Unter Glas: Rheinnächte/Every Jack will find his Jill Deal

Quelle: Eva M. Rath

Quelle:
Eva M. Rath

Autor:

Eva M. Rath

Genre:

Liebesroman

Aus Kapitel 4:
Ich verabschiedete mich und machte mich müde, aber guter Dinge auf den Weg nach Hause. Um nicht so lange den dunklen Kai der alten Hafenanlage entlanglaufen zu müssen, ging ich um den Block auf die andere Seite des Hafengebäudes und kam dabei am Hafen-Hotel vorbei. Die chice Lobby war zwar beleuchtet, aber kein Mensch war zu sehen. Mein Blick war auf die Lichter des Hotels gerichtet, als ich plötzlich vor mir eine dunkle Gestalt wahrnahm, die auf dem Bürgersteig stand. Ich erschrak, dachte an die 96,40 Euro in meiner Handtasche und umklammerte sie. Ich wurde leicht panisch und bereitete mich darauf vor, einen Angreifer abzuwehren, um mein Geld zu verteidigen. Die dunkle Gestalt trat aus dem Schatten in den Kegel der Straßenlaterne und vor mir stand – Jerry, der Callboy aus der Bar.

Er sah mein angsterfülltes Gesicht und schenkte mir ein Verführerlächeln. Schon schlug mein Herz schneller und ich erwog ernsthaft, einfach an ihm vorbei zu gehen, als ob ich ihn nicht erkannt hätte. Doch er ließ mir keine Wahl, da er mit großen Schritten auf mich zukam und mir somit die Chance nahm, die Flucht nach vorn anzutreten. „Gute Nacht, Marie!“

Seine Stimme klang warm und freundschaftlich, so als ob wir uns schon eine Ewigkeit kannten. Ich sah ihn an, seine noch in der Dunkelheit leuchtend grünen Augen wirkten nun wie ein Bergsee in den Alpen, tief und gefährlich. Noch ein letztes Mal an diesem Abend wollte ich selbstbewusst und erwachsen wirken, also überspielte ich meine Nervosität und das komische Gefühl in meiner Magengegend mit einem liebevollen Lächeln, von dem ich hoffte, dass es wenigstens halb so verführerisch aussah wie seines.

„Guten Nacht. Feierabend für heute?“, fragte ich und versuchte, einen Unterton zu wählen, der ihm signalisierte, dass ich genau wusste, was er hier tat. Anscheinend war mein Vorhaben erfolgreich, denn für eine Sekunde wurde sein Blick sehr finster und seine Augen glühten im Licht der Straßenlaterne auf. Dann stieß er jedoch ein kurzes Lachen aus und hob die Augenbrauen. Ich hatte das Gefühl, dass er mich auslachte, und ich sah ihn böse an. Ich hatte versucht, mir nicht auszumalen, was er heute Nacht getrieben hatte, doch jetzt, da ich ihn vor dem Hotel traf, war mir zumindest klar, wo er die ganze Nacht gewesen war. Vermutlich hatte er seine „Kundin“ in dieses Luxushotel geführt, um dort seiner Arbeit nachzugehen. Ich drängte den Gedanken an die Details seiner „Arbeit“ ganz weit in die hintersten Winkel meines Bewusstseins, denn je näher mir diese Bilder kamen, desto mehr flammte in mir der Wunsch auf, er würde das Gleiche einmal mit mir tun …

Anders als nach meiner schnellen Nummer mit Stephan, empfand ich bei dieser Vorstellung keinerlei Scham – nur Traurigkeit darüber, dass der Traum nie wahr werden würde. Seine Anziehungskraft verunsicherte mich zutiefst und ich sah kurz zu Boden, wobei mir zum ersten Mal seine Hände auffielen. Sie waren kräftig, aber nicht klobig, mit langen schlanken Fingern. Ich stellte mir für den Bruchteil einer Sekunde vor, wie er mich damit berührte.

„Hat dir dein erster Arbeitstag gefallen?“, unterbrach er gerade noch rechtzeitig meine Gedanken.

„Es war anstrengend, aber ich glaube, dass ich es für einige Zeit machen könnte“, antwortete ich ehrlich.

„Wie schön“, erwiderte er. „Dann sehen wir uns ab jetzt wahrscheinlich öfter.“

Sein Lächeln war so sexy, dass ich meinen Blick abwenden musste, um mich nicht in seinem Gesicht zu verlieren und ihn berühren zu müssen. Dann kehrte ich mit meinen Augen zu den seinen zurück und brachte ein heiseres „wahrscheinlich“ hervor. Jerry fuhr, wie schon früher in dieser Nacht, mit seinem Blick meinen Körper entlang und blieb an meinen Armen hängen, die noch immer krampfhaft meine Tasche umklammerten und an meinen Bauch drückten. „Was ist mit deiner Tasche?“

„Ach nichts …“ Ich ließ die Tasche sinken. „Ich hatte nur Angst vor Taschendieben, weil ich soviel Trinkgeld bekommen habe und …“

Mensch Marie, hinderte ich mich in Gedanken daran, weiter zu plappern. Warum erzählte ich ihm das, er konnte doch genauso gut auf mein Geld aus sein und mir die Tasche rauben, obwohl: Dann müsste er mich schon umbringen und dann würde er nie mehr ins „Glashaus“ gehen können. Anscheinend war ihm mein Unbehagen aufgefallen, er presste wie amüsiert seine Lippen aufeinander und hob eine Augenbraue.

„Hast du es noch weit bis nach Hause? Mein Taxi kommt gleich und ich könnte dich bei dir absetzen, bevor ich nach Hause fahre.“

„Oh danke, das ist nett, aber ich wohne nur fünf Gehminuten oder sogar weniger von hier entfernt. Es ist ein Katzensprung.“

Ich wollte auf keinen Fall mit diesem sexy Callboy in einem Taxi sitzen. Es reichte mir voll und ganz, dass mein Körper von mindestens einem Ameisenstaat besetzt war, wenn er mir einen Blick zuwarf. Zudem wollte ich nicht, dass er wusste, wo ich wohnte.

„Ich muss jetzt auch, mir wird langsam kalt und ich bin sehr müde.“

Ich hatte das Gefühl, als zöge Jerry mich mit einem unsichtbaren Band in seine Nähe: Wie er dort stand und mich von oben musterte … Ich wollte mich dieser Situation möglichst schnell entziehen – am liebsten wäre ich davon gerannt.

„Dann gute Nacht, Marie.“ Als er meinen Namen sagte, passierte etwas, das mich noch mehr beunruhigte. Mein Unterleib fühlte sich merkwürdig warm an.

„Gute Nacht. Bis morgen, vielleicht“, schob ich nach, und ohne ihn noch einmal mal anzusehen, ging ich schnell nach Hause.

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