Über Selbstwirksamkeit und Resilienz hochsensibler Kinder: "Komm raus, ich seh dich!" (Rezension mit Verlosung)

Es ist wiedermal Zeit für eine weitere Buchrezension: ein neues, phantastisches Buch über hochsensible Kinder ist im Februar 2016 im Festland Verlag erschienen, das ich gern vorstellen und verlosen möchte. Hier sind meine bisherigen Rezensionen zu finden. Das Buch Komm raus, ich seh dich!: Von Glück, Selbstwirksamkeit und Wachsen hochsensibler und hochbegabter Kinder von Britta Karres ist auch, wenn man fast alles, was zu diesem Thema auf dem Buchmarkt ist, gelesen hat, unbedingt einer Lektüre wert. Die Autorin ist u.a. in einer Erziehungsberatungsstelle tätig und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Hochsensibilität und Hochbegabung bei Kindern. Man merkt dem Buch positiv an, dass sie Menschen praktisch berät, ja, man kann es schon fast als Coaching-Buch lesen und viele konkrete Tipps daraus ziehen.
Das Buch ist sehr gut strukturiert und gegliedert, ein Schwerpunkt liegt auf der Schulzeit und den damit verbundenen immensen Herausforderungen für hochsensible Kinder. Nach einer Einführung folgt das ausführliche Kapitel "Hochsensibel stark werden mit den Eltern". Der Titel deutet schon an, welch große Rolle den Eltern hochsensibler Kinder zukommt. Entscheidend beim Umgang mit diesen Kindern ist nicht nur, die Kinder angemessen, verständnisvoll und wertschätzend zu begleiten, sondern auch sich selbst zu erkennen und zu reflektieren, unabhängig davon, ob man nun ein hochsensibles Elternteil oder nicht ist: "Wenn wir verstehen wollen, was unser Kind wirklich braucht, müssen wir erst unsere eigene Persönlichkeit kennen und sie klar von der des Kindes unterscheiden." (S. 20)
Alles steht unter dem Begriff der Selbstwirksamkeit, einer Fähigkeit, die "ihre entscheidende Prägung in der Kindheit erfährt. Selbstwirksamkeit setzt Resilienz - also seelische Widerstandskraft - voraus, die teils angeboren, teils auch trainierbar ist." (S. 10) Dabei kommt Eltern hochsensibler Kinder eine wichtige Rolle zu. "Das Erlernen und Einüben von Selbstwirksamkeit ist eine lebenslange Aufgaben, die in der häuslichen Erziehung begonnen wird." (S. 262f.) Es geht beispielsweise um Selbstachtung, Empathie, Impulskontrolle und Stressverarbeitung. Diese Fähigkeiten sind in unterschiedlichem Ausmaß angeboren, bei hochsensiblen Kindern aufgrund ihres "depressiven Realismus'" eher labil und störanfällig. Kommt dann noch die Prägung der Eltern dazu, die ihre eigenen Gefühle meist unterdrücken mussten, dann überträgt sich das leicht auf das hochsensible Kind und das Familiensystem gerät aus dem Gleichgewicht. "Unser Verhalten beeinflusst hochsensible Kinder noch stärker als normal sensible und daher ist es noch wichtiger, mit diesem Einfluss verantwortungsvoll umzugehen." (S. 101)
Genauso wichtig, wie das hochsensible Kind zu unterstützen, ist deshalb für Eltern, ob hochsensibel oder nicht, sich ihrer eigenen Geschichte, ihrer Prägung, ihrer Erinnerungen und Handlungsmuster bewusst zu werden und zu versuchen, daran zu arbeiten. Dafür sind im Buch wertvolle Tipps enthalten, die die Selbstwirksamkeit von Eltern trainieren sollen, denn "Selbstwirksame Eltern - selbstwirksame Kinder" (S. 94). Ich habe wirklich hilfreiche und augenöffnende Ansätze beim Lesen mitgenommen und auch Probleme aus einem anderen Blickwinkel betrachten können. Man bemerkt deutlich, welche Defizite man selbst als hochsensibles Elternteil hat, weil man eben nicht als Kind in seinen besonderen Eigenschaften und Bedürfnissen ernst genommen worden ist.
