Totaler Pessimismus? // Glucks „Orpheus und Eurydike“ am Theater an der Rott Eggenfelden

Die Aufführung von Glucks Werk beginnt mit einem dramaturgischen Gewaltstreich, indem der Regisseur Benjamin Schad die finale Huldigungsfeier Amors an den Beginn des Abends verlegt. Diese Lobpreisungen und zugleich Hochzeitsfeierlichkeiten von Orpheus und Eurydike enden zum Entsetzen der Braut und des auf einen Kostümschinken wartenden Publikums im Ausleben animalisch ausschweifender Sexualtriebe der Hochzeitsgäste. Orpheus versucht das rauschhafte Kollektiv, das aus sechs ehemaligen professionellen Bal-letttänzern besteht, durch eine spontane Stripeinlage zusätzlich zu stimulieren. Eurydike hingegen scheint an der Wirklichkeit zu verzweifeln. Sie kann ihr Liebeskonzept einer hehren Gattenliebe nicht mit der perver-tierten Wirklichkeit unter Amors Schirmherrschaft in Verbindung bringen. So bricht sie während der Ouver-türe zusammen und wird unter den Hintergrundprospekt gezogen. Über den Verlust seiner Gattin und der damit verbundenen Konsequenzen wird sich Orpheus erst allmählich bewusst und entwickelt schließlich den Wunsch nach einer Wiedervereinigung mit Eurydike durch einen Gang in die Unterwelt gegenüber Amor. Diesen gibt der Countertenor Fritz Spengler als männlichen Marilyn Monroe – Verschnitt betont manieriert und mit vollem Organ. Als er über die Absichten des Orpheus erfährt, welche eine bedingungslose Liebe als Grundlage haben und deutlich über sein rauschhaftes und oberflächliches Liebeskonzept hinausgehen, rea-giert er betont belustigt und versucht eine ängstliche Erregung durch zwanghaft dominantes Auftreten zu verbergen.

Die Unterwelt erscheint im Bühnenbild von Tobias Fleming und Annett Lausberg als eine zerstörte Utopie eines glücklichen Ehelebens. Man sieht ein gespaltenes Haus, dessen Inventar über die gesamte Bühne ver-streut ist, während Eurydike hingegen lange Zeit nicht anwesend ist. In Verbindung von Ausstattung, Cho-reographie und Musik gelingt es der hier der Inszenierung einen großen Assoziationsfreiraum für das Publi-kum zu schaffen, was auch an dessen wachsender Konzentration erkennbar wurde. Die erregten Bewegun-gen der Tänzer harmonisieren sich erst, als Orpheus über die bevorstehende Wiederkehr Eurydikes durch die Furien aus dem Off aufgeklärt wird. Die Tänzer machen nun mit übergeworfenen Brautschleiern und har-monisierenden Figuren für ihn emotional ausgereifte Liebe erfahrbar. Es gelingt ihm allerdings nicht, diesen Zustand später mit Eurydike wiederherzustellen. Ihre Begegnung gipfelt vielmehr in einem heftigen Ehe-streit. Die Verzweiflung scheint allmählich überhandzunehmen und verleitet Orpheus dazu, Erinnerungen an die Liebe zu Eurydike aus dem Haus zu beseitigen. Bestrebungen von dieser, Zweisamkeit aufzubauen, lässt ihr Gatte ins Leere laufen. Der Blickkontakt ist nur mehr konsequentes Handeln und Bekräftigung einer endgültigen Trennung. Schlussendlich sitzt Orpheus tatkräftig und in die Zukunft blickend am Bühnenpor-tal, während Amor ungläubig und entmachtet neben ihm am Boden kauert. Eurydike bleibt davon getrennt in der Unterwelt. Ob der Schluss durch das nichtvorhandene lieto fine wirklich pessimistisch gesehen wer-den kann, überlässt die Inszenierung also jeder Zuschauerperspektive individuell.

Das Theater an der Rott spielt die Wiener Fassung der Oper in deutscher Übersetzung, weshalb die Haupt-rolle des Orpheus mit einem Countertenor besetzt ist. Wie die anderen Sänger überwindet Armin Gramer die anfängliche Unsicherheit und zeigt während der pausenlos gespielten Oper ein Rollenportrait, das auf Grund seiner vielen Schattierungen überzeugt. Besonders hervorzuheben ist seine Pianokultur im zweiten Akt. Eu-rydike, die von Ulrike Hofbauer gesungen wird, steht dem in nichts nach. Schauspielerische Defizite fallen bei beiden weniger ins Gewicht. Ebenso wie bei den Solisten, macht der hohe Grad an Textverständlichkeit und Ausdruckskraft des Chors nichtvorhandene Übertitel vergessen. Dazu trägt auch das umsichtige Dirigat von Michi Gaigg bei. Sie serviert keinen kulinarischen Gluck, sondern passt sich der Sichtweise der Regie an, was gelegentlich in eine fast schon zu expressive Interpretation umschlägt. Dennoch gelingt dem Orchester unter ihrer Führung vor allem im zweiten Bild des zweiten Aktes auch lyrische Momente und plastische Natürlichkeit zu zeigen, was die Möglichkeit der Utopie einer glücklichen Ehe in Schads Unterwelt erkenn-bar werden lässt.

Besuchte Vorstellung: 3.3.2013


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