Ein Marathon bleibt ein Marathon bleibt… Egal wie viele man läuft. Es sind so unglaublich viele Kilometer auf denen etwas passieren kann. Jeder einzelne dieser Läufe wird mit Sicherheit anders verlaufen. Manchmal ist es hart. Manchmal fällt es leicht. Hin und wieder geht man das Rennen mit großen Ambitionen an. Ab und an genießt man so eine Veranstaltung einfach. Nun dabei seine Bestzeit um wenige Sekunden zu verfehlen, ist bei kürzeren Läufen meiner Meinung viel einfacher, als es bei einem Marathon darauf anzulegen. Wie man das dennoch ganz einfach anstellt, lest ihr im Folgenden. Also lasst uns Sekunden sammeln!
Hier nun einige Tipps, wie man es auch auf einer langen Strecke schafft, sich so zu beherrschen, dass man die Ziellinie nicht mit einer neuen Bestzeit übertritt. Ich weiß wovon ich spreche. Ich habe es selbst vor einigen Wochen in Chicago erlebt!
1. M E H R L A U F E N A L S N Ö T I G
Die ersten Kilometer so weit hin und her laufen und die langsamen Läufer, die wer weiß wie in den eigenen Startblock gerutscht sind, im übertriebenen Zickzack überholen. Dabei dann natürlich schön die blaue Linie auf der Straße ignorieren und so schnell mal einen Kilometer mehr laufen als vorgesehen. Das kann man natürlich auch beliebig innerhalb des Rennens wiederholen. Mal links rüber, weil die Musik dort klasse ist. Mal rechts rüber, um mit den Streckenposten abzuklatschen. Wieder zurück damit man die Shows auf den vielen Bühnen am Straßenrand genau beobachten kann,…
2. F R E U N D E B E G R Ü S S E N
Schon nach wenigen Metern den ersten jubelnden Fan am Straßenrand begrüßen, als würde man anschließend niemanden mehr zu sehen bekommen. Dabei muss man natürlich abstoppen, kommt etwas aus dem Rhythmus und verliert wertvolle Sekunden. Aber für den Kopf kein Problem, denn man ist unfassbar motiviert und freut sich auf die nächsten bekannten Gesichter. Winken hier, jubeln da…
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3. D E R M A R A T H O N V O R D E M M A R A T H O N
Es ist hilfreich, möglichst viele Kilometer in der Woche vor dem Marathon zu Fuß oder mit dem Rad zurückzulegen. So werden die Beine gar nicht erst übermütig, wenn man die Startlinie passiert. Stattdessen muss man die Müdigkeit der letzten Tage erst einmal aus den schlabbrigen Gelenken schütteln, bevor sie sich in ein regelmäßiges Tempo einschlendern. Dieses Tempo kann man dann diesen Tag locker bewältigen. Ähnlich den langen Läufen, die man aus vollem Training heraus bestreiten muss. Nichts anderes ist ja der Marathon. Ein langer Lauf. Ein ganz langer Lauf. (Das muss ich mir auch hin und wieder zur Motivation vorbeten.) Einfach ein etwas längerer Lauf, als das was man von seinem Training kennt.
4. F A L S C H E Z E I T A N V I S I E R E N
Irgendwie eine andere Bestzeit im Kopf haben, als die man tatsächlich mal irgendwann gelaufen ist. Bei all den bestrittenen Wettkämpfen kann man schon die Übersicht verlieren, wann man eigentlich wo wie schnell unterwegs war. Beim Chicago Marathon war ich mir ganz sicher mit der Zeit. Leider habe ich aber wieder daneben gelegen. Um ganze zwei Minuten. Ich dachte, meine Bestzeit liegt bei 3:46:24. Dabei war die letzte 3:48:24. Sprich in Gedanken hinkte ich nicht 25 Sekunden dem Zeitplan hinterher, sondern 2 Minuten 25 Sekunden. Hochgerechnet im Rausch des Rennens war es mir nicht möglich meine Bestzeit zu knacken. Also was soll’s?! Das verschafft unglaubliche Lockerheit!
