Über die natürliche Ohnmacht der 4. Gewalt

Es ist immer wieder interessant und aufschlussreich, wenn Journalisten anfangen, über die Medien zu lamentieren. Die 4. Gewalt im Staat, also die Medien, die der Kontrolle der drei anderen Staatsgewalten dienen sollen funktioniert gar nicht! (Für alle, deren Gesellschaftskunden-Unterricht schon eine Weile her ist: Gemeint sind die legislative, exekutive und judikative Gewalt, also Gesetzgebung, Vollzug der Gesetze und Rechtsprechung als von einander unabhängige Staatsorgane, auf die die Staatsgewalt verteilt wird.) Jedenfalls funktioniert sie nicht so, wie sie funktionieren soll, nämlich in dem sie mit umfassenden und objektiven Informationen über alle möglichen Sachverhalte zur Bildung einer möglichst unabhängigen öffentlichen Meinung beiträgt.

Aber Skandal: Die Medien sind gar nicht objektiv! Sie informieren die Leute gar nicht, im Gegenteil, sie lenken von wirklich wichtigen Dingen ab, in dem sie über irgendwelche Pseudoereignisse berichten, die eigentlich niemanden interessieren! Oder niemand interessieren sollten, während die eigentlich wichtigen Ereignisse und Fakten unter den Tisch fallen und nur in irgendwelchen Protokollen, Studien und Fachartikeln stehen, jedenfalls da, wo sie von der öffentlichen Meinung nicht gefunden werden.

So regt sich Bernd Ziesemer im Handelsblatt darüber auf, dass die Occupy-Bewegung zu einem Medienergeignis stilisiert werde, wo doch überhaupt nicht klar sei, ob die paar tausend Leutchen, die da jetzt auf die Straße gehen, eine irgendwie geartete demokratische Legitimation hätten, irgendwelche Kritik oder gar Forderungen gegenüber Banken und dem Finanzsystem zu äußern.

Aber statt diesen Protest objektiv als weitgehend bedeutungslos einzuordnen würden die Protestler mit übergroßem Medieninteresse überhäuft und bekämen zur besten Sendezeit auch noch jede Menge Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Besonders schlimm: „Schon vor den eigentlichen Demonstrationen durfte sich ein Sprecher der Organisation in verschiedenen Talkshows und Nachrichtensendungen mit seinen eher simplen Thesen produzieren – und so quasi kostenlos für seine Zwecke die öffentlich-rechtliche Werbetrommel rühren.“

Als ob in Talkshows jemals etwas anderes als eher simple Thesen verbreitet würden! Ständig dürfen Politiker mit ihren immer gleichen Sprechblasen zur besten Sendezeit Werbung für ihre ebenfalls recht simplen Thesen Werbung machen, genau wie irgendwelche Promis kostenlos Werbezeit für ihre Bücher voller meist auch sehr simpler Thesen zur Verfügung gestellt bekommen. Wer würde denn eine Talkshow anschauen, in der sich echte Experten umfassend und tiefschürfend über die Probleme der Menschenheit austauschen?! Außer mir bestimmt nur noch die paar Leser eher unbekannter Internet-Blogs.

Ich finde erstaunlich, dass ein gestandener Journalist wie Bernd Ziesemer noch immer so naive Vorstellungen von seinem Gewerbe hat. Vermutlich hat er die aber gar nicht, sondern er betreibt selbst gezielt das, was er vorgeblich kritiert: Gezielte Desinformation. Vielleicht ist er einfach in die von ihm selbst entlarvte Neidfalle geraten.

Wenn man sich einmal anschaut, über was so berichtet wird, ist das eine Aneinanderreihung von Pseudo-Ereignissen, bei denen sich ein halbwegs wacher Menschen ohnehin ständig fragt, warum in aller Welt er sich dafür interessieren sollte. Warum gibt es jeden Tag zur besten Sendezeit einen ausführlichen Bericht über die Aktienkurse, obwohl nur ein paar wenige Prozent der Leute, damit belästigt werden, überhaupt Aktien haben? Warum wird ständig über Fußball berichtet? Warum sollte mich interessieren, dass ein deutscher Weltenbummler irgendwo am Ende der Welt zerstückelt wurde? Und wenn man sich die Berichterstattung zum Tod von Muammar al-Gaddafi anschaut, könnte man meinen, dass er mindestens der Anführer einer erfolgreichen Weltrevolution gewesen sein müsste, um dermaßen viel Aufmerksamkeit zu verdienen. Da ist ein Mensch, wie immer man ihn und seine Taten einschätzen will, im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode berichtet worden – darüber regt sich aber kein Ziesemer auf.

