Es ist schrecklich. Es ist deprimierend. Und natürlich ist es auch empörend, dass drei israelische Religionsschüler im Alter zwischen 16 und 19 Jahren entführt und ermordet wurden. Andererseits kommen im Westjordanland auch immer wieder palästinensische Jugendliche (und Erwachsene) zu Tode – und die Israelis schlagen bereits mit Luftangriffen und weiteren Rache-Akten zurück: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Deshalb wird diese Region auch nie zur Ruhe kommen.
Hebron war schon immer eine heißes Pflaster – es handelt sich um eine der ältesten Städte der Welt, die noch immer bewohnt sind. Der Name der Stadt leitet sich ausgerechnet vom arabischen bzw. hebräischen Wort für „Freund“ ab, خليل bzw. חבר „Chaver“. Gemeint ist Stammvater Abraham, der als „Freund Gottes“ gilt und sowohl für Juden als auch Muslime entsprechende Bedeutung hat.
Als ich vor inzwischen mehr als 20 Jahren in Hebron war, gab es dort auch Auseinandersetzungen – ich erlebte zufällig eine Hausbesetzung, bei der radikale jüdische Siedler in der arabischen Altstadt von Hebron ein leerstehendes Haus annektierten. Sie reklamierten ihr Recht auf das Land, das Gott ihnen laut Bibel versprochen hätte. Die israelische Armee war vor Ort, um Ausschreitungen zu verhindern – sie ging sowohl gegen protestierende Palästinenser, als auch gegen übereifrige Siedler vor.
Es war eine dieser schizophrenen Situationen, wie ich sie während meines Israel-Aufenthaltes immer wieder erlebte: Einerseits ist Israel ein Rechtsstaat und versucht, darin auch vorbildlich zu sein. Andererseits ist der israelische Staat geradezu hysterisch auf seine Sicherheit bedacht und ordnet alles dieser ungeschriebenen, aber weitgehend akzeptierten Staatsraison unter. Dazu kommt, dass gerade die radikalen jüdischen Siedler im Westjordanland oft gar keine Israelis sind und Sabres (also im Land geborene) schon gar nicht, sondern jüdische US-Bürger, die nach alter Wildwestmanier mal eben die Grenze klar machen wollen und diese dabei auch gern überschreiten.
Ich weiß noch, wie irritiert ich als pazifistisch gesonnene BRD-Bürgerin war, als ich auf einer Demo der jüdischen Siedler in Jerusalem (West) entdeckte, dass viele der Demonstranten Waffen trugen. Dass ich ständig von israelischem Militär umgeben war, daran hatte ich mich ja schon gewöhnt. Auch daran, dass in den Egged-Bussen, die sowohl der Zivilbevölkerung, als auch dem Militär als Transportmittel dienen, ständig schwer bewaffnete Soldaten unterwegs waren. Ich hatte schon Touren hinter mir, auf denen ich die einzige (natürlich unbewaffnete) Zivilistin war. Und natürlich hatte ich auch in Deutschland schon an Demos teil genommen, bei denen den Demonstranten ebenso viele martialisch ausgerüstete Polizisten gegenüber standen. Aber jetzt eine Demonstration zu begleiten, bei denen die zivilen Demonstranten ihren 45er (oder was auch immer) gut sichtbar im Holster mit sich führten – da ging mir schon die Muffe. Als ich einen der Waffenträger schüchtern ansprach, ob ich denn fotografieren dürfe, klopfte der mir gönnerhaft auf die Schulter und meinte na klar, das sei ja schließlich ein freies Land hier, ich könne fotografieren, so viel ich wolle.
Dummerweise habe ich von jener Siedlerdemo und auch von der Hausbesetzung in Hebron trotzdem keine Bilder. Damals fotografierte ich mit einer vollanalogen Spiegelreflex-Kamera. Und ausgerechnet beim Film meines Lebens ging gleich beim Einlegen des Films die Perforierung kaputt – ich merkte das aber erst, als ich bei dem 36er-Film bei über 40 Bildern angekommen war, und der Zähler immer weiter zählte. Im Dunkeln riskierte ich dann, die Kamera zu öffnen und realisierte, dass der Film noch immer so war, wie ich ihn eingelegt hatte – ich sah, wo die Perforierung ausgerissen war und kapierte plötzlich, dass meine ganzen sensationellen Bilder, die ich zu schießen geglaubt hatte, gar nicht existierten. Das war einer der schlimmsten Momente meines Lebens.
Möglicherweise hat mich dieses Missgeschick vor einer Karriere als „echte Journalistin“ bewahrt, die ich ja eigentlich gern werden wollte. Dabei hatte ich meine Kamera samt Film in Hebron noch gegen israelische Soldaten verteidigt, die sie mir eigentlich wegnehmen wollten. Meine Naivität und Grundkenntnisse in Neuhebräisch retten mich damals, ich gab die harmlose Touristin, die ich ja tatsächlich auch war. Aber das reichte: Sie haben mich damals laufen lassen.
Und dann die totale Foto-Katastrophe: Die dramatischen Bilder von zwei der adrenalinhaltigsten Tagen meines Lebens alle übereinander: Nichts zu erkennen. Das war ein Zeichen. Als Krisenberichterstatterin taugte ich offenbar nicht.
Aber dafür kann ich jetzt auf meinem Blog ja schreiben, was ich will. Oder eher, was ich muss weiterhin schreiben, was ich nicht unbedingt will. Denn eigentlich bin ich es müde, weiterhin über den unendlichen Nahost-Konflikt schreiben. Es ist seit Jahrzehnten immer dasselbe: Die Israelis und die Palästinenser beschuldigen sich gegenseitig, sich das Land weggenommen zu haben und verlangen vom jeweils anderen, den ersten, zweiten, dritten Schritt zu tun. Aber die Palästinenser sind objektiv in der beschisseneren Situation. Und solange sich in Israel keine Mehrheit dafür findet, daran nachhaltig etwas zu ändern, werden sich die Palästinenser entsprechend wütend und verzweifelt wehren.