Theater vor 150 Jahren

Von Michaela Preiner

Schlechte Partie (Copyright: Reinhard Werner/Burgtheater)

22.

Oktober 2017

Theater

Die „Schlechte Partie“ von Alexander Ostrowskij im Burgtheater, zeigt, wie man im Theater vor 150 Jahren vielleicht! – unterhalten wurde. Zum Glück hat sich seither einiges geändert.

Alexander Ostrowskij (geb. 1823 gest. 1886) war ein russischer Vielschreiber. Laut Programmheft Autor von „über 50 häufig gespielten Theaterstücken“ – vornehmlich Komödien, gilt er als Vorläufer von Tschechow und gehört unverrückbar zum russischen Theaterkanon.

Regisseur Alvis Hermanis, an der Burg und bei den Salzburger Festspielen bereits tätig, Leiter des Neuen Theater in Riga, steht für unterschiedliche stilistische Herangehensweisen an seine Inszenierungen. Der nicht unumstrittene Lette legte eine Arbeit mit dem Thaliatheater in Hamburg im letzten Jahr zurück, da er sich nicht mit der Zusammenarbeit des Theaters mit Flüchtlingsaufnahmezentren identifizieren konnte. [https://de.wikipedia.org/wiki/Alvis_Hermanis#Einzelnachweise]

In einem Interview zog er Parallelen zwischen Ostrowskij und Nestroy und erklärte, dass ihm der historische Blick des Theatermachens mit dem Schwerpunkt auf die Hervorhebung der Schauspieler in dieser Arbeit wichtig gewesen sei.

Junge Frau sucht Ehemann

Das Stück handelt von einer jungen Frau, Larissa die von ihrer Mutter aufgrund ihrer finanziellen Notlage gedrängt wird, so bald wie möglich zu heiraten. Die Männer der Kleinstadt, egal ob verheiratet oder ledig, sind dem ätherischen Charme der jungen Frau erlegen. Bei Soiréen im Haus ihrer Mutter tanzt sie immer wieder für sie und verdreht ihnen dabei gehörig den Kopf. Ein mittelloser, verklemmter und tollpatschiger Postbeamter hat sich ebenfalls unsterblich in sie verliebt. Larissas Herz jedoch hängt an einem entfernten Verwandten, einem ebenfalls reichen Kaufmann, der jedoch bankrott geht und Hals über Kopf die Stadt verlässt. Nach einem Jahr vergeblichen Wartens auf ein Zeichen von ihm, entschließt sich die junge Frau, den nächst besten Mann zu heiraten, der ihr über den Weg läuft. Unglücklicherweise ist dies Julij Kapitonowitsch Karandyschew – der Postbeamte.

Hermanis stellt das Geschehen in ein verschachteltes Zimmerkonstrukt (auch dafür ist der Regisseur zuständig), ausgestattet mit Diwans, Biedermeierkästen und jeder Menge kleiner Bilder an den Wänden. Die Drehbühne gibt zeitweise auch den Blick auf nebeneinander montierte Perserteppiche frei, vor denen Larissa alleine, ganz in sich versunken, tanzt. Ein Speiselokal mit mehreren Tischen und einer großen Anrichte, im altdeutschen Stil des 19. Jahrhunderts gehalten, bietet eine zusätzliche Szenerie. Auch die Kostüme (Kristine Jurjane) scheinen Kleiderschränken aus dem 19. Jahrhundert entnommen. Nur Larissas bunte, folkloristische Kleider und Tücher, die zum Teil höchst unorthodox übereinander gebunden werden, tragen den Touch vom Pariser Chic von Yves Saint Laurent der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Theater vor 150 Jahren

Schlechte Partie (Copyright: Reinhard Werner/Burgtheater)

Ein großartiges Ensemble

In sehr langen Szenen (Aufführungsdauer 3 Stunden, man möchte ein Loblied auf gut gemachte Streichungen anstimmen) verhandeln die Mitwirkenden über das Geschick der jungen Frau. Ihre Mutter führt ein strenges Regiment in ihrem Haus und lässt keine Gelegenheit aus, um den reichen Verehrern Geld aus der Tasche zu ziehen. Dörte Lyssewski zeigt einen dennoch brüchigen Charakter mit wild auftoupierten Haaren, dem zwar das eigene Wohlergehen an erster Stelle steht, der aber dennoch mit der Tochter in ihrer größten Not mitleidet. Peter Simonischek alias Mokij Parmenowitsch Knurow verschwindet unter einer blonden Perücke und einem langen Backenbart. Er bietet Larissa zwar keine Heirat, aber eine großzügige Apanage an. Simonischeks berührendster Auftritt in dieser Rolle zeigt ihn als verliebten, trotz seines Reichtums gebeugten, alten Mannes, der um die Nöte der jungen Frau weiß, ihr aber bei seiner Art Liebesgeständnis nicht in die Augen sehen kann.