Es ist nun einmal eine Tatsache, dass Medien niemals unabhängig im luftleeren Raum schweben, sondern immer ein Bestandteil der jeweiligen staatlichen Inszenierung sind. Bei uns werden Freiheit, Demokratie und Pluralismus groß geschrieben, also berichten Medien frei, demokratisch und pluralistisch über das, was gerade angesagt ist. Das ist einerseits unser formidables Wirtschaftssystem samt seiner Krisen – über den Euro, Euro-Krisen und Euro-Rettungsschirme wird derzeit bis zum Erbrechen berichtet, ohne dass die öffentliche Meinung irgendeine Möglichkeit hätte, an den Beschlüssen der Politik etwas zu ändern, selbst wenn sie zu der Meinung gelange würde, dass mit diesem Wahnsinn endlich Schluss sein müsste. Schon im Namen der relativen Unabhängigkeit der Presse, die immerhin gilt, solange sie sich auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung befindet, sollte sogar ein Herr Ziesemer es ertragen, wenn dann zur Abwechslung auch mal über die Meinung der Leute auf der Straße berichtet wird, selbst wenn es sich nur eine demokratisch nicht legitimierte Minderheit handelt, die lautstark eine Meinung äußert.

Mir persönlich wäre es natürlich viel lieber, wenn die Leute, wenn sie nun schon einmal die geballte mediale Aufmerksamkeit haben, nicht nur Meinungen äußern würden, sondern fundierte Analysen, was gerade falsch läuft und warum und was man daran ändern sollte. Aber woher sollen sie das wissen, darüber wird ja nicht berichtet! Und wenn die Protestierer auch noch mit fundierten Analysen darüber brillieren würden, warum unser System am Ende ist und sich eine Reform nicht lohnt, weil die Menschheit nur überleben wird, wenn sie sich nicht nur vom derzeitigen Weltfinanzsystem, sondern vom Kapitalimus überhaupt verabschiedet, würde garantiert nicht mehr darüber berichtet, sondern die Systemkritiker umgehend aus dem Verkehr gezogen.

Noch besser fände ich es deshalb, wenn nicht immer über die gezielte oder auch unabsichtliche Desinformation in unseren Medien lamentiert würde, sondern wenn sich einmal wache Geister damit beschäftigen würden, warum das mit der unabhängigen und objektiven Presse überhaupt nicht funktionieren kann. Um die herrschende Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten, kann es nämlich gar kein Interesse an einer wirklich objektiven und unabhängigen Berichterstattung geben. Sobald es nur geringste Abweichungen von der gewünschten öffentlichen Meinung gibt, ist das Geschrei der freiheitlich-demokratischen Tugendwächter groß – da brauchte nur eine kleine linke Zeitung eine abweichende Meinung zum Jahrestag des Mauerbaus zu haben und schon hagelte es Schelte und Boykott-Aufrufe. Das gilt genauso für eine andere kleine Zeitung am rechten Rand, die auch irgendwas mit „junge“ heißt, die ich der Objektivität halber auch erwähnen will, obwohl ich die keineswegs vermissen würde.

Was ich damit zum Ausdruck bringen möchte ist: Das erlaubte Meinungsspektrum in den Medien ist ohnehin ziemlich eng geworden. Das liegt aber nicht daran, dass die Medien immer gezielter desinformieren, sondern daran, dass sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ganz allgemein die Ansicht durchgesetzt hat, das linke, also nicht kapitalistisch ausgerichtete, Systemansätze obsolet geworden sind. Wozu natürlich auch die Medien beigetragen haben. Und nur weil eine Welt ohne Kapitalismus offiziell undenkbar geworden ist, kann so ungeniert über das Versagen eben jenes kapitalistischen Systems berichtet werden. Das frustrierendste aber ist: Es braucht gar keine gezielte Desinformation mehr, um die Leute zu manipulieren – die Leute richten sich freiwillig und von allein so zu, dass sie irgendwie in diesem System funktionieren. Das gilt natürlich auch für die Medienmacher. Ob da die Banken ein bisschen mehr oder weniger vom Staat oder wem auch immer kontrolliert werden, spielt eigentlich keine Rolle, solange sie existieren und das Geld und somit die Lebensgrundlage von uns allen in der Hand haben.



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