5. V E R P F L E G U N G S P A U S E N E I N L E G E N
Keinen Getränkegurt mitnehmen, wenn es nicht unbedingt nötig ist und wir uns magenbedingt selbst verpflegen müssen. Auf der Strecke gibt es so viele freundliche Gesichter, die helfen wollen! Da muss man einfach das Tempo ein wenig heraus nehmen und mit Wasserbechern jonglieren. In Chicago fast jede zweite Meile möglich.
6. F E S T K L E B E N
Geht eng mit Punkt fünf einher: ihr kennt sicher diese nassen Abschnitte im Rennen, wo der Boden klebt und all die Trinkbecher mit Iso herumfliegen. Dennoch nicht in der Mitte oder an der Seite laufen, wo es keine Verpflegung gibt. Unbedingt über diesen klebrigen Asphalt rauschen, bei dem man denkt, der würde einem die Schuhe ausziehen. Auch hier wieder im Zickzack unnütz um die Becher tänzeln. Empfehlenswert ist, wieder langsamer zu werden. Denn am Ende der Verpflegungszone folgt meist der Abschnitt mit Wasserbechern. Dort reinigen sich die Sohlen dann wieder von selbst.
7. A T M E N
Wir atmen uns zur Bestzeit. In diesem Fall verpassen wir sie damit und atmen uns zum Glück. Ich plädiere absolut für eine intensive Vorbereitung und für adäquates Training. Aber was einige meiner Follower auf Twitter etwas belächeln (ja, das ist ein Seitenhieb, ein lieb gemeinter), funktioniert wirklich. Lieber hin und wieder weniger trainieren und einfach mal tief durchatmen. Körper und Geist sind ab und zu dankbar für die kleine Pause. Für mich ist es das Atmen beim Yoga. Ich rolle meine Matte aus und schenke meinem Körper das, wonach er Heißhunger hat. Das kann ich wirklich so umschreiben. Er giert danach und gibt mir das mit so einem ganz bestimmten Gefühl zu verstehen. Mein Kopf geht da ebenfalls ganz entspannt draus hervor. Auch wenn ihr lieber klassisch euren Körper mit Stabilisation und Dehnübungen kräftigt und entspannt, so findet dennoch etwas, was den Geist ruhen lässt. Spazieren gehen und tief durchatmen. Auf die Terrasse treten und tief durchatmen. Mit der Harley rausfahren und tief durchatmen… Erinnert euch jetzt daran und werdet einen Moment ruhiger, langsamer, um richtig tief durchatmen zu können und all das Glück, die Freude, die Atmosphäre aufzunehmen und neue Kraft zu schöpfen. Nutzt diese Kraft nun nicht, um schneller weiterzulaufen, sondern das Rennen weiter so intensiv zu erleben und zu genießen.
8. L A S S T E U C H F E I E R N & T A U S C H T E U C H A U S
Sprecht mit den Zuschauern und den Mitläufern. Lasst euch mitreißen von der Euphorie der anderen Athleten und kämpft euch gemeinsam durch. Es gibt mit Sicherheit dies und das, was ihr austauschen könnt. Auch wenn wir Läufer oft Einzelkämpfer sind. Beim Marathon und erst recht mit einer Geschwindigkeit, mit der wir unsere Bestzeit so knapp verfehlen, lässt es sich munter plaudern, sich über diese unglaubliche Qual austauschen und das Hochgefühl teilen. Zuschauer können großartig motivieren. Genauso wie Helfer. Bedankt euch bei ihnen, jubelt ihnen zu, klatscht mit ihnen ab. Das Lächeln der Kinder, die Läufer anhimmeln und ihnen lustige Sprüche zurufen, wird euch einige Meter weiterbringen. Also verschenkt ruhig für sie einige Sekunden.
9. F O T O S
Fotos! Der vielleicht fast wichtigste Punkt um ordentlich Zeit zu verplempern. Die Kramerei in der Tasche am Arm oder dem Täschchen um die Hüfte mit den schlappen Spagetti-Ärmchen kostet die ein oder andere Sekunde. Nicht ständig Bilder von seinen Füßen bei der Umhereierei zu machen, ist auch etwas, was man vielleicht üben sollte. Dann die Arme auch noch auszustrecken, versuchen das Bild einigermaßen scharf zu bekommen, die Geschwindigkeit etwas herauszunehmen und abzudrücken, lässt die Uhr unaufhörlich weiter ticken. Geübte können sich ja dann auch gern in Selfies probieren. Zeigt, ihr seid Tourist, aber gern auch in der Heimatstadt. Es sind unvergessliche Erinnerungen und Momente, die ihr da festhaltet!
