… und der Jüngling blickte in den See und ward verliebt …

… als er sich mit dem Schönen vereinen wollte, stürzte er in das Wasser und ertrank. Tragisch, was dem Sohn des Flussgottes zustieß, den Caravaggio so wunderschön malte, oder?

Es gibt ein neues Thema, sogar gleich mit Studie, zur Frage nach dem modernen, elterlichen Umgang mit den Kindern. Die Welt schreibt dazu “Überhöhung durch Eltern fördert Narzissmus bei Kindern”.

Hier geht es darum, dass Eltern (Viele? Manche? Einige? Die meisten?) ihre Kinder als Dreh- und Angelpunkt des Universums ansehen. Die Kinder sind als solche immer besser als andere und über jede Kritik durch andere Eltern, andere Kinder, ErzieherInnen oder LehrerInnen erhaben. Der Ansatz sieht sich hier im Gegensatz zur Psychoanalyse an der Stelle, dass den Kindern der Narzissmus anerzogen wird. In der Psychoanalyse ist es eher so, dass ein Mensch mit zu wenig Bezug zu anderen Menschen, also einer mit kleinem Selbstwertgefühl, zu einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung neigen kann. Ein eher vernachlässigtes als erhöhtes Kind wird zu einem selbstverliebten Pfau wird. Einer, der keine Kritik verträgt und sich gerne als überlegen darstellt. Weil er sich eben innerlich mickrig fühlt.

Logisch – wie Psychologie immer ist, meiner Meinung nach.

Die neuen Narzissten sollen der Studie nach dazu erzogen oder geprägt werden. Klingt auch nicht unlogisch. Aber ich finde, auch ihnen mangelt es doch an elementaren Dingen: Sie werden gefördert aber wenig gefordert. Sie dürfen nicht in Ruhe mal versagen und verzagen. Sie dürfen sich nichts zutrauen und sich mal überschätzen, um durch die Umwelt eine keine Korrektur des Selbstbildes zu erfahren. Wer perfekt ist und sogar über andere Kinder erhaben, ja, der kann sich ja gar nicht weiterentwickeln – ach, er muss es ja nicht!

Klar, wir alle haben mitbekommen, dass sich die Gesellschaft der Generation Selfie ganz gerne selbst betrachtet. Und jeder kennt mindestens ein Kind, dessen Eltern es glorifizieren, wette ich.

Ich habe immer mal wieder ganz gern betont, wie sehr ich gegen das Prinzip des “Projekt Kind” bin. Und wie schnell man vor allem bei Einzelkindern (ja ja, Klischeereiterei?) in die Falle gerät, das Kind in ein Zentrum zu setzen. Klar gibt es eine Menge nicht-narzisstische und sehr sozialkompetente Einzelkinder – aber eben auch andere. Um ein Einzelkind so zu erziehen, dass es selber aufräumt, den Müll rausbringt, seine Schuhe putzt und so weiter, braucht man innerlich die Überzeugung des pädagogischen Nutzens, Hat man mehrere Kinder, so ergeben sich diese Tätigkeiten aus der Logik des Zusammenlebens. Allein schon, weil die Eltern gar nicht die Diener markieren können. Die Versuchung, einem einzelnen Kind zu viel des Guten angedeihen zu lassen, ist jedenfalls gegebenen. Klasse ist, dass viele ihr dennoch widerstehen. Auch bei zwei Kindern ist es noch möglich, beiden alles hinterherzutragen und sie zu überhöhen. Aber ich glaube, die Möglichkeiten dazu sinken mit wachsender Kinderzahl. Also bezieht sich die Studie eventuell eher auf die moderne Drei-Personen-Familie, nehme ich an. Aber das macht sie ja weder uninteressant noch unwichtig. Der Trend zu wenigen Kindern ist nach wie vor da. Und er hat viele Ursachen, so viel ist bekannt.

Und wieder möchte ich anmerken, dass in den Zeiten vor dem Projekt Kind kein Raum war für Überhöhung. Klar gab es den klassischen verzogenen Adelsspross – aber schon mal etwas vom verwöhnten Bauernmädchen gehört? Ich auch nicht.

