf den Bürgersteig gedrängt, wodurch es zu Handgreiflichkeiten und dem Einsatz von Schlagstöcken kam. Letztendlich wurden an diesem Tag acht Personen festgenommen, von denen einige die Nacht hinter Gittern verbringen mussten.
Bericht einer Schülerin:
Hallo, ich bin eine 14-jährige Schülerin, die attackiert wurde, obwohl ich ein verletztes Bein hatte und mich schlecht bewegen kann. Sie haben mich attackiert, weil ich auf dem Boden gesessen habe, sie haben mich an den Haaren gezogen, getreten, angefasst und über den Boden geschleift. Sie haben mir auf das verletzte Bein geschlagen, obwohl ich eine Schiene trage, die auffällig ist und die man schon von weitem sehen kann. Ich war auch Zeugin der Aggression gegen meinen verhafteten Mitschüler; er hat sich nur gegen die Gewalt widersetzt, unser Auftreten war völlig friedlich. Bitte, wir dürfen das nicht auf sich beruhen lassen, so etwas darf man nicht billigen. Das Volk gemeinsam kann das schaffen.
Quelle: http://eskup.elpais.com/alumnasieslluisvives
Am heutigen Freitag, dem vorläufigen Höhepunkt der Proteste, kam es bereits am Morgen zu Auseinandersetzungen, als vor dem Polizeipräsidium mehrere Dutzend Menschen auf die Freilassung der letzten Gefangenen warteten. Gleichzeitig bildete sich vor der Schule »Lluís Vives« wieder ein Protestmarsch mit ca. 300 Teilnehmern, der sich ebenfalls in Richtung des Polizeipräsidiums in Bewegung setzte. Diesmal hatten sich zahlreiche Politiker der Oppositionsparteien sowie andere Protestgruppen angeschlossen, um gegen das brutale und unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei zu protestieren. Dieser Zug wurde zunächst aufgehalten, dann aber von der Polizei durchgelassen und erreichte sein Ziel. Nach einem Sitzstreik wollten sich die Protestierenden gegen 16.00 Uhr wieder in Bewegung setzen, wurden aber von der Polizei in einer Straße eingekesselt und mehrere Stunden festgehalten. Unter den Eingekesselten befanden sich wiederum zahlreiche minderjährige Schüler, denen verboten wurde, Handys zu benutzen. Auf der anderen Seite der Polizeikette befanden sich zahlreiche besorgte Eltern, die nicht zu ihren Kindern durchgelassen wurden. Erneut kam es zu Gewaltausbrüchen und sechs weiteren Festnahmen.
Carmelo Lozano, Vater einer 17-jähigen Schülerin des Gymnasiums »Lluís Vives« die polizeilich identifiziert wurde, erklärte, dass die Polizei die Daten der Minderjährigen verlangt habe, »um eine Strafantrag wegen illegaler Versammlung zu stellen, da die Delegation der Zentralregierung nicht benachrichtigt worden war«.
Lozano, selbst Rechtsanwalt, befindet sich zusammen mit einer Gruppe weiterer Eltern vor der Polizeiwache. Er beklagt sich darüber, dass die Polizei die Straße gesperrt hat und seine Tochter nicht nach Hause gehen lässt. Er versichert, dass man ihm ein Gespräch mit einem verantwortlichen Befehlshaber verweigert habe und er ebenfalls polizeilich identifiziert wurde. »Es ist eine völlig unverhältnissmäßige Maßnahme und ein Machtmissbrauch. Auf 50 Schüler kommen 150 Polizisten. Wenn man alle festnehmen würde, die eine Versammlung von mehr als 20 Personen nicht anmelden, wären wir alle im Gefängnis.« Quelle: Levante-EMV, 17.02.2012
Letztendlich durften die Protestierenden den Polizeikessel in Gruppen von fünf Personen verlassen, wobei Polizisten die persönlichen Daten jedes Einzelnen aufnahmen. Ergebnis des Tages: sechs weitere Festnahmen und neun Verletzte.
In der Zwischenzeit hat die politisch für den Polizeieinsatz verantwortliche Delegierte der Zentralregierung in Valencia, Paula Sánchez de León, das harte Durchgreifen der Polizei verteidigt. In einer Stellungnahme sagte sie, die Polizeiaktion sei »das Resultat unerlaubter Aktionen, die durch eine Minderheit unter den Protestierenden angestiftet wurden». Gleichzeitig kündigte sie an, gemeinsam mit den politischen Parteien die »starke Häufung von Versammlungen und/oder nicht angemeldeten Demonstrationen« der letzten Zeit analysieren zu wollen.
In Spanien werden in letzter Zeit immer häufiger Stimmen laut, die das Vorgehen der Nationalpolizei und ihrer Bereitschaftstruppen mit dem der Policía Armada, der auch »die Grauen« (los grises) genannten »bewaffneten Polizei« der späten Franco-Zeit in den 60er und 70er Jahren verglichen. Es ist schwer vorstellbar, was eine Behörde mit einem solch harten Vorgehen gegen hauptsächlich Minderjährige bezwecken will. Kurzfristig wird es ihr natürlich darum gehen, durch hartes Durchgreifen Stärke zu zeigen und Nachahmer möglichst abzuschrecken. Langfristig erreicht man damit jedoch, dass eine ganze Generation je nach Charakter des Einzelnen entweder in ständiger Angst vor oder in ständiger Rebellion gegen das System lebt. Gerade Jugendliche, die ohnehin zum Widerstand gegen Autoritäten tendieren, werden so kriminalisiert und radikalisiert. Gleichzeitig bringt man auch alle Eltern und Lehrer der Schüler gegen das System auf. Vielleicht sind traurigerweise genau solche Vorfälle nötig, um einer breiten Masse die Augen zu öffnen, damit solche Dinge in einer zukünftigen Gesellschaft nicht mehr passieren können.
Bildergalerie der Zeitung Levante-EMV zu den Vorfällen in Valencia in dieser Woche.