Auch wird beschrieben, welche Gefahren beim Blick auf ein hochsensibles Kind lauern, z.B. die eigene Betroffenheit, Überengagement, Überidentifikation, Festlegungen, übergroße Erwartung von Dankbarkeit und der implizite Wunsch, das Kind möge die eigenen Kindheitswünsche der Eltern erfüllen. Diese kritischen Punkte finde ich immer sehr erhellend zu lesen und erkenne mich zum Teil selbst wieder. Das wiederum ist der erste Schritt zur Veränderung. Sehr wichtig ist, das Kind als eigenständige Persönlichkeit wahrzunehmen und es nicht auf bestimmte, unabänderliche Charakterzüge festzunageln, denn: "Was Charakter und was momentanes Bedürfnis ist, bleibt im jüngeren Kindesalter noch sehr variabel und sollte auch so betrachtet werden, um die Möglichkeit der Entwicklung nach allen Seiten offen zu halten." (S. 111)
Es folgt ein sehr anregendes, reiches und praxisnahes Kapitel über "Die Fünf Schritte zur starken, hochsensiblen Persönlichkeit". Hier werden anhand von konkreten Beispielen Strategien erörtet, wie man hochsensiblen Kindern an schwierigen, belastenden Punkten Hilfe zur Selbsthilfe geben kann. Es geht um Selbstberuhigung, den Umgang mit Stress, Achtsamkeit, Verständnis, Verbalisierung von Gefühlen, Selbstbestimmtheit, Optimismus, Wertschätzung, Respekt, Einfühlungsvermögen, Beziehungsfähigkeit, Vertrauen, Bestärkung und Selbstachtung. Jedes dieser Schlagwörter wird theoretisch und praktisch erläutert und Hilfsmittel im Alltag wie Rituale, Musik, Sport, Berührungen, Familienregeln oder beispielsweise Anker vergegenwärtigt. "Anker können Gesten, Wörter, Gerüche, Lieder oder Berührungen sein und entstehen einerseits durch Zufall" (S. 135), können aber auch gezielt eingesetzt werden, um bestimmte Emotionen abrufbar zu machen. "Hat ein Kind gerade ein Erfolgserlebnis, können Sie dieses Hochgefühl festigen und für die Zukunft abrufbar machen, indem Sie ganz gezielt dieses Gefühl mit einem Sinneseindruck koppeln." (S. 136). Immer, wenn zukünftig der Anker aktiviert wird, entsteht das Hochgefühl und damit eine Selbst-Ermutigung. In dem Kapitel sind noch mehr solcher wertvollen Tipps enthalten.
Im letzten, umfangreichen Kapitel "Hochsensibel stark und erfolgreich in der Schule" werden so ausführlich wie selten in Büchern über hochsensible Kinder die Herausforderungen des Schulalltags beschrieben und das Potential, aber auch die Gefahren einer Schulkarriere geschildert. Zwar habe ich selbst noch kein Schulkind, hege aber jetzt schon viele der geäußerten Gedanken und Befürchtungen hinsichtlich des Schulstarts meines Sohnes im nächsten Jahr. Problematisch können sein: die Lautstärke, der Wettkampf, mangelnde Anerkennung von Individualität, fehlende Selbstbestimmung, die Tendenz hochsensibler Kinder, Autoritäten zu hinterfragen, die mündliche Mitarbeit, die Flucht ins Träumen bei zu hohem Reizvolumen, der Perfektionismus, die leichte Verunsicherung, Prüfungsängste sowie die Ambivalenz aus intellektueller Unterforderung und gleichzeitig sozialer und emotionaler Überforderung sowie Reizüberflutung. "Die Schule ist auf die Bedürfnisse der nichthochsensiblen Mehrheit ausgerichtet." (S. 223) Eltern und Lehrer haben nun gleichermaßen die Verantwortung, verständnisvoll, wertschätzend, motivierend auf hochsensible Schulkinder einzugehen. Besonders entscheidend ist eine vertrauensvolle, offene Beziehung zwischen den Eltern und dem Bezugslehrer. Eltern müssen eine Vermittlerrolle einnehmen, was sich manchmal als Balanceakt zwischen einem im Schulalltag leidenden hochsensiblen Kind (psychosomatische Beschwerden sind sehr häufig) und der herrschenden Schulpflicht darstellen kann.
