Einen einzigen Versuch machte Thomas Mann als Dramatiker: Er schrieb das Stück „Fiorenza“, das bezeichnender Weise in den Gesamtausgaben ohne Gattungsangabe steht, so wenig war sich der Autor seiner Sache sicher. Das Stück wurde mehrfach aufgeführt, aber als zu „episch“ kritisiert. Nun erschien es mit umfangreichem Kommentarband in der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe.
Worum geht’s?
„Fiorenza“ ist die Stadt Florenz zur Zeit der Renaissance, als gerade der fundamentalistische Dominikaner-Prediger Girólamo Savonarola dort mehr und mehr Anhänger gewann (was bald zur Aufrichtung eines kurzlebigen Gottesstaates führte, an dessen Ende Savonarola auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde).
Im Stück stehen einander der sterbende Lorenzo de Medici und der aufstrebende Fanatiker Savonarola gegenüber, wenn auch erst ganz am Ende des dritten und letzten Aktes. In den beiden vorhergehenden wird dieses Aufeinandertreffen vorbereitet: Lorenzos Söhne Giovanni (ein jugendlicher, schwammiger Kardinal) und Piero (ein streitbarer Hitzkopf) treten in Erscheinung und vertragen sich nicht, beide sind offensichtlich ungeeignet, das Erbe Lorenzos zu übernehmen. Künstler und Philosophen wie Pico della Mirandola plaudern über die Zeitläufte und geben das etwas klägliche Bild eines devoten Hofes stets nach dem Wind sich drehender Geister ab. Jeder weiß ja, dass Savonarola ein gegen Lorenzo und dessen weltliche Herrschaft hetzender Hassprediger ist, und dennoch gehen viele interessiert in die Kirche, um dieses Schauspiel zu erleben bzw. schon mal zu überlegen, was denn Wahres an diesem neuen Zeitgeist sein könnte.
Nur die bildschöne Geliebte Lorenzos, Fiore, will Savonarola provozieren, indem sie demonstrativ zu spät zur Predigt in der Kirche erscheint, im Kircheninneren der Sänfte entsteigt und sich auf einen Platz direkt unter der Kanzel drängt. Dass Savonarola sie zuletzt als Hure Babylon beschimpfte, worauf sie erbost den Dom verlassen habe, ist die Neuigkeit, die eifrig besprochen wird. Dann erscheint Fiore höchstpersönlich, um anzukündigen, dass sie Savonarola hierher in die Medici-Villa bestellt habe, damit er sich von Lorenzo absetzen lasse.
Im letzten Akt entwickelt sich die Angelegenheit aber anders, als Fiore sich das vorgestellt hat. Lorenzo rafft seine letzten Kräfte zusammen, um die gegensätzlichen Brüder auf seine Nachfolge vorzubereiten, er hört sich das Gerede der Künstler über ein geplantes Fest zu seiner Genesung an und unterhält sich noch ein letztes Mal mit seiner Geliebten Fiore. Von ihr erfährt er, dass einst in Ferrara Savonarola als junger Bursch in sie untersterblich verliebt gewesen sei, dass sie den linkischen Kerl aber brüsk abgewiesen habe, worauf er die Mönchslaufbahn eingeschlagen habe. Lorenzo willigt ein, mit Savonarola, wenn Fiore ihn schon eigenmächtig hierherbestellt habe, ein Gespräch zu führen, ja, bei ihm zu beichten, da dieser Mönch ganz offensichtlich der einzige wäre, der es wagte, ihm die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Und angesichts des Todes sei es Zeit dafür.
Finales Streitgespräch
So kommt es zum finalen Gespräch zwischen den beiden Antagonisten. Savonarola bleibt natürlich unbeugsam, für Lorenzos kompromisslerische Vorschläge, wie Florenz zu regieren sei, hat er nichts übrig. Er nennt dann drei Bedingungen, unter denen er sich herbeilassen könnte, Lorenzo von seinen Sünden freizusprechen: Dieser müsse bereuen (ok, das geht noch, meint Lorenzo), er müsse alles zu Unrecht zusammengeraffte Geld und Gut rückerstatten (zähneknirschend sagt Lorenzo auch dieses zu) und – er müsse Florenz Savonarola überlassen, was dieser „frei geben“ nennt. Das will Lorenzo nicht, denn die Stadt solle nur von jemandem regiert werden, der sie liebt, und Savonarola, argwöhnt Lorenzo, tue dies eben nicht! Savonarola sagt auch geradeheraus, er wolle Florenz „die Flügel brechen“. Da regt sich Lorenzo dermaßen auf, dass es zuviel ist. Mit dem Schrei „Man töte ihn, der alles töten will! Mein ist Florenz … Florenz … Florenz“ bricht er tot zusammen. Im darauf folgenden Tumult prophezeit Fiore Savonarola: „Das Feuer, das du entfachst, wird dich verzehren, dich selbst, um dich zu reinigen und die Welt von dir“. Mit den Worten „Ich liebe das Feuer“ entschreitet der Mönch. Vorhang.
Münchner Renaissance-Begeisterung
Thomas Mann schrieb das Stück von 1989 bis 1905, mit Unterbrechungen. Damals war in München, wo Mann lebte, die Renaissance groß im Schwange, und mancher Münchner Künstler und Kunstbegeisterte sah sein eigenes Zeitalter als eine neue Renaissance, mit aufwändigen Künstlerfesten, Umzügen und sonstigen Aktivitäten, alles volksnah und kunstfreundlich regiert vom Prinzregenten Luitpold. Man kann also, belehrt einen der Kommentar, das Stück auch als ein auf diese Münchner Neu-Renaissance gemünztes Werk lesen.
Thema Gottesstaat
Eigentlich ist die Thematik kulturfeindlicher Gottesstaat versus kultivierter laizistischer Staat heute aktueller denn je, wenn auch zum Glück nicht in Zentraleuropa, aber an anderen Stellen des globalen Dorfs. Daher könnte Thomas Manns dramatischer Exkurs heute durchaus von Bedeutung sein. Mir scheint jedoch, dass die Positionen im Stück zu verworren, zu wenig auf den Konflikt hin zugespitzt sind, der ja erst auf den letzten zehn Seiten so richtig zur Sprache kommt, sodass das Hauptthema vom Geplänkel der ersten beiden Akte erdrückt wird. Zu einem populären Hauptwerk Thomas Manns wird das Stück nie werden, aber es ist auch nicht so uninteressant, wie ich zunächst glaubte.
Der Kommentarband
Der dicke Kommentarband umfasst eine detaillierte und sehr interessante Behandlung der Entstehungs- und Aufführungsgeschichte des Werks, dann folgt der ebenso ausführliche Stellenkommentar, den ich zugegebener Maßen kaum zu Rate gezogen habe, und darauf folgen noch einige zusätzliche Dokumente und Abbildungen.
In diesem Band der GKFA sind auch noch Thomas Manns wenige Gedichte und zwei Filmentwürfe enthalten, die ich noch nicht gelesen habe.
Thomas Mann: „Fiorenza. Gedichte. Filmentwürfe“, Große kommentierte Frankfurter Ausgabe, Frankfurt, S. Fischer, 2014. Textband hg. u. textkrit. durchgesehen von Elisabeth Galvan. 157 Seiten. Kommentarband von Elisabeth Galvan. 498 Seiten.
Fiorenza findet man auch in der Frankfurter Ausgabe, hg. von Peter de Mendelssohn, hier bezeichnender Weise eingereiht in Thomas Mann: Frühe Erzählungen, Frankfurt, S. Fischer, 1981, Seite 385 – 492.
Bild: Wolfgang Krisai: Die Paradiestür des Baptisteriums von Florenz. Tuschestift und Farbstift, 2011.
PS: Was ist mit “Zettels Traum”? Den habe ich bis Anfang Oktober unterbrochen, damit ich ein paar andere Bücher lesen kann.