Über die Metapher des Wachstums - Ausstellung im Kunstverein Hannover, Mai-Juni 2011

Über die Metapher des Wachstums - Ausstellung im Kunstverein Hannover, Mai-Juni 2011

Wachstum und Wachstum ist nicht dasselbe - das begreift man rasch, wenn man die neue Ausstellung im Kunstverein Hannover besucht (16. April bis 26. Juni 2011). Ein natürliches Wachstum im Reich des Lebendigen (z.B. die Mikro-Algen in der Wasserflasche) oder das "Wachstum" von Kristallen im leblosen Naturbereich sind allein schon etwas sehr Verschiedenes. Das eine ist eher positiv besetzt, das andere wirkt - zumindest in einer Installation wie dieser (Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger, zweites Bild) eher bedrohlich, angstmachend. Die Technik wird (zurück)erobert.

 

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Noch schwieriger wird es, wenn man an den abstrakten Bereich denkt, der schlecht im Bild gezeigt werden kann - da wird "Wachstum" wirklich zur bloßen Metapher. Man denke etwa an die "Grenzen des Wachstums". In der Ausstellung aber kommt auch das vor: Julika Rudelius lässt in ihrer Videoarbeit "Economic Privacy" (2005) fünf Protagonisten aus dem Wirtschaftsumfeld sprechen, sie erklären Geld und Gewinnmaximierung zum obersten Ziel und zur Triebfeder ihres Handelns. Gerade diese an sich trockene - weil kaum zu visualisierende -  Darstellung hat mich besonders beeindruckt, nachdem ich mir die Mühe gemacht hatte, alles anzuhören. Das spricht wirklich für sich!

Wachstum und Wachstum ist nicht dasselbe - das, was man in der Ausstellung unmittelbar erleben kann, wird im Katalog so erklärt: "Die moderne Welt ist gekennzeichnet durch eine ständige Tendenz zum Wachstum, zu einem Wachstum des Sozialprodukts bzw. des Volkseinkommens ... Wenn die Wachstumsrate konstant bleibt, dann wächst der Zuwachs des letzten Jahres immer mit. Das heißt: der absolute Zuwachs wird immer größer. Mathematisch spricht man von einem exponentiellen Wachstum. Ein solches Wachstum hat keine Grenzen. Es muss immer weitergehen. Es schießt sozusagen in den Himmel. Damit unterscheidet es sich vom Wachstum der Natur, vom Wachstum der natürlichen Lebewesen, der Pflanzen, Tiere und Menschen. Dieses Wachstum hat ein Ende, es ist begrenzt. Der Zuwachs ist am Anfang groß, wird aber immer kleiner, bis er ganz aufhört. Kein Baum wächst in den Himmel. Mathematisch spricht man von einem logistischen Wachstum."

Über diese großartige Themenidee kann man sich nur freuen, daraus könnte man mindestens zehn weitere Ausstellungen machen! Drei sind es hier tatsächlich, denn diese Ausstellung ist Ergebnis eines Kooperationsprojektes des Kunstvereins Hannover mit dem Frankfurter Kunstverein und dem Kunsthaus Baselland - in allen drei Häusern wird es unterschiedlich angepackt, leicht zeitlich versetzt, man müsste eigentlich eine Kunstreise daraus machen. 28 internationale zeitgenössische künstlerische Positionen sind es insgesamt, die sich mit dem Begriff des Wachstums auf vielfältige Weise künstlerisch auseinandersetzen. 15 sind in Hannover vertreten. Die Bandbreite ist groß, bis hin zur satirischen oder ins Absurde führenden Überspitzung. Drei Beispiele seien hier noch hervorgehoben.


Die dänische Künstlergruppe "Superflex" zeigt in einer Videoinstallation eine McDonalds-Filiale, die aus unerklärten Gründen überflutet wird, das Wasser steigt und steigt.

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Besonders unangenehm, ja geradezu ekelhaft wirkt die Videoarbeit "Dough" (2006) von Mika Rottenberg. Mehrere Frauen sind endlos dabei, im Keller einen Teig zuzubereiten, der wächst und wächst; die Produktionsabläufe führen sich selbst ad absurdum.

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Rachel Sussmann wiederum kommt auf die Natur zurück, sie zeigt in einer Fotoserie die ältesten Lebewesen der Welt - hier ist es ein Blick in die Atacama-Wüste in Chile mit einer etwa 3000 Jahre alten Pflanze.

 (C) Text und die beiden oberen Bilder: Dr. Helge Mücke, Hannover (gelegentlich unter Verwendung von Pressetexten). Die übrigen Bilder sind Pressefotos, die nicht frei zur Verfügung stehen, von oben nach unten:

 Superflex: Flooded McDonald’s, 2008; RED Videoprojektion; 21 Min.; Videostill

Mika Rottenberg: Dough, 2006, Videoinstallation, Farbe, Ton, 7 Min.; Videostill; Courtesy Nicole Klagsbrun Gallery, New York

Rachel Sussman: La Llareta #0308-23B26 (Up to 3,000 years old; Atacama Desert, Chile), 2008; aus: The Oldest Living Things in The World, Pigment Prints (fortlaufende Serie) , 33 x 38 cm


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