Titel: Untendrumherumreden – Alles über Liebe und Sex
Autorin: Hannah Witton
Übersetzerinnen: Hanna Christine Fliedner & Jennifer Thomas
Format: Taschenbuch
Preis: 8,99 €
Seitenzahl: 304 Seiten
Verlag: Carlsen
ISBN: 978-3-551-31743-8
Bewertung: 5 Sterne
Inhalt
Auf ihrem YouTube Kanal nimmt Hannah Witton kein Blatt vor den Mund. Sie erzählt einfach, wie es ist, mit dem Sex und der Liebe. Also hat sie sich irgendwann gedacht, wieso nicht ein Buch darüber schreiben? Und dies dann in die Tat umgesetzt. Es geht um das erste Mal, um Verhütung, Selbstbefriedigung, Pornos, LGBTQ+, Konsens, Körperwahrnehmung und so viel mehr. Das Buch ist ein Mix aus persönlichen Anekdoten, wichtigen Kommentaren und hilfreichen Tipps, bei denen nicht nur junge Menschen etwas lernen können.
Das Buch habe ich bei Anna von Ink of books und Mareike von Crow and Kraken das erste Mal gesehen und mich direkt wieder daran erinnert, als Arvelle das Buch auf Lager hatte. Da ich große Lust darauf hatte, mich diesem Thema zu widmen habe ich es kurzerhand bestellt und dann auch direkt gelesen. Es war ein voller Erfolg!
Das Buch kann in meinen Augen als modernes Aufklärungsbuch durchgehen. Es ist modern, witzig und locker geschrieben. Die Leser*innen werden auf Augenhöhe abgeholt, nicht belehrt oder eine fremde Meinung wird aufgezwungen. Nein. Es wird sachlich und informativ aufgeklärt, ohne den erhobenen Zeigefinger zu nutzen. Schon im Vorwort sagt Witton, dass sie dieses Buch nicht geschrieben hat, dass man es am Stück durchliest. Jeder soll sich das Thema herausnehmen, das gerade Interessant ist und sich dann informieren. Es gibt so viele unglaublich wichtige Themen von Verhütung über Sexting zu Pornografie ist alles dabei, das junge Menschen ab, sagen wir mal 13+ interessiert. Und es ist so wichtig, dass sich Jugendliche heutzutage aufklären. Wenn es das private Umfeld nicht schafft, kann so viel falsch und schief laufen. Ein solches Buch ist unglaublich wichtig! So können auch junge Menschen richtig aufgeklärt werden ohne mit einer rotköpfigen Biolehrerin Reagenzgläser mit Kondomen zu überziehen (kleiner Disclaimer: das Buch erklärt zwar, worauf man achten muss, wenn ein Kondom übergezogen wird, man sollte es aber vorher wirklich einmal selbst testen, um eine ungewollte Schwangerschaft oder sexuell übertragbare Krankheiten zu vermeiden).
Überhaupt finde ich den Aufbau des Buches unglaublich gelungen. Es werden so viele Themen aufgegriffen, die längst im Unterricht und Lehrplan ihren Platz haben sollten. Nicht nur, dass über gesunde und ungesunde Beziehungen aufgeklärt wird, es gibt auch ein Bereich der allein LGBTQ+ gewidmet ist und verschiedene Identitäten beleuchtet, erklärt, was LGBTQ+ eigentlich ist und es kommen Own-Voices zu Wort, da Hannah Witton selbst eine weiße cis-hetero Frau ist und eben nicht dieselben Erfahrungen macht, wie jemand, der sich zu LGBTQ+ zählt. Ich finde es wunderbar und so wichtig, dass dieses Thema aufgegriffen wird.
