Ulrike Ottinger und Jonas Burgert in der Kestnergesellschaft Hannover, Februar bis Mai 2013

Ulrike Ottinger und Jonas Burgert in der Kestnergesellschaft Hannover, Februar bis Mai 2013

Ulrike Ottinger und Jonas Burgert in der Kestnergesellschaft, Hannover: Was diese beiden KünstlerInnen verbindet; warum sie in einer Ausstellung zusammen gezeigt werden - das habe ich noch nicht wirklich verstanden (aber manchmal sind es ja ganz äußere Gründe). Vielleicht ist die hohe Verweildauer die Gemeinsamkeit (ein quantitativer Begriff, der über die Qualität noch gar nichts aussagt): Vor den großformatigen Bildern bleibt mensch lange stehen, weil sie viele Einzelheiten enthalten, es also viel zu entdecken gibt; weil sie stark erzählerischen Charakter haben. Bei Ulrike Ottinger sind es mehr die Filme, die zu einer hohen Verweildauer einladen - die Vorführung des Filmes "Taiga" im Kino im Künstlerhaus Hannover in zwei Teilen dauert insgesamt 500 Minuten, also rund acht Stunden (zum Programm in diesem Blog) ein unglaubliches Extrem!

"Schutt und Futter" ist der Teil mit den Werken von Jonas Burgert (geb. 1969 in Berlin-West, in Berlin lebend) überschrieben - so rätselhaft wie auch die einzelnen Bildtitel; ich versuche es so zu verstehen: auch aus dem größten Schutt und Chaos kann geistige Nahrung erwachsen ..., und zweifle gleich daran, dass das so ist, denn die Bilder geben mir persönlich dazu keine Antwort.

Jonas Burgert_Luft nach Schlag_2012_400x690cm_PC Lepkowski Studios
Dieses Bild heißt "Luft nach Schlag" (von 2012). Ohne realistisch sein zu wollen, zeigt es die Stufen zum Ganges hinunter, knüpft dami an ein Kumbh Mela an, eines der Hindu-Pilgerfeste im und am Ganges. Viele Einzelheiten lassen sich studieren, mehr schrecklich als schön; es bleibt aber ein Gefühl der Leere zurück, denn die Summe der Teile ergibt kein Ganzes. 

Historisch möchte er nicht sein, sagt Jonas Burgert im Gespräch, es gehe hier um das Treffen am Gangesfluss als "geistiger Prozess", dargestellt werden die Momente nach dem Fest, "das ist mein Symbol". Nicht eine Idee stehe am Anfang, sondern eine "Atmosphäre", das Klima des Bildes, die eigene Empfindung. Das Thema werde in einer Vorskizze grob komponiert, den Rest mache die Fantasie (keine "Fantasy"!). Sozusagen entstünden Galeriebilder, es sei oft wie Malerei in der Malerei.

Jonas Burgert_Portrait_PC Thomas Busse-1"Burgerts Figuren", heißt es in den Pressetexten, "sind keine Individuen, sondern entsprechen vielmehr archetypischen Sinnbildern existenzieller Selbstvergewisserung. Allgemeine Gesten menschlichen Ausdrucks inszeniert Burgert mit einem großen Spektrum malerischer Mittel und verleiht seinen Bildern so eine auratische und universelle Strahlkraft. Oft gestaltet er seine Bildräume als kastenförmige Bühnen, auf denen er den ganzen Reichtum seiner Inszenierungen entfaltet. Räumliche Durchbrüche wie Brunnen, Schluchten oder Fenster verweisen auf eine andere Sphäre ..."

 

Es mag subjektiv sein, mehr angesprochen hat mich der Ausstellungsteil über und von Ulrike Ottinger (geb. 1942 in Konstanz, in Berlin lebend) mit der Überschrift "Weltbilder". Wie mensch eine Filmkünstlerin in einer Ausstellung präsentieren kann (über das bloße Zeigen der Filme hinaus) ist ja die Frage - die hier aber hervorragend gelöst ist. Die Ausstellung ist eine grandiose Inszenierung, die die Raumstrukturen der Kestnergesellschaft nutzt und an der die Künstlerin kräftig mitgewirkt hat. (Auf den Vorsatzseiten des Kataloges findet sich eine Planskizze Ulrike Ottingers, die zu studieren sich lohnt.) Dabei hat sie Gesammeltes (von den Reisen Mitgebrachtes) mit Selbst Geschaffenem raffiniert verbunden. Mehrere Blickachsen sind geschaffen; die Möglichkeiten für Durchblicke in dem ehemaligen Goseriede-Bad werden geschickt genutzt ("das gefällt mir hier in dem Haus", sagt die Künstlerin).

