Über Gewalt, GegenGewalt und Militanz

„…Wir haben in aller Sachlichkeit über den Krieg in Vietnam informiert, obwohl wir erlebt haben, daß wir die unvorstellbarsten Einzelheiten über die amerikanische Politik in Vietnam zitieren können, ohne daß die Phantasie unserer Nachbarn in Gang gekommen wäre, aber daß wir nur einen Rasen betreten zu brauchen, dessen Betreten verboten ist, um ehrliches, allgemeines und nachhaltiges Grauen zu erregen… Da sind wir auf den Gedanken gekommen, daß wir erst den Rasen zerstören müssen, bevor wir die Lügen über Vietnam zerstören können, daß wir erst die Marschrichtung ändern müssen, bevor wir etwas an den Notstandsgesetzen ändern können, daß wir erst die Hausordnung brechen müssen, bevor wir die Universitätsordnung brechen können.

Peter Schneider hatte mit seiner Rasen-Rede ein prägnantes Bewegungsbild der 68er Revolte gezeichnet. Es ging darum, den Rasen zu betreten, um auf das Eigentliche zu sprechen zu kommen. Das Duckmäusertum, die Gleichgültigkeit gegenüber Krieg und postfaschistischer Kumpanei sollte in der Raserei über die Missachtung eines Verbotsschildes: ›Rasen betreten verboten‹, sichtbar gemacht werden. Um dieses Heer aus grauen Mäusen aus der Fassung zu bringen, reichte es vollkommen, die Hausordnung zu stören, Regeln zu übertreten, Konventionen zu missachten.

Diese Idee, alle BürgerInnen zu entwaffnen und dem Staat ein Gewaltmonopol zuzusprechen, ist in der Staatengeschichte recht jung. Die bürgerlichen Revolutionen, auf die alle europäischen Regierungen mit Stolz verweisen, hatten sich in aller Regel mit einer gehörigen Portion Gewalt gegen die Feudalherrschaft durchgesetzt. Kaum an der Macht schwante der siegreichen Klasse, dass ihr das gleiche Schicksal widerfahren könnte und kam sogleich auf eine geniale Idee. Um ihre Macht zu sichern, schlug sie in Unternehmermanier einen Gesellschaftsvertrag vor – über den nie wirklich abgestimmt wurde. Die Idee war auf den ersten Blick beeindruckend: Der Staat wacht als neutrale, über den Interessen stehende Instanz darüber, dass die unterschiedlichen, gesellschaftlichen Interessen fair und gerecht ausgetragen werden. Der/die Bürger verzichten dabei auf die Ausübung von Gewalt und der Staat garantiert, dass diese Interessen frei und souverän eine Übereinkunft erzielen können. Der Trick an diesem Gesellschaftsvertrag ist schnell durchschaut: Die Gleichheit der BürgerInnen gilt nur in politischem Sinne, insoweit sie alle eine (Wahl-)Stimme bekommen, um ihre Interessen vertreten zu lassen. Also einmal in vier Jahren. An allen anderen Tagen bestimmt ihr ökonomische Ungleichheit ihren Alltag. Ein Hausbesitzer kann sich seine Mieter aussuchen, aber nicht umgekehrt, ein Unternehmer kann seinen Angestellten feuern, aber die Lohnabhängigen nicht ihren Chef. Ein Ladenbesitzer kann die Preise seiner Waren erhöhen, aber der/die Käufer nicht den Preis der Waren reduzieren… Und selbst die politische Freiheit stellte sich schnell als Trugbild heraus, denn eine Partei, die Millionen an Spendengeldern aus der Business Class bekommt, hat ganz andere Chancen als eine Partei, die von der ökonomischen Klasse nicht bedacht wird. Wenn also ein Staat nicht die Summe seiner WählerInnen ist, sondern die Summe des eingesetzten Kapitals, ist ein solcher Staat nicht neutral, sondern politischer Verwalter und Exekutant jener Kapitaleigner, die ihre geringe Zahl an Wählerstimmen durch das maximale Stimmrecht des Geldes zu kompensieren verstehen – im Zweifelsfall mithilfe staatlicher Gewalt.

Zu aller erst hieße es, die Gewaltfrage auf die Füße zu stellen und zu Ulrike Meinhofs Feststellung zurückzukommen:

»Protest ist, wenn ich sage, was mir nicht passt. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das was mir nicht passt, auch nicht geschieht.«

Wer sich dieser Unterscheidung stellt, wer diese teilt, fragt nicht mehr nach der Gewalt, sondern findet sie vor. Was also tun, damit das, was uns nicht passt, auch nicht geschieht? Was tun, wenn jene, denen alles passt, alles veranlassen, damit sich daran nichts ändert?

Mit der Behauptung von GegenGewalt ist  immer mehr gemeint als sich der herrschenden Gewalt nicht zu beugen. Will sie nicht gleichziehen, muss sie darüber hinausweisen, muss die in ihr eingeschriebene Verneinung auch sichtbar machen. GegenGewalt, Militanz muss also mehr als eine Rechtfertigung sein, mehr sein als eine Entschuldigung, der Gegner habe uns keine andere Wahl gelassen. GegenGewalt heißt nicht, einen günstigen Augenblick abzupassen, wo wir mehr sind, wo wir mit gleicher Münze heimzahlen, also gleichziehen können. Mit GegenGewalt ist mehr gemeint, als sich dem in den Weg zu stellen, sich nicht vom eigenen Weg abbringen zu lassen. Manchmal ist es richtig, auszuweichen, der Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Ein anderes Mal ist es richtig, den Zeitpunkt der Konfrontation selbst zu wählen.

GegenGewalt, Militanz ist keine Frage des Mutes, keine Frage des Sachschadens, keine Frage der Laufwege und keine Frage der Härte. Es gibt weder die Mittel, woran man Militanz erkennt, noch Mittel, die per sé friedlich, gewaltfrei sind. Militanz erkennt man nicht an den richtigen Mitteln, sondern an einer Lebenshaltung, an einer politischen Grundhaltung. Dafür gibt keine ›richtigen‹ Mittel. Es gibt Reden, die gerade völlig fehl am Platze sind, Flugblätter, die im falschen Moment geschrieben werden, Steine, die im falschen Moment aufgehoben werden, in die falsche Richtung fliegen können. Es gibt also keine emanzipatorischen Mittel, sondern nur Mittel, die sich an ihren Zielen messen, sich über ihre Ziele rechtfertigen müssen.
…“

Wolf Wetzel

Quelle und gesamter Text: http://wolfwetzel.wordpress.com/2011/05/18/gewalt-gegengewalt-militanz/#more-2542



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