Martin Reinke verkörpert Wassilij Danilowitsch Woschewatow, einen Kaufmann mit menschenverachtenden Prinzipien, der sich mit „Robinson“ einen Schauspieler zum eigenen Vergnügen hält. Reinkes schwarze Haar- und Bartpracht konstrastiert mit jener von Simonischek, was auch als Hinweis für deren unterschiedliche Charakteranlagen gelesen werden kann. Demütigungen an Robinson sind an der Tagesordnung. Brillant verkörpert Fabian Krüger diesen großen, hageren Mann, dessen Lebensaufgabe der Suff ist. Wie er über die Bühne wankt, sich immer wieder fahrig durch die Haare streicht, wie er seine langen, dünnen Beine übereinanderlegt oder im Sitzen damit ein O bildet, sodass man Schieles Zeichnungen in dem Moment verlebendigt sieht, hat ganz große Klasse. Er stielt mit einer stummen Einlage sogar seinen Kollegen einmal die Show, deren Gespräch man nicht mitverfolgen kann, sosehr ist man von seiner Darbietung fasziniert. Seine Mischung aus Karl Valentin und Stan Laurel belebt jede Szene, in der er auftritt.

Ihm ebenbürtig agiert Michael Maertens als unglücklich Verliebter Postbeamter. Die Schultern nach vorne gezogen, sodass die Arme unbeholfen von ihm baumeln, sich stetig entschuldigend oder auch larmoyant sein eigenes Schicksal bejammernd, verkörpert er die tragischste Figur in diesem Stück. Die Szene in seiner Wohnung, in der er die Verlobung mit Larissa feiern möchte und dafür alle Rivalen eingeladen hat, ist das Highlight des Abends. Welches Glück, dass Hermanis auf derart gute Schauspielerinnen und Schauspieler zurückgreifen kann. Sie retten, was der Text durch seine Länge an Langeweile zum Teil verbreitet und geben einem das Gefühl, doch noch einem gewissen Theaterereignis beizuwohnen.

Marie-Luise Stockinger hat es in der Regie am schwersten. Zum größten Teil entrückt, tanzt sie mit erhobenen Armen zu russischen Volksliedern und darf erst an späterer Stelle das Seelchen aufgeben und in einen emotionalen Höhenrausch eintauchen. Als sie am Morgen nach einer Liebesnacht im Bett ihres Liebhabers aufwacht, agiert sie völlig verwandelt. Nicholas Ofczarek steht seine Rolle als windiger Kaufmann und Verführer sehr gut zu Gesicht. Darin darf er poltern, sich großkotzig geben, er darf sich verführerisch an Larissa anschmiegen und auch den eiskalten, berechnenden Womanizer herauskehren.

Das Ende – ein tragisches – rückt Larissa in den Status eines Objektes. Dass man sich als Frau nicht betroffen fühlt, verdankt man einer psychologisch herausragenden Erziehung oder der eigenen, intelligenten Emanzipation.

Theater vor 150 Jahren Theater vor 150 Jahren

Schlechte Partie (Copyright: Reinhard Werner/Burgtheater)

Theater vor 150 Jahren Theater vor 150 Jahren

Eine antiquierte Inszenierung ohne Biss

Zwar sind in dem Stück zeitgenössische Bezüge zu erkennen, die altbackene Inszenierung befremdet jedoch sehr. Man ist geneigt, festzustellen, dass die einzig wirkliche Erkenntnis aus diesem Abend jene ist, dass sich das Theater seit Ostrowskijs Zeiten zum Glück weiterentwickelt hat. Dem aufgesetzten Pathos, den das Ensemble beinahe durchgehend zur Schau stellen muss, den aufgeklebten Bärten und ausufernden Kostümen, der zwar stimmigen aber dennoch höchst antiquierten Bühnenausstattung haftet doch ein ziemlich abgestandener Mief an. Das Bemühen, das Theater Russlands aus einer längst vergangenen Zeit mit der Theaterhistorie Österreichs zu verschränken, ist nicht aufgegangen. Wenige Tage nach der Nationalratswahl in Österreich erscheint es beinahe als gruseliges Omen, dass ein Stück, so reaktionär auf die Bühne gebracht wurde; man mag es kaum glauben.

Verbeugung vor dem Ensemble, das ausnahmslos großartig spielte. Es ist der einzige Grund, sich dieses Stück in der Burg anzusehen. Das Publikum hielt tapfer durch, der Applaus – bis auf zu Recht akklamierte Schauspielerinnen und Schauspieler – war eher verhalten.

Manches Mal genügt ein Blick auf das Titelblatt des Programmheftes, auf dem wortwörtlich gedruckt zu lesen ist: „Und so viel ihre Wahl auf dich.“ Wie ironisch, dass ein kleiner, falscher Buchstabe – das v –schon im Voraus auf die Schieflage dieser Produktion hinweist. Sollte dies aus der Übersetzung übernommen worden sein, die damit unter Umständen Karandyschew noch einen gewissen unbelesenen Dreh verpasste, wäre zumindest ein kleiner Hinweis im Programmheft schön gewesen.

Weitere Termine auf der Seite des Burgtheaters.

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