Die Gefahr, die eigenen Kinder zu erhöhen und mit Materiellem zu überhäufen ist recht neu, weil die Möglichkeiten dazu ebenfalls jung sind. Daher können gar nicht alle Eltern auf sie gefasst und innerlich vorbereitet sein. Das eine Kind ist eben eine ganz große Sache im Leben. Sie soll glücklich und perfekt für alle ablaufen.

Da können bestimmte Anlagen eben auf der Strecke bleiben.

Ich glaube definitiv nicht, dass eine Generation soziale Schwachmaten großgezogen wird. Aber es gibt mehr davon als vor ein paar Jahrzehnten. Irgendwie finde ich es nett, wenn es eine Phase im Leben gibt, die nur einem selbst gehört und in der man sich selbst wahrnehmen und seine (Aus-)wirkungen testen kann. Das sollte aber in einem gesunden Rahmen geschehen.

Insgesamt geht es ja immer um Strömungen – schon alte Philosophen der Antike moserten bekanntlich über die schlechten Manieren der nachfolgenden Generation. Daher halte ich nichts von einem Generations-Bashing. Aber ich denke, wenn man messbar machen kann, welche Strömungen und Trends es gibt, dann ist das interessant. Mehr Gewalt unter Kindern und härtere Gewalt unter jungen Erwachsenen ist eine Tendenz, die ich gefährlich finde. Und die wachsende Zahl Selbstverliebter auch.

Was nimmt man seinem Kind nicht alles, wenn man ihm alle Widrigkeiten aus dem Weg räumt? Wie wenig Selbstbewusstsein baut jemand auf, der als kleiner König geboren wird? Als Prinz und Prinzessin. Sind ja auch beliebte Kosenamen für Neugeborene, wenn ich das mal so anmerken darf. War in meiner Kindheit nicht so. Ich hatte keine Freundin, auf deren blütenweißer Bettwäsche in feinsten Rosa der Schriftzug “Kleine Prinzessin” stand. Und die Kindershirts haben inzwischen aussagekräftige Prints wie: “Mein Papa ist cooler als deiner” oder “Tut, was ich sage, sonst schreie ich” sowie “Ich bin die Prinzessin – erwartet meine Befehle”. Ich warte noch auf “Mein Papa hat den Längsten” und “Ich bin die rosa Projektionsfläche der Vorstellungen meiner Mama”. Das habe ich bisher noch nicht gesehen …

In der Antike, als man sich die verschiedenen Versionen der Geschichte des Narziss erzählt, warnte man bereits vor den Gefahren des Narzissmus: Mangelnde Selbsterkenntnis, die tödlich endet. Tödlich im symbolhaften Sinne. Wer sich nicht erkennen kann, der lebt nicht. Er ist ein Abziehbild, das Produkt seiner oberflächlichen Betrachtung. Er kann im Spiegel niemals erkennen, wer er wirklich ist, sondern erhöht sich aus Selbstschutz durch seine Schönheit oder Äußerlichkeit. So ist das gemeint, glaube ich. Und ein alter Hut, wie ich mal annehmen will. Narzissten gab es schon immer. Man kann sich die psychologischen Biographien vieler historischer Figuren ansehen und stößt immer wieder auf welche. Unter den Diktatoren gibt es zufälliger Weise eine Häufung.

Okay, mein Fazit: Ja, die Tendenz zum Narzissmus nehme ich auch wahr. Und zwar zum anerzogenen, der an der Basis meiner Meinung nach gar nicht so weit entfernt vom klassisch psychoanalytisch betrachteten steht, weil eben elementare Dinge wie Empathie und Selbstwertgefühl nicht durch hohle Glorifizierung entstehen können.

Wir dürfen unseren Kinder ruhig etwas zumuten. Sie können eine Menge (mehr als wir manchmal denken) und auch vieles aushalten. Vielleicht muss man nicht ohne Betäubung den Backenzahn ziehen lassen, aber Kinder können mit so vielen Dingen umgehen, dass ich manchmal ganz fassungslos bin. Das Schöne an Kindern sieht man nicht, wenn man sie mit Goldstaub bewirft. Damit verdeckt man es nur.



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