10. G E N I E S S E N
Das hört sich jetzt vielleicht an, als wäre mir für Punkt 10 nichts anderes mehr eingefallen. Aber der Genuss kommt in der Tat bei vielen meiner Läufe zu kurz. Irgendjemand hat mal zu mir gesagt, dass wir Freizeitläufer nicht richtig unsere Schmerzgrenze – na gut ich sage es – unsere Kotzgrenze kennen. Mag sein, aber ich weiß um hartes Training und darum mal seinen Körper zu ignorieren. Ich glaube wir Freizeitläufer machen uns gerne zu viel Stress. Es kann und muss und soll auch einfach mal Genussläufe geben. Nicht im Training. Sondern im Wettkampf. Diese erlebe ich oft, wenn ich mal als Hasi (wie in Münster oder in Berlin) unterwegs bin und das Tempo für jemand anderen mache. Für mich selbst nehme ich mir aber viel zu selten diese Lockerheit.
Einen Punkt, den ich nicht liste, ist Tanzen. Das liegt nicht daran, dass es keinen Spaß macht und uns nicht wichtige Sekunden abnimmt. Ich bin einfach nicht so der Tänzer unter 40.000 Läufern, der bei einer puerto-ricanischen Band total ausrasten kann. Gern könnt ihr diesen Punkt aber für euch nutzen und einen andern ersetzen oder eben eure Top 11 daraus bilden. Ich habe genügend Läufer gesehen, die dabei scheinbar richtig ihren Spaß haben… Also probiert es aus.
Einige werden sich jetzt fragen, ob man nicht unbedingt einen Dixi Stopp einlegen sollte, um ordentlich Sekunden zu verprassen? Naaaa. Auf keinen Fall. Wenn es nicht wirklich unbedingt nötig ist. Sitzen können wir später. Wenn alles so unfassbar gut läuft, wollen wir den Körper wirklich nicht komplett aus dem Takt bringen. Das große Ziel: die 42km und paar Zerquetschte komplett durchzulaufen.
W A S S O L L N U N D A S G A N Z E ?
Es ist meiner Meinung nach nicht schwer, ein Rennen wie einen Marathon ambitioniert anzugehen. Egal, ob man es einfach überleben möchte, wie beim ersten Marathon – oder ob man den X-ten läuft und eine bestimmte Zeit fokussiert. Im Kopf sitzt gern der kleine weiße Hase mit seiner Taschenuhr und redet unbeirrt davon, dass man keine Zeit hätte.
Einen Marathon von Anfang bis Ende zu genießen, ist da schon schwerer. Den ambitionierten Gedanken zu verlieren noch viel mehr. Dann auch sagen zu können, dass ein Lauf perfekt war, kann ich nicht von vielen meiner wenigen Marathons behaupten.
Der letzte ist zwei Jahre her, lief vom Ergebnis und der Vorbereitung her perfekt ab. Aber ich kann nicht sagen, dass ich sonderlich beschwingt über die letzte Hälfte huschte. Ich hatte einen großartigen Trainingsplan vom MyGoal Team und musste Dank Triathlontraining so wenig für eine Bestzeit laufen, wie noch nie zuvor. Der Tag war wie für mich gemacht. Im April kam plötzlich Hochsommer auf und ich fegte über das anfänglich hüglige Profil des Oberelbe Marathons, als hätte ich nie etwas anderes getan. Es schieden einige Läufer aus und so geschah es, dass ich es tatsächlich auf Platz eins in meiner Altersklasse schaffte. Dennoch war es ein absoluter Kampf. Ich ließ ordentlich die Zicke ab km30 raushängen. Ich konnte mich erst wieder etwas beherrschen als mich beim Km38 jemand ansprach und ich endlich einige Worte loswerden konnte. Die letzten drei Kilometer liefen dann wieder einigermaßen flüssig. Ich kämpfte mich halb wütend halb kriechend mit einem Athleten, dem die Tränen ebenfalls im Gesicht standen, schwatzend durch Dresden bis ins Ziel.
