Böse Zungen behaupten, "The Straight Story" sei "The Straight Story" und Lynch sei Lynch. Aber niemals könne "The Straight Story" Lynch sein und Lynch schon gar nicht "The Straight Story". Das unermüdlich in diesem Zusammenhang negativ gefärbte Wort "Altersmilde" umschlich Lynch seinerzeit zunehmend, was bedeuten soll, dass er nach seinen vorherigen Werken, vor allem nach dem unmittelbar davor präsentierten "Lost Highway", einen Gang zurückschalte und sich nur noch leichten Stoffen widme. Unsinn. Wohl eher ist das Wort "Erholung" zu gebrauchen. Erholung nach "Lost Highway". Erholung vielleicht nach abgetrennten, abgeschnittenen, deformierten Körperteilen, was auf die Dauer langweilig erscheint und depressiv macht. "The Straight Story" durfte Lynch machen. "The Straight Story" musste Lynch machen. Und "The Straight Story" ist mehr Lynch als zunächst ersichtlich. Diese Metapher aller Metaphern im regellosen Lynch-Kosmos, längst Popkultur, dieser kurze und dann doch wieder lange Kamerablick auf einen mit gelben, mit weißen Mittelstreifen begrenzten Highway, der unweigerlich in eine pervertierte Welt führt, die innerlich wie äußerlich ineinanderzufallen droht, diese Reise mitten ins Verderben, wo echte Leidenschaft herzensguter Menschen von obszönem Sadismus schwärzester Gestalten sabotiert wird, dieser Kamerablick findet sich auch im angeblich untypischsten Lynch. Wieder ist es eine existenzialistische Sinnsuche in die Psyche, wieder wird sie von ulkigen Typen bevölkert (locker verschroben: Sissy Spacek), wieder dominieren blau und rot und das Feuer als Symbolik, wieder ist der Tod ständiger, unausgesprochener Begleiter, wenn auch optimistischer, sanfter, zärtlicher. Poetischer. Wenngleich Lynch die Gesichte eines dickköpfigen in sich hinein grinsenden und in sich hinein weinenden alten Mannes auf seiner letzten Mission erzählt (kauzig-liebenswürdig: Richard Farnsworth), stellt er ihn nie aus, wenn er ihn beim Hinken filmt, macht sich nie über ihn lustig, wenn er auf einem Rasenmäher quer durchs Land streift. Lynch respektiert ihn und behandelt ihn mit Würde. Groß ist die Szene, als sich zwei Männer in der Kneipe ihrer Vergangenheit stellen. Unglaublich groß. Wie viele Szenen. So wie Alvin Straight unter den wunderhübschen Badalamenti-Noten hunderte Kilometer für die brüderliche Liebe kämpft, tuckert und verschnauft, tuckert der Film ebenso bedachtsam vor sich hin, mit einer zu oft zu schnell schwebenden Kamera (Freddie Francis), die sich erst daran gewöhnen muss, verschnauft bei den kleinen und großen Problemen kleiner und großer Menschen, die inspiriert werden, weil sie eine kleine Antwort auf die großen Fragen bekommen. Andere Regisseure würden diese Fragen in Plattitüden beantworten, Lynch übt sich in Natürlichkeit. Ein kleiner, großer Film, schön, verstörend schön. Er lernt auch, dass man zuhören sollte, wenn man etwas lernen will, gerade heute. Ob Alvin bei den Zwillingsmechanikern trotzