Titanic: Tod zweiter Klasse

Titanic: Tod zweiter KlasseHundert Jahre und kein bisschen leiser, aber sovergeht die Zeit. Als es geschah, war der Untergang der "Titanic" nach der Kollission mit dem Eisberg eine Katastrophe, die mehr als 1.500 Menschen das Leben kostete. Ganz nebenbei erschütterte das Unglück den Fortschrittsglauben der westlichen Welt, es ernährte über Wochen Zeitungen und Zeitschriften, es kostete die, die überlebten, den Seelenfrieden, und die, die das Grauen nicht hatten verhindern können Job und Karriere.
Nur zehn Jahrzehnte später taugt das Desaster allerdings schon zum Spektakelum: Theatermacher kochen "Das letzte Gericht" nach, auf dass ihr Publikum "geschmackvoll untergehen" möge. Fernsehsender werben mit "Ihre Reise endet, wo unsere beginnt". Empathie wie nie allerorten, Mitgefühl und tiefe Trauer angesichts der Leiden der Opfer und der schrecken, die ihre Familien erdulden mussten. "Läbbe geht weiter", steht über den Jubiläumsfeiern der Jahrhundertkatastrophe, deren unmittelbar Beteiligte verglichen mit Opfern anderer Katastrophen nur einen Tod zweiter Klasse vorzuweisen haben.
Wie viel schlimmer ist es doch aus derzeitiger Sicht, in weniger weit zurückliegenden Unglücksfällen gestorben zu sein. Doch die Zei, die vergeht und nie stillsteht, macht Hoffnung auf noch viel mehr noch viel größere Kunst: Warum nicht auch mal das letzte Kantinenessen der "Deepwater Horizon" als Operette wiederaufführen? Wieso nicht mal ein Musical zur Tragödie in der Eishalle von Bad Reichenhall, in dem Kati Witt den Todesengel tanzt? Oder Hurrikan Katrina, a capella nachgesungen von einem Chor missbrauchter Kinder?
Wer kocht das letzte Gericht nach, das die Toten der "Costa Concordia" im Magen hatten, als sie gezwungen wurden, Salzwasser nachzutrinken? Wessen Reise beginnt, wo die der Feuerwehrleute von Fukushima endet?

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