Natürlich war der erste Marathon perfekt. Dieses einmalige Gefühl, kennt mit Sicherheit jeder, der schon einmal einen Wettkampf bestritten oder ein ganz bestimmtes Ziel erreicht hat. Beim ersten Marathon ist es geradezu überwältigend und viele erreichte Ziele rücken da in den Schatten. Für mich ging es damals ums Überleben. Ich wollte schon Jahre einen Marathon laufen und zu dieser Zeit hatte ich Muse, Zeit, Motivation und den nötigen Mut. Ich wollte wissen, wie es ist, was Marathonlaufen heißt, ob mein Körper das mitmacht, ob man das Ziel tatsächlich erreichen kann.
Den zweiten Marathon musste ich natürlich mit einer neuen Bestzeit absolvieren. Was nicht sonderlich schwer war, nachdem ich beim ersten mit knapp über fünf Stunden gefühlt einen halben Tag unterwegs war. Natürlich hatte ich mich mit einem Trainingsplan ordentlich vorbereitet und alles durchweg ernst genommen. Damals stöberte ich in unzähligen Büchern und kritzelte mir meinen Plan mit Bleistift auf. Den zweiten Marathon in Rostock ging ich selbstbewusst an. Ich wusste, dass ich so einen Lauf überleben kann. Eine Leistungsdiagnostik und ein entsprechender Plan, der auch das kleine Handikap Asthma mit einfließen ließ, verschaffte mir dann nach 16 Wochen Training eine neue Bestzeit. Ich blieb unter vier Stunden, aber die letzten zehn Kilometer waren ein Graus. Ich trank Cola, was mein Magen nicht sehr spaßig fand. Den Rest könnt ihr euch denken.
Zwischen den beiden ersten Marathons und Oberelbe lagen noch zwei weitere Läufe (Rostock und Wien). Die haben mich so sehr geprägt, dass ich mich fragte, ob das wirklich das ist, was ich eigentlich wollte. Ja natürlich wollte ich Laufen, aber zwischendrin habe ich einfach die Orientierung verloren. Irgendwie kam immer etwas zwischen mir und einer Bestzeit. Der Kampf und Schmerz waren trotz guter Vorbereitung so groß, dass ich das einfach nicht noch einmal wollte. Aber wer ein Mal Marathon läuft, wird vermutlich immer wieder einen laufen wollen. Also folgte nach dem ersten miserablen Versuch ein neuer. Aber auch da wieder. Keine neue Bestzeit, obwohl das Training so sehr darauf hindeutete. Mit professioneller Hilfe klappte es letztlich selbst auf einem leicht profiliertem Kurs. Zwar hatte ich in Oberelbe nicht meine gewünschte Zielzeit erreicht, aber man kann zuweilen nicht alles haben. So wie eben genau bei diesem letzten Marathon in Chicago. Ich wollte mir diesen großartigen Lauf nicht durch eine eventuell zu kurze Umstellungsphase nach dem letzten Triathlon kaputt machen lassen. Ich trainierte, was mein Körper hergab. Versuchte hart an meinen Zeiten zu arbeiten. Auch wenn die Saison nicht so optimal wie vorgesehen lief, sollte diesem Tag nicht der Wunsch nach einem grandiosen Ergebnis im Weg stehen. Hin und wieder fielen Bestzeiten in diesem Jahr, aber wie nur all zu oft kam hier und da etwas dazwischen, um genau das zu erreichen, was ich eigentlich vorhatte. In Chicago sollte es einfach DER Lauf des Jahres werden. DER Lauf, den ich nur genießen wollte. Ich nahm das Thema Marathon natürlich unglaublich ernst. Aber ob ich nun zehn Minuten schneller oder langsamer im Ziel sein würde, war einfach egal. Vielleicht war genau deshalb einfach alles perfekt. Dieses Gefühl durfte ich in diesem Jahr schon einmal erleben. Nicht bei einer Bestzeit, sondern bei einem anderen Erlebnis. Dazu bald mehr hier.
Dass ich meine Bestzeit in Chicago regelrecht verspielt habe und das auch noch unbewusst, macht die Situation nur noch komischer. Das kann wieder einmal nur mir passieren. Na gut, mit meiner Anleitung nun vielleicht auch euch demnächst.
In diesem Sinne: immer Lächeln und immer ganz viel Spaß beim Laufen!