Das Schul-Kapitel richtet sich auch explizit an Lehrer, die sehr viel Einfluss auf das Klima in einer Schulklasse und die Entwicklung ihrer Schüler nehmen können. Lehrer sollten sich - genauso wie Eltern - immer wieder hinterfragen und reflektieren, anstatt die Schuld für problematische Entwicklungen ausschließlich bei den Schülern oder in den Elternhäusern zu suchen. Denn: "Im Umgang mit Kindern ist unsere psychische Verfassung nicht nur unsere Privatsache, denn sie wirkt unmittelbar auf die seelische Entwicklung der Schüler ein." (S. 220) Leider werden Fähigkeiten wie psychologisches Geschick und seelische Stärke in der pädagogischen Ausbildung kaum vermittelt. Die Autorin stellt einige sehr gute Tipps und Ratschläge vor, wie die Schulkarriere hochsensibler Kinder erleichtert werden kann, z.B. durch das Einrichten von Rückzugsräumen. Ein speziell für die Schule entwickeltes Konzept der Achtsamkeit erwies sich als sehr wirksam und erfolgreich und sollte weitere Verbreitung erfahren. Der Schultyp ist dabei für hochsensible Kinder gar nicht unbedingt entscheidend, sondern das Schulklima, was maßgeblich vom Lehrpersonal geprägt wird. Emotionale und soziale Komponenten sind nachweislich stark für den Lernerfolg und das Wohlfühlen in der Schule verantwortlich. Es ist deshalb immens wichtig, dass Lehrer und Eltern Hand in Hand arbeiten und ihren hochsensiblen Kindern bzw. Schülern Wertschätzung und Verständnis entgegenbringen und sie entsprechend anleiten, um den Drahtseilakt zwischen der nötigen Anpassung an die Mehrheit und dem Wunsch, sich selbst treu zu bleiben, zu meistern.
Das Buch ist wirklich eine Fundgrube sehr fruchtbarer Ansätze, Gedanken und Tipps, regt zum Nachdenken und Reflektieren an und ist mit seiner Praxisorientierung Eltern (und sicherlich auch Lehrern) eine große Hilfe im Umgang mit hochsensiblen Kindern. Zitate von hochsensiblen Kindern und deren Eltern veranschaulichen die Problempunkte, und auch schwierige Themen wie Schulverweigerung werden sachlich und konstruktiv dargestellt. Das Buch ist eine große Bereicherung auf dem Buchmarkt zum Thema hochsensible Kinder und kann jedem Interessierten empfohlen werden.
Die Eckdaten:
Britta Karres: Komm raus, ich seh dich!: Von Glück, Selbstwirksamkeit und Wachsen hochsensibler und hochbegabter Kinder, Festland Verlag, Februar 2016, 288 Seiten, ISBN 978-3950412116, € 21,50
Verlosung
Ich freue mich, ein weiteres Exemplar des Buches Komm raus, ich seh dich! verlosen zu dürfen. Um in den Lostopf zu hüpfen, hinterlasst mir bitte hier einen Kommentar darüber, was euch an dem Thema interessiert und, falls ihr ein hochsensibles Schulkind habt, wie es in der Schule klarkommt. Zusätzlich würde ich mich freuen, wenn ihr mir auf Facebookfolgt und mir hierein Herzchen gebt. Ist aber keine Bedingung. Bitte gebt euren Namen an, sonst kann ich euch nicht berücksichtigen!
Die Verlosung läuft bis zum 26.06.2016, 23:59 Uhr. Unter allen bis dahin eingehenden Kommentaren wird der Gewinner/die Gewinnerin ausgelost und hier sowie auf Facebook bekanntgegeben. Die Verlosung steht in keinem Zusammenhang mit Facebook. Versand nur innerhalb Deutschlands. Mindestalter 18 Jahre. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Viel Glück!
Vielen Dank an den Festland Verlag für das Rezensions- und das Verlosungsexemplar.
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