Tod eines Tonbandfürsten

Tod eines TonbandfürstenBis ganz zum Schluss hat er nicht einmal geahnt, was vorgeht. Osama Bin Laden, Terrorfürst und Al Kaida-Gründer, arbeitete wohl an neuen Droh-Tonbändern, als US-Spezialkräfte ihn unter Vernachlässigung des Völkerrechts in seinem "Unterschlupf" (Der Spiegel) in der Nähe der pakistanischen Hauptstadt Islamabad aufspürten und - vorsichtshalber während eines Feuergefechts - exekutierten.
Es ist das Ende einer Ära, doch es ist nicht das Ende von al Kaida. Osama Bin Laden, vor sechs Monaten vom niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann mit einem 17-Punkte-Papier zur Terrorbekämpfung in die Ecke getrieben, hatte seine großen Tage schon lange hinter sich. Kurz vor und kurz nach dem 9. September 2001 regierte der gebürtige Saudi die Terrorwelt. Nach dem Gelingen des Anschlages auf die Twin Towers lag ihm die Geschichte zu Füßen, Bin Laden hätte seine Memoiren schreiben und reich werden können.
Doch der Spross einer palästinensisch-jemenitischen Sippe interessierte sich kaum für weltliche Dinge. Als 17. von mehr als 50 Kindern seines Vaters Muhammed suchte er sich die Religion aus, um zu glänzen. Mit 14 betete er eifrig, mit 20 gründete er eine Wohlfahrtsorganisation, mit 21 suchte er sich seine erste Nebenfrau, mit 29 schloss er sich dem Kampf der Taliban gegen die Sowjets an.
Tod eines TonbandfürstenAfghanistan allein aber war ihm nie genug. Bin Laden, ein ehrgeiziger Mann mit messianischen Zügen, sah sich in der Nachfolge Mohammeds als Befreier der Gläubigen überall auf der Welt. Bis dahin nur von wenigen Insidern beachtet, gelang ihm mit den Anschlägen vom 11. September ein Sprung in die Aufmerksamkeit rings um den Erdball. Der Name Bin Laden wurde zur Chiffre für den Krieg der Kulturen, ein Symbol des Auseinanderfallens der Menschheit an der Grenze zwischen Abendland und Morgenland.
Besser wurde es nie mehr für den seinerzeit 44-Jährigen, dem allerlei Krankheiten und Gebrechen nachgesagt wurden, der aber dennoch nicht zu fassen war. Bin Laden wuchs ins Ikonische: Bilder des Mannes mit dem langen Bart machten auf T-Shirts und als Kühlschrankmagneten, Mao, Che Guevara und Karl Marx Konkurrenz, gegen Adolf Hitler konkurrierte Laden als Anwärter auf den Titel "Bösester der Bösen".
Tod eines TonbandfürstenDass sein Ruhm den Zenit mit dem Einschlag des zweiten Flugzeuges in die Türme bereits überschritten hatte, wird erst im Nachhinein deutlich. Verzweifelt wehrte sich der Al-Kaida-Chef gegen den von ihm selbst wohl zuerst gespürten Bedeutungsverlust. Die Medienkarawane ritt weiter, Al Kaida aber hatte nichts, was dem ersten großen Hit nachgeschoben hätte werden können. Die Google-Timeline fiel in Agonie, mehr als gelegentliche Tonbandbotschafen und Videoschnipsel kamen nicht mehr aus dem "afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet" (dpa), in dem der "meisstgesuchte Terrorist der Welt" traditionell vermutet wurde.
Als "Tonbandfürst" müsste sich Bin Laden selbst von seinen Getreuen in der heimischen Umma verulken lassen. Im Westen hingegen wuchs eine ganze Generation sogenannten "Truther" mit der Ansicht auf, nicht der Saudi und seine Männer hätten die Twin Towers zerstört, sondern US-Geheimdienst, die Freimaurer, die CIA, ein Ostküsten-Banker oder israelische Geheimdienste.
Nichts dürfte den Terrorfürsten mehr getroffen haben, doch auf nichts durfte er weniger reagieren. Bin Laden blieb ruhig, er wetterte stoisch gegen den Verfall der Sitten, gegen "Kreuzfahrer" und "Kreuzritter", er färbte seinen Bart und forderte von den Moslems in der Welt, die seit 9/11 nur noch "Muslime" genannt werden dürfen, eine stärkere Beteiligung am Dschihad. Wer könne, der müsse auch, so das Mantra des selbsternannten Propheten, der vor jeder Bundestagswahl wie Kai aus der Kiste zu springen pflegte, um Angela Merkel den Rücken zu stärken.
Tod eines TonbandfürstenDoch das Personal, das Al Kaida noch zulief, taugte nicht mehr für größere Aktionen: Deutsche Oberschüler und marokkanische Studienabbrecher, abenteuerlustige Usbeken und schwarze Witwen aus Tschetschenien - Bin Laden wusste längst, das der weltweite Terrorkrieg so nicht zu gewinnen ist.
Nach zehn Jahren auf der Flucht mag er erleichtert gewesen sein, als die Spezialeinheit von Friedensnobelpreisträgers Barack Obama gestern vor der Tür stand, um ihn standesgemäß in einem Feuergefecht hinzurichten.


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