Posy Simmonds’ Graphic Novel „Tamara Drewe“ habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Als vor einiger Zeit eine weitere Graphic Novel dieser Autorin und Zeichnerin unter dem Titel „Gemma Bovery“ herauskam, kaufte ich mir diese natürlich sofort und hoffte auf ein ähnliches Lesevergnügen.
Der Titel spielt offensichtlich auf Flauberts „Madame Bovary“ an, wo die Titelheldin Emma Bovary heißt und sich nach einer gescheiterten außerehelichen Affäre mit Arsen umbringt, was Flaubert mit wissenschaftlicher Akribie bis ins letzte Detail beschreibt und wodurch der Roman zu einem Hauptwerk der naturalistischen Literatur wurde.
Und tatsächlich – gleich zu Beginn erfährt der neugierige Leser schon, dass auch die Heldin Gemma Bovery sich umgebracht hat, in einem kleinen Dörfchen in der Normandie, und der dortige Bäcker, Monsieur Raymond Joubert, der Ich-Erzähler der Novel, bekennt gleich, dass er in gewissem Sinne an diesem Tod schuldig ist. Zumindest mitschuldig.
Damit hat Posy Simmonds die Neugierde des Lesers geweckt, der nun hofft, eine spannende Geschichte, wie es zu diesem Tod gekommen ist, aufgetischt zu bekommen. Ein Bäckermeister ist aber kein Krimiautor, und so erweist sich das, was er uns zu erzählen hat, schnell als recht hölzerne Angelegenheit, die leider das nicht einlöst, was an Erwartungen aufgebaut wurde. Erst am Ende, wo sich alles als etwas anders als vom Leser vorausgeahnt erweist, kommt wieder Schwung in die Sache.
Reinkarnationen von Emma und Charles Bovary
Die Grundidee des Buches: Der Bäckermeister, ein recht belesener Mann, kennt natürlich Flauberts Roman genau, und als er erfährt, dass ein Ehepaar Bovery ums Eck eingezogen ist, spielt ihm sein Literaturwissen einen Streich. Er sieht die Engländer Gemma und Charley Bovery nur noch als Reinkarnationen von Emma und Charles Bovary aus Flauberts Roman, und als er Gemma bei einer außerehelichen Affäre ertappt, ist er nicht nur ein wenig eifersüchtig, sondern er sieht sich darin bestätigt, dass er eine Neuauflage von Flauberts Romanhandlung erlebt. Damit diese aber nicht so tragisch endet wie das Urbild, will Joubert eingreifen.
Er verschickt anonyme Briefe mit Ausschnitten aus „Madame Bovary“, ahnt aber nicht, dass er damit erst recht Unheil stiftet.
Als er am Schluss von Charley Bovery erfährt, wie das Sterben von Gemma tatsächlich abgelaufen ist, merkt er, dass er tatsächlich, aber in ganz anderer Weise, als gedacht, zum Tod der Frau beigetragen hat. Joubert fürchtet nun, dass auch Charley wie sein Urbild Charles Bovary vor Kummer sterben wird.
Als Charley ihm aber endlich sagt, er heiße in Wirklichkeit Cyril und werde Charley nur genannt, ist Joubert so erleichtert, dass er sich, als er sieht, wie seine Frau diesem einen Stapel gebügelte Hemden bringt, mit der Erklärung zufrieden gibt, Charley und sie seien in der letzten Zeit gute Freunde geworden…
Im Epilog, der genau eine Seite lang ist, zieht Charley wieder nach England zurück und verkauft das Haus just an eine Jane Eyre!
Mischung aus Comic und illustriertem Roman
Das Buch ist, wie schon „Tamara Drewe“, eine Graphic Novel im strengen Sinn, sondern eher eine Mischung aus illustriertem Roman und Comic. Die Bilder haben keine Farbe, die Figuren sind in einem zwischen Comic und realistischer Zeichnung angesiedelten Stil gezeichnet, die Aufteilung von Text und Bildern auf den Seiten ist überaus abwechslungsreich (ich liebe das und hasse stereotype Panel-Einteilung). Ein Manko ist, dass Simmonds’s Stil Gemma zu wenig genau zeigt, als dass man ihre im Lauf der Handlung sich vollziehende Wandlung von einer schlampigen dicken Nudel in eine attraktive junge Frau nachempfinden könnte…
Posy Simmonds: Gemma Bovery.. Aus dem Englischen von Annette von der Weppen. Reprodukt-Verlag, 2011. Englisches Original: 1999. (Zwölf Jahre hat es also gebraucht, bis diese GN ihren Weg in den deutschen Sprachraum gefunden hat.)
Inzwischen ist eine Verfilmung des Buches in die Kinos gekommen. Die muss ich mir jetzt unbedingt ansehen.
Bild: Wolfgang Krisai: Lesende. Tuschestift, 2013.