Übernachtungsgastnacht

Übernachtungsbesuch ist doof. Besonders dann, wenn du in Formulierungskünsten schwelgend an einem Text sitzt, Millionen Kilometer weit weg vor dich hinträumst und vielleicht beim Denken gerade in der Nase bohrst. Zum Glück bleibt mir diese Peinlichkeit erspart, als zwei graue Mädchen um die Ecke hopsen.

„Anna hat ein Problem!"

Dann stehen sie still und kerzengerade und warten darauf, dass die Synapsen des Appellohres am Hirn Einlass verlangen. Alles in mir widerstrebt der buchstäblichen Zuwendung, als ich mich langsam zu ihnen drehe und die Wirklichkeit mustere.

Meine Tochter stößt ihre Freundin an. Die sind gar nicht grau, die stehen nur im Gegenlicht. Ach so.

„Ich habe ein Problem."

„Habe ich gehört. Und?"

„Ihr steht doch immer so spät auf."

Nee, liebes Kind. Wenn jemand bei uns übernachtet, stehe ich eher ziemlich früh auf. Die kleinen Geräuschchen der schon erwachten Gäste, die so betont unauffällig durch meine heiligen Hallen kriechen, nerven mich nämlich. Wenn ich keine Geräusche höre, bin ich erst recht hellwach. Was machen die da??? Und besonders lieb habe ich Gäste, die sich einen Wecker stellen. Oder um fünf Uhr morgens Essen verlangen. Oder die, die dauernd Essen verlangen, was meistens Hand in Hand geht.

Außerdem war ich bei Annas letzter Übernachtung hier um neun Uhr fix und fertig und hatte das Frühstück auf dem Tisch. Das ist früh fürs Wochenende.

„Naja, Louisa schläft doch immer so lange."

„Ja, ICH schlafe aus. Da müssen wir gar nicht diskutieren."

Genau. Meine geliebte Tochter hat den pubertären Langschlaf für sich entdeckt. Einigermaßen vernünftige Mütter machen in dem Fall drei Kreuze. Ich mache vier.

„Weiht ihr mich ein, um was es eigentlich geht?"

„Ich soll doch auf die neue Schule. Und da ist morgen Tag der offenen Tür. Da müssen wir hin. Mama hat deshalb gerade angerufen."

Stimmt - da war was.

„Ich muss um elf da sein. Aber ihr müsst nicht extra für mich aufstehen. Ich kann auch alleine gehen und mache dann einfach die Tür hinter mir zu."

„Das glaubst auch nur du, dass du hier alleine durch die Wohnung dappelst."
Autsch, ich glaube, das habe ich laut gesagt.
„Und welche Lösung hast du jetzt für das Problem?"
(Ich behalte vorsichtshalber für mich, dass ich jetzt erwarte: Bringt mich bitte zum Bus, ich schlafe dann lieber nicht hier...)

„... keine. Ich wollte nur Bescheid sagen."

*gnatz*
„Mach dir keine Sorgen. ICH stehe auf."

Die Mädels verschwinden im Kinderzimmer. Ich schenke meine Zuwendung dem Text, den ich ...

Prrrrrrrrrrrrrrrrt. Öppp öppp öppp. Trrrrrrrrrrrttt püddelpü düddeldüddeldüddel

„Macht ihr bitte die Tür zu?"

„Oh, Entschuldigung."

Tipp tipp tipp...

„Mama? Machst du bitte bitte bitte die Spinne weg? Die kriecht da über Justin Bieber. SO eklig!"

So schlimm ist JB doch gar nicht, sonst hätte sie das Poster ... ach, sie meint die Spinne.

Upps. Weg ist das Biest. Hat das Taschentuch wohl für die weiße Fahne gehalten und die Gelegenheit zur Flucht genutzt. Muss mir Louisas Freundin eigentlich bei ALLEM, was ich tue, auf die Finger sehen?

„So, weg ist sie." (Wo, sag ich lieber nicht). „War es das jetzt?"

"Eine hat deine Mutter weggemacht. Die andere ist hier noch irgendwo."

Mist. Ich trage das leere Taschentuch ganz vorsichtig Richtung Mülleimer. Jetzt bloß nichts zugeben.

Natürlich musste die "andere" Spinne gejagt werden. Aber die Mädels haben das prima hingekriegt und den kleinen Revoluzzer sogar gefangen, ohne dass sie oder die Katzen das Zimmer verwüstet haben. Jedenfalls glaube ich, dass es vorher schon so ausgesehen hatte.

Tipp, tipp, tipp...

„Mama, Anna hat vorgeschlagen, dass wir beide hier vorne im Wohnzimmer schlafen."

Mein Gott, es ist 22.30 Uhr!

„Das tut ihr ganz bestimmt nicht."

„Warum nicht? Dein Besuch schläft doch auch hier."

„Soll ich den vielleicht mit in mein ..."

Die Unterhaltung driftet ab - ich vergesse jetzt einfach mal die Ungehörigkeiten, die da aus dem minderjährigen Mund strömten.

Aber ich kenne die beiden Mädels inzwischen. Gut, dann bleibe ich eben auf und verteidige mein Wohnzimmer. Notfalls schlafe ich auf der Couch. So. Mitternacht.

Endlich Ruhe. Mein Kind hat mein Bett gekapert, die Freundin liegt auf allen verfügbaren Decken und Kissen und im Schlafsack auf dem Fußboden im Kinderzimmer. Fröhliche Übernachtungsgastnacht...

Um acht Uhr fahre ich aus einem eigentlich sehr schönen Traum, an dem ich gerne noch weiter gearbeitet hätte, hoch. Was ...?

Prrrrrrrrrrrrrrrrt. Öppp öppp öppp. Trrrrrrrrrrrttt püddelpü düddeldüddeldüddel

Ach ja. Da wollte jemand früh nach Hause. Alles klar. Gründlichst mögliche Schnellwäsche, Frühstück rausgestellt, freundlich geblieben, obwohl sie sich lautstark unterhalten wollte (Schnute nach dem "Psst" ignoriert). Also Augen zu, durch. Mein Kind schläft aus, entscheide ich.

„Ich habe nachgesehen. Der Bus kommt um zehn nach neun, der nächste erst wieder um halb."

„Ich muss aber erst um elf zu Hause sein."

„Das hast du so nicht gesagt."

„Doch."

Hat sie? Habe ich das falsch verstanden? Ich finde, dass mir das egal sein darf. Dann lernt sie jetzt eben, dass man die Dramatik auf die richtigen Teile einer Aussage legen muss. Und die wäre halt nicht die „Ihr steht so spät auf"-Problematik gewesen. Ätsch.

„Sorry, Herzchen. Ich bin nicht so früh aus dem Bett gekrochen, um jetzt zwei Stunden deinen Alleinunterhalter zu geben und ihr ward so spät im Bett, dass ich Louisa jetzt garantiert nicht wecken werde."

Die Kinder haben dann noch das ganze Wochenende über am Telefon gehangen. Sie können stundenlang schweigen.

Prrrrrrrrrrrrrrrrt. Öppp öppp öppp. Trrrrrrrrrrrttt püddelpü düddeldüddeldüddel

Nächstes Mal kaufe ich eines ohne Lautsprechertaste. Wo sind bitte meine Ohrstöpsel?

(Die Namen sind natürlich frei erfunden, die Kinder nicht ...)

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