Früher(tm) hatte ich das Gefühl es gab eine inhaltlich heterogene, aber vom Selbstverständnis recht homogene Blogger_innen-Community. Wir bloggten, weil wir etwas veröffentlichen wollten. Weil wir, zumindest selbst der Meinung waren, etwas zu sagen hatten. Blogs waren das beste Werkzeug dafür. Foren wären noch eine Möglichkeit, aber wir wollten etwas eigenes. Und wir waren alle am Experimentieren. Blogs waren neu, es gab weder etablierte Regeln noch vorherrschende Praktiken. Das spiegelt sich auch in den damaligen Veranstaltungen wieder. Barcamps und Blogtails dienten dazu sich zu vernetzen und herauszufinden was man machen könnte. Erst im Laufe der Professionalisierung wurde klarer wie unterschiedlich Blogs genutzt werden. Allerdings gibt es weiter die Annahme, dass das ein Klumpen ist. Wodurch viele Missverständnisse entstehen. Die unterschiedlichen Perspektiven sind teilweise nicht miteinander vereinbar und je nachdem was jemand mit dem eigenen Blog macht, wird über andere geurteilt. Natürlich gibt es gewisse Gemeinsamkeiten, meist technischer Natur, aber wenn man einen Schritt weiter geht, unterscheiden sie sich radikal.
Bewusst wird mir das immer wieder, wenn Blogger_innen um Feedback bitten. Dort werden die individuellen Perspektiven sichtbar und widersprechen sich, obwohl sie jeweils für sich korrekt sein können. Beiträge mit Tipps rund ums Bloggen haben einen ähnlichen Effekt. Ich vermute, dass Menschen, die mit dem Bloggen gerade erst anfangen oder sich erstmals mit der Community auseinandersetzen, viele Informationen bekommen, die auf sie gar nicht zutreffen, aber so präsentiert werden, als sei es der einzige richtige Weg. Dann passiert es leicht, dass man seinen Blog komplett umbaut und daraus etwas macht, das gar nicht funktioniert.
Ich versuche die unterschiedlichen Arten von Blogger_innen, besonders in Bezug auf Geld, aufzuzeichnen. Es ist keine trennscharfe Kategorisierung und die meisten werden im Laufe der Zeit mal eher da und mal eher dort hineinfallen.
Intrinsisch motiviert / Geldlos zufrieden
Menschen, die bloggen, weil sie gar nicht anders können. Ihnen ist es in der Regel egal, ob sie gelesen werden oder nicht. Die Blogbeiträge zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht einem bestimmten Thema folgen. Tagebuchartige Beiträge fallen typischerweise hinein, aber es gibt in der Kategorie noch viel mehr. Auf den Blogs gibt es keine Werbung, keine Newsletter, keine Aufforderungen auf irgendwelchen anderen Kanälen zu folgen. Man könnte sie auch Leidenschaftsblogger nennen, sie erwarten sich nichts vom Bloggen, weil das schreiben und veröffentlichen selbst Belohnung genug ist. Unter Umständen gehört der Austausch mit anderen auch dazu.
Für intrinsisch motivierte Blogger ist die interessanteste Optimierung bei der Inhalteerstellung. Texteditoren, die besonders wenig ablenken (etwa iA Writer), die Recherche erleichternde Tools (etwa OneNote), bessere Backends, einfachere Backups, wenig Administrationsaufwand. Falls man Austausch dazu zählt, auch technische Optimierungen des Blogs, die den Austausch erleichtern und fördern
Beispiele: ach mensch, glumm, Frau Meike
Branding Blogger_in
Im Mittelpunkt steht die Blogger_in und ihre Fähigkeiten. Meist wird der Blog zur Kundenakquise und/oder zur Positionierung der eigenen Person genutzt. Inhaltlich werden die Themen behandelt, für die man als Experte gelten möchte. Unter den Beiträgen ist ein ausführliches Autorenprofil und oft gibt es auch in der Sidebar ein Profilfoto und eine Kurzbeschreibung der Person. Der Blog selbst tritt eher in den Hintergrund und dient lediglich als Transportmedium. Neben Newsletter sind die persönlichen Profile auf diversen Social Media Plattformen verlinkt.
