Türkischstämmiger Deutscher oder ein in Deutschland lebender Türke

Zweierlei Türken präsentierte Springer am Wochenende. Zwei Migrantenexemplare, die aus dem Nähkästchen plaudern - aus ihrem oder aus dem der Redaktion: man weiß es nicht so genau. "Wenn Türken Deutsche werden...", titelte man; darunter ein Foto eines türkischen Anzugträgers, den man mit Top überschreibt, noch weiter unten dann das Lichtbild eines türkischen Jedermanns, der mit Flop übertitelt wird. Wer sich als Türke Deutscher nennen darf, ist damit beantwortet; der Türke Özcan, Bezieher von Transferleistungen, ist jedenfalls gefloppt - Mission: Deutschwerden gescheitert.
Nun ist es ja ausreichend entblößend, dass man hier von Türken spricht, die Deutsche würden - hier wird Integration wenigstens mal als das bezeichnet, was sie nach dem Verständnis deutscher Integrationsdelegierter sein soll: Assimilierung! Verrat der Herkunft und der Wurzeln, Aufgabe der Traditionen und Bräuche! Integriert euch, werdet deutsch! Deutsche mit Anzug, doch ohne Hartz IV-Bescheid. Erol, der deutschere der beiden Türken, erzählt sein trauriges Schicksal, erzählt vom frühen Tod seines Vaters, den seine Mutter zunächst nicht verkraftete, weswegen sie eine Kur antrat; Deutsche Steuerzahler finanzieren türkischen Frauen Kur!, könnte eine passende Überschrift für kommende Schmähschriften sein - doch das nur am Rande. Mutter auf Kur und Erol landete "vorübergehend bei einer wohlhabenden deutschen Familie": von da ab wollte er "gut Deutsch sprechen, gut leben" - das war sein Erweckungserlebnis! Sein Deutscherweckungserlebnis!

Weil er frühzeitig in einer deutschen Familie landete, deutschte er schneller ein - Özcan hatte nicht das Glück, dass seine Mutter unpässlich war. Wäre sie es gewesen, wäre er in einer deutschen Familie untergekommen, er wäre heute nicht nur nicht Hartz IV-Empfänger: er wäre auch kein Assimilierungsflop; wäre deutscher als er es heute ist. Quasireligiös wird an dieser Stelle über Erweckung berichtet, wie der türkische Saulus zum deutschen Paulus wurde, wie ihm die Nähe zu Deutschen die Augen öffnete, sich für den höherwertigen Weg menschlichen Erdendaseins zu entscheiden. "Klammheimliche Bewunderung" erntete Erol dann auch - womöglich auch Neid, weil es da jemand zum Deutschen gebracht hatte. Zwar bewunderte man seinen schulischen Werdegang, liest man, aber man wird den Verdacht nicht los, dass eigentlich noch mehr bestaunt wurde: dieser deutsche, dieser erfolgreiche, dieser elanvolle Weg, der dem gemeinen Türken üblicherweise versperrt bleibt.
Mit etwas mehr Druck, so weiß Özcan (oder die Redaktion) zu erzählen, hätte er es vielleicht auch weiter gebracht. Ein Türke, der einsichtig und nachgiebig verkündet, dass der Türke Druck brauche, damit er sich assimiliere - das ist nicht originell, hat man schon öfter gesehen; aber es ist immer wieder zweckdienlich. Die Türken sagen es sogar selbst!, ereifert sich dann der Stammtisch. Deutschland habe ihn immer nur gewähren lassen: dieses nachsichtige, großzügige, gutmütige Deutschland. Großmut wird bekanntlich oft bestraft; und solche Türken sind die Strafe. Es wird Zeit, dass Deutschland nicht immer nur gewähren läßt. Druck ausüben! Presst den Türken in das Deutsche! Rein in die Schablone, da ein überlappendes Fetzchen abgetrennt, hier ein wenig abzwacken und anpassen, ein neuer Anstrich am Schluss: und schon ist der Türke integriert! Nur mit Druck und engen Schablonen verhindert man Özcans!
Zwei Antipoden: der eine erfolgreich und wohlhabend, ein türkischstämmiger Deutscher; der andere illusionslos und arm, ein in Deutschland lebender Türke - als wann man bezeichnet wird, hat soziale und finanzielle Ursprünge. Das Kunststück des Axel Springer-Verlages ist es, dass er nicht nur Deutsche gegen Moslems in Stellung bringt: er inszeniert auch noch einen Unfrieden innerhalb muslimischer Bevölkerungsgruppen, zieht das soziale Ungleichgewicht heran, dass es auch dort gibt, um damit Stimmungen auszulösen, Konnotationen und Gefühle anzufachen. Und er erklärt süffisant zwischen den Zeilen: Assimiliert euch, dann gehört euch die Zukunft! Wer an seiner anatolischen Scholle klebt, der bleibt ein Nichts, der kostet uns nur, der stört und wäre besser dort aufgehoben, wo er uns nicht mehr auf der Geldbörse liegt. Und es entsteht der Eindruck, dass gefügige Muslime immer den herrlichen german way of life gehen - was sie ja auch tun, denn der german way of life für Menschen mit fremdklingenden Namen heißt meistens: nicht heimisch werden!
Übrigens: Dass beide Personen nicht nur optisch und anhand ihres soziales Standes, sondern auch durch ihren Namen deutbar werden, dafür hat die Redaktion gesorgt. Der, der von seiner Herkunft nicht loszukommen, der am Ursprünglichen verhaftet scheint: dessen Vorname Özcan bedeutet frei übersetzt ursprüngliche Seele; der andere, der sich manns genug erwies, sich voll zu assimilieren: dessen Name Erol umschreibt unter anderem einen fähigen, mutigen Mann. Stereotype von Kopf bis Fuß, von optischer Darstellung bis hin zum Namen - damit auch der türkischestämmige Leser schon am Namen die Tendenz von Top und Flop ablesen kann...


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