Ulrike Ottinger_Landkartencollage
Ein Ausgangspunkt sind Schulwandkarten mit aufgesetzten Ansichtskarten (die ihr aus aller Welt zugeschickt wurden), welche durch Fäden ausgerichtet werden - hier auf den Südpol.

Ich zitiere aus dem Pressetext, weil ich ihn gut formuliert finde:

"Die verschiedenen Aspekte ihres Oeuvres – Film, Oper- und Theaterinszenierung, Bühnenbild, Fotografie sowie von ihren Reisen inspirierte rituelle Objekte – fließen in eine großangelegte, sich über mehrere Räume erstreckende Installation ...
In der kestnergesellschaft verbindet die Künstlerin in einer einzigartigen Inszenierung, was sonst unverbunden bleibt, wodurch sie die Grenzen und Unterschiede zwischen den Kulturen zugleich verwischt, als auch klarer hervortreten lässt. Mit Postkarten und Stickereien versehene Schulwandkarten sind der Ausgangspunkt ihrer zwischen Realität und Fiktion mäandernden Installation, die zusammen mit Fotografien aus der Mongolei, Osteuropa und Mexiko verschiedene Welten erfahrbar macht.
Thematisch verknüpfte Objekte, Wandarbeiten und bearbeitete Fotografien verwebt die
Künstlerin im Ausstellungsraum zu einem dichten Netz der Bilder und Geschichten. Ergänzt wird die Inszenierung mit der Präsentation eines Ausschnitts aus »Taiga« (1992) – ein Film Ottingers, der ihre Reise zu den Yak- und Rentier-Nomaden im nördlichen Teil der Mongolei sowie zu der eigenen Geschichte dieser beiden Völker beschreibt – und mit der raumfüllenden Dia-Installation »Bildarchive«. Die Ausstellung ermöglicht eine faszinierende Begegnung mit den einfühlsamen bis schrillen, offenen bis persönlichen Blicken Ottingers auf die Welt, Geschichte und Kultur."

Ulrike Ottinger (C) Anne Selders 2010-1
Ulrike Ottinger zu begegnen, ihrer einfühlsamen Persönlichkeit, ist eine besondere Erfahrung. Die nächste Gelegenheit gibt es am 11. April 2013 ab 19 Uhr beim "kestnerdialog" im Rahmen des Begleitprogramms. 

Für mich persönlich ist es besonders faszinierend, wie in Hannover und Umgebung derzeit die verschiedensten Gelegnheiten entstehen, die vorurteilsfreie (und einfühlsame) Wahrnehmung "des Anderen" zu üben - Steve McCurry in Wolfsburg ist die deutlichste Querverbindung, dann in Hannover "Tabu"-Ausstellung, Anahita Razmi im Kunstverein, Meret Oppenheim und Boris Mikhailov im Sprengel-Museum, dazu verschiedene Lesungen im Literaturhaus, z.B. Marica Bodrožić und Christoph Ransmayr. 

Hier zeige ich noch drei Bilder aus den Filmen "Johanna d'Arc of Mongolia" und "Taiga". Zu den Filmen habe ich hier einen Extra-Artikel geschrieben.

Ulrike Ottinger_Johanna d’Arc of Mongolia 1

  Ulrike Ottinger_Die mongolische Prinzessin

Ulrike Ottinger_Die Baerenbezwingerin

Text: Dr. Helge Mücke, Hannover, mit Zitaten aus den Pressetexten wie gekennzeichnet; die Bilder von oben nach unten: Jonas Burgert, Luft nach Schlag (2012), 400 x 690 cm, Öl auf Leinwand © Jonas Burgert
Courtesy Blain | Southern, Foto: Lepkowski Studios; Porträt © Thomas Busse; Ulrike Ottinger: Collage
Weltbilder, Zeichnung, 2012 und Landkartenobjekt mit Zeichnungen und applizierten Postkarten III, Papier, Fotos, Postkarten, Stoffgarn, 2011 © Ulrike Ottinger; Porträt © Anne Selders, 2010-1; Ulrike Ottinger: Die mongolische Prinzessin Xu Re Huar mit ihren Reiterinnen, Kontext: Johanna d’Arc of Mongolia, Altan Gol, (Innere Mongolei), 1988 © Ulrike Ottinger; Ulrike Ottinger: Die mongolische Prinzessin Xu Re Huar als Epen-Erzählerin, Kontext: Johanna d’Arc of Mongolia, Altan Gol, (Innere Mongolei), 1988 © Ulrike Ottinger; Ulrike Ottinger: Die Bärenbezwingerin, Kontext: Taiga, Tingis (Mongolei), 1991 © Ulrike Ottinger.


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