Das Design spielt eine wichtige Rolle, damit man professionell und seiner Expertise entsprechend wahrgenommen wird. Auch die Optimierung des Blogs zur besseren Auffindbarkeit sowie Sharing sollten beachtet werden. Am wichtigsten sind Stil und Inhalte. Keine zu verschwommene Sprache, aber auch kein wildes Herumwerfen mit Fachbegriffen. Nicht bloß Nachkauen, was andere schon gesagt haben, sondern darauf aufbauen („ich habe alles zu dem Thema gelesen“) und weiterdenken („ich erzähle euch etwas neues“).
Beispiele: netz:coaching, internet praxistipps, PR Doktor.
Issue Blogger_in
Issueblogger_innen sind den Brandingblogger_innen sehr ähnlich. Allerdings steht bei ihnen das Thema im Vordergrund und die Person ist nur soweit wichtig, wie es den Inhalten zusätzliches Vertrauen und Reichweite bringt. Oft überlappen sich Issue und Branding. Etwa bei Politiker_innen, die sowohl ein Thema vorantreiben wollen, aber auch sich als Person positionieren wollen. Oder es wechselt sich von Beitrag zu Beitrag ab. Ähnlich wie bei den intrinsisch motivierten Blogger_innen geht es nicht darum Geld zu verdienen, auch nicht indirekt, wie es bei Brandingblogger_innen üblich ist. Man möchte ein bestimmtes Thema vorantreiben. Etwa indem man es bekannter macht oder eine andere Perspektive darauf bietet. Issueblogs sind auch oft anonym, vor allem wenn sie schwierige Themen behandeln und/oder sich in Ländern befinden, wo es staatliche und/oder gesellschaftliche Repressionen mit sich bringen würde, sich öffentlich dazu zu äußern.
Ähnlich wie beim Branding kann man vieles optimieren. Ich sehe Shareability im Vordergrund. Und natürlich eine starke Vernetzung mit Gleichgesinnten. Auch kann es hilfreich sein einfache Einstiegsmöglichkeiten für Interessierte zu bieten, etwa indem Grundbegriffe und Hintergründe erklärt werden. Gut sichtbar gehören Mitmachmöglichkeiten. Das kann Sharing sein, aber auch Spenden oder eine Community.
Beispiele: Forum Informationsfreiheit, alwacker, Kobuk.
Corporate Blogger_in
Statt um das Branding der Person steht meist das Branding eines Unternehmens oder Produktes im Vordergrund. Entscheidend ist, dass die Blogger_in für das Bloggen vom Unternehmen bezahlt wird. Entweder durch Anstellung oder Projektvertrag, bezahlte Beiträge zählen nicht dazu. Außer es handelt sich um Gastbeiträge. Inhaltlich gibt es viel mit klarem Mehrwert. Tutorials, HowTos, Tipps&Tricks. Aber auch Beiträge rund um das Unternehmen/Produkt. Hintergründe, Interviews, Einblicke, Ankündigungen und ähnliches.
Wie beim Branding ist auch hier das Design sehr wichtig. Zusätzlich sind die rechtlichen Rahmenbedingungen noch genauer zu prüfen als bei den anderen Typen. Man kann viel im Hintergrund optimieren, gewisse Guidelines, wie auf was reagiert wird, wie der Blog in der gesamten Kommunikation des Unternehmens eingebunden wird und so weiter. Auch sollte das Marketing nicht zu aggressiv sein. Es geht oft um Nuancen, aber auch sich etwas zu trauen, Dinge auszuprobieren und den passenden Stil finden.
Beispiele: lexoffice Blog, Blossom Blog, Windows Blog.
Beruf Blogger_in
Im Gegensatz zu den Corporateblogger_innen verdienen Berufsblogger_innen durch das Blog ihr Geld. Ob mit Werbung, Sponsoring, Spenden oder Micropayment ist dabei zweitrangig. Berufsblogger_innen könnten auch als Journalist_innen bezeichnet werden, der Unterschied ist meist nur das Selbstverständnis und manchmal der Stil. Thematisch eng werden Themen mit Nachrichtenwert behandelt.
Je nach Geschäftsmodell werden unterschiedliche Dinge optimiert. Viele Aufrufe, wiederkehrende Besucher, qualitative Positionierung. Der Blog muss technisch und inhaltlich super sein. Allgemeine Tipps sind fast unmöglich.
Beispiele: Mobilegeeks, Nerdcore.