Auch hier noch ein großes Lob an die Autorin: die Own-Voices Repräsentation in diesem Buch ist wirklich unglaublich gelungen. Nicht nur im Bereich LGBTQ+ kommen Menschen zu Wort, um über ihre Erlebnisse zu sprechen, sondern bspw. im Kapitel Pornografie. Ein Pornosüchtiger berichtet über seine Erfahrungen, wie es dazu kam und wie er sich davon lösen konnte. Mit diesem Thema wird so sensibel umgegangen, was mir wirklich gefallen hat. Es wird darüber berichtet und dargelegt, wieso Pornografie so gefährlich sein kann, gleichzeitig wird diese Sucht nicht verteufelt. Es kann eben jedem passieren.
Hannah Witton berichtet sehr ungeschönt von ihren eigenen Erfahrungen mit der Liebe, Sex und Beziehungen. Sie bindet auch die Erfahrungen ihrer Familie und Freunde mit ein, was das Buch umso sympathischer und authentischer macht. Es hat sich teilweise so angefühlt einem Bericht einer Freundin zu lauschen, die gerade ihre Probleme und Sorgen mit ihrem Sexleben vor mir ausbreitet. Was mir auch unwahrscheinlich gefallen hat war der Teil, mit dem Orgasmus und den Frauen. In Verbindung mit den verdrehten Vorstellungen, die uns Liebesromane / New Adult Geschichten oder auch Pornos in die Köpfe setzen, sollte unser erstes Mal welterschütternd sein und uns in eine neue Sphäre des Lebens heben. Diejenigen von uns, die ihr erstes Mal bereits erlebt haben, werden wissen, dass das nicht unbedingt der Fall ist. Deshalb kann ich für meinen Teil diese Multiple-Orgasmen-Erste-Male nicht ernst nehmen. Und Hannah Witton kann mit ihrem Buch die Augen all jener junger Mädchen öffnen, die sich verunsichert gefühlt haben, nachdem ihr erstes Mal eben nicht weltbewegend war. Großartig!
Außerdem geht es um Konsens, der in meinen Augen, immer wieder vergessen wird. Man sollte immer, wirklich immer, egal wie lange man schon in einer Beziehung ist oder nicht, fragen ob es in Ordnung ist jetzt Sex zu haben. Und erst wenn ein eindeutiges „Ja“ erfolgt, dann haben beide Spaß an der Sache. Ein „Nein“ bleibt ein „Nein“ und sollte auch als solches akzeptiert werden. Ein Ehering gibt keine allgemeingültige Einverständnis zum täglichen Sex und das sollte auch jungen Menschen vermittelt werden.
Noch ein paar Worte zur Gestaltung des Buches: es ist wirklich ansprechend und toll illustriert. Es gibt Zeichnungen, Muster und Darstellungen, die sich durch das komplette Buch ziehen und auch die Kapitel begleiten und untermalen. So nimmt es dem Buch ein bisschen dieses „Sachbuch“ / „Fachbuch“ Atmosphäre, denn es lockert alles etwas auf. Natürlich tut auch Hannah Wittons ansprechender Schreibstil sehr viel dafür, dass man sich überhaupt nicht fühlt, als würde man ein Sachbuch lesen. Es ist so erfrischend auf diese Weise aufgeklärt zu werden. Ich habe zwar nicht komplett neue Dinge für mich selbst erfahren aber werde das Buch definitiv einmal meinen Bio-Lehrerinnen Freunden zeigen und ihnen vorschlagen, damit im Aufklärungsunterricht zu arbeiten. Es wäre mir wirklich eine Freude zu wissen, dass einige junge Menschen wirklich mit einem ganz anderen Bewusstsein aufgeklärt werden.
Fazit
Ein wahrhaftig großartiges Aufklärungsbuch, das nicht nur durch ihre Gestaltung und den lockeren Schreibstil besticht, sondern auch mit der Auswahl der Themen. Die wichtigsten Dinge werden angesprochen, es gibt Own-Voices Repräsentation und es ist ein Sachbuch, das ohne erhobenen Zeigefinger auskommt. Junge Menschen können so unglaublich viel daraus lernen und auch ältere Leser*innen können noch Neues mitnehmen. Ich hatte unfassbar viel Spaß beim Lesen und werde das Buch definitiv immer und immer wieder empfehlen!