Der mit einem Emmy für The World according to Ion B (2009) ausgezeichnete Regisseur Alexander Nanau begab sich 15 Monate in sein Geburtsland Rumänien zurück, machte sich auf die Suche nach einer passenden Story, fand diese schließlich und präsentiert nun sein neuestes Werk Toto and His Sisters auf diversen Filmfestivals. Das Ergebnis ist eine berührende Geschichte, die zu Recht immer wieder mit Preisen gekrönt wird.
Toto (10) lebt mit seinen Schwestern Ana (17) und Andreea (15) in einem Drecksloch. Der Vater ist längst Geschichte und die Mutter seit Jahren im Knast und so kämpfen sich die drei Kinder ohne Erwachsene durchs Leben. Denn ihre Onkeln haben nichts besseres im Kopf als sich vor den Augen der drei einen Schuss nach dem anderen zu setzen und kümmern sich nicht wirklich um sie. Andreea will ihrem kleinen Bruder gegenüber auch keine Verantwortung übernehmen und zieht lieber um die Häuser, verbringt die Nächte bei Freunden, um ja nicht in dieser Bruchbude und dieser Gesellschaft sein zu müssen. Ana dagegen kümmert sich um Toto. Doch allmählich wendet sich das Blatt.
Aggressives Verhalten, beleidigende Worte und harte Dialoge stehen an der Tagesordnung. Immer wieder fallen Schimpfwörter, wo Eltern einschreiten würden. Aber nicht hier. Denn allen ist es egal, was die drei treiben. Und wenn sie nicht mehr nach Hause kommen, dann sind sie eben weg.
Ein Misthaufen mit einem Dach über dem Kopf. Schäbig und total verwahrlost ist das Heim der drei Kinder. Wiederholte Male fängt die Kamera in Totalen das gesamte Ausmaß der Misere ein, die Umgebung. So lernt man nicht nur über die Kinder, sondern wirklich über ihr Leben. Man hat Mitleid mit ihnen, möchte helfen und hofft, dass sie nicht wie ihre Mutter enden. Bemerkenswert ist, dass der junge Bursche nicht dem „Vorbild“ der anderen folgt, sondern daraus ausbrechen versucht und sich nicht dem Drogensumpf hingibt.
Der Dokumentarfilm ist ein Porträt über Toto, in dem seine Schwestern eine tragende Rolle spielen, aber Toto ist der Hauptakteur. Nanau hat gezielt die Kamera auf Toto gerichtet, den man schließlich zu kennen glaubt wie einen Freund. Er ist sympathisch, ein typisches Kind, rotzfrech, verspielt, aber auch sensibel. Die Bilder lassen einen Schauder über den Rücken laufen, sowie die Tränen in die Augen steigen. Man zittert mit Toto und freut sich mit ihm, wenn ihm etwas gelingt und er seinen Spaß hat. Nanau verschafft dem Publikum ein großes Spektrum an Emotionen.
Der Regisseur gab Andreea selbst eine Kamera, die sie immer wieder zur Dokumentation von Schlüsselszenen verwendete. Sei es um das gesamte Ausmaß der mit Müll verschmutzten Wohnung aufzuzeigen oder um Toto und sich selbst zu filmen während sie über ihre Beziehung zu Ana reden. Durch die gelegentliche Bedienung der Handkamera von dem jungen Mädchen entstanden intime Einblicke. Eine gewisse Vertrautheit zur Kamera macht sich allmählich bemerkbar und verhilft dem Film zu berührenden Szenen, die sich ins Gedächtnis der Zuschauer prägen.
Wunderbar aufgezeigt wird der Wandel von Andreea zur verlässlichen Schwester, die anfangs überhaupt nicht für Toto da ist, aber schließlich die Rolle von Ana einnimmt und Entscheidungen trifft und sich durchsetzt. Toto and His Sisters verlangt einem viel ab. Fassungslosigkeit, Wut und Sorge um Toto sind nur einige der Emotionen, die der Zuschauer während des Films durchläuft. Nanau ist somit ein empathisches Werk gelungen, das bestimmt noch von sich reden macht und viele Auszeichnungen für sich entscheiden wird.
Regie und Drehbuch: Alexander Nanau
Filmlänge: 93 Minuten, gezeigt im Rahmen von this human world 2014