Kooperation Blogger_in
Eine Kategorie, die mir lange nicht bewusst war, in die man leicht hineinschlittert. Vielleicht wäre sie besser als Unterkategorie der Berufsblogger_innen aufgehoben. Blogger_innen, die hauptsächlich über Produkte schreiben und diese von Unternehmen gestellt bekommen oder sich das wünschen. Manchmal fließt auch Geld. Testblogs sind in diesem Bereich populär. Manche thematisch enger, viele stürzen sich auf alles, was sie bekommen können.
Hier wird alles so optimiert, um für Unternehmen besonders attraktiv zu sein. Hohe Zugriffszahlen, treue Leserschaft und positive Bewertungen der gestellten Produkte. Problematisch.
Keine Beispiele, weil mir nichts eingefallen ist, das ich gut finde.
SEO-Affiliate-Newsletter-Ebook Blogger_in
Eine weitere Unterkategorie der Berufsblogger_innen. Man schnappt sich ein Nischenthema, packt entsprechende Inhalte auf den Blog und sorgt dafür, dass man bei den vorab gewählten Suchbegriffen gut rankt. Man soll sich mit dem Thema schon auskennen, aber es soll auch gute Klick-/Affiliatepreise haben. Oder man hat eine Nische, wo man sein Wissen in Form von ebooks zu Geld machen kann.
Bei der Optimierung ist wichtig, dass die Besucher_innen auf die richtige Werbung klicken, das beworbene Produkt kaufen, sich für den Newsletter anmelden oder das ebook kaufen. Der Inhalt dient meist nur als Köder. Es wird viel mit Split-testing und psychologisch Ansätzen gearbeitet.
Keine Beispiele, weil mir nichts eingefallen ist, das ich gut finde.
Typ ist nicht gleich Qualität
Während die unterschiedlichen Typen in keiner Rangfolge stehen, was die Qualität der jeweiligen Blogs betrifft, habe ich sehr wohl persönliche Tendenzen. Grundsätzlich gibt es aber in allen Bereichen bessere und schlechtere Blogs. Gerade Kooperation und SEO-Affiliate-Newsletter-Ebook ziehen Menschen an, denen es in erster Linie ums Geld verdienen oder kostenlose Produkte geht, während bei den anderen Kategorien die Inhalte wichtiger sind.
Wie schon erwähnt, schließen sich die Typen gegenseitig nicht aus. Mit einem Radial Area Chart (mir fällt gerade der richtige Begriff nicht ein), könnte man nun eine hübsche Typenzusammenstellungen für einzelne Blogs erstellen. Testweise an mir selbst und spontan. Auf einer Skala von 0 bis 4, gebe ich mit bei intrinsisch motiviert (bunt gemischte Beiträge, viel persönliches, Erarbeitung und Verarbeitung durch Bloggen) und Branding („schaut was ich kann“) eine 3 und bei Issue (Blogger für Flüchtlinge) und Kooperation (Hardware-Tests) eine 1. Beruf, Corporate und SEOfilliateletterbook eine 0. Wobei ich einen Newsletter habe, der aber auf Personal Branding ausgerichtet ist.
Ob ich sowas in Blognetz einbauen sollte? Wäre jedenfalls ein spannendes Experiment, zu versuchen die Einordnung automatisch durchzuführen. Im Moment aber keine Zeit dafür.
Wozu ist das gut?
Es ist etwas das ich teils unterbewusst immer mache, wenn ich mir Blogs anschaue und mich mit Blogger_innen unterhalte. Wenn man es explizit macht, erleichtert es den Austausch, weil man Erwartungen und Ziele besser einordnen und somit auch anders über die Blogs selbst sprechen kann. Blogs sind heutzutage so unterschiedlich. Das ist ein Modell, um etwas Struktur hineinzubringen. Außerdem hat mich das Thema nach den ersten Gedanken nicht mehr losgelassen und nun habe ich etwas, worauf ich in Zukunft verlinken kann, wenn ich über unterschiedliche Arten von Blogs spreche.
Update:
Zwei weitere Typen sind mir nachts eingefallen, die die ‚geldlos zufrieden‘ Sammelkategorie entlasten könnten. Allerdings noch nicht weiter ausgearbeitet.
– Austausch
Es wird gebloggt, um Feedback zu bekommen. Mir fällt im ersten Moment jedoch kein Blog ein, bei dem das der Hauptgrund ist. Aber es ist ein Faktor der fast immer unterschiedlich stark auftritt.
– Zugehörigkeit
Alle bloggen, also blogge ich auch.
Update:
Ich habe einmal mit chart.js ausprobiert, wie es ausschauen könnte, wenn man zwei Blogs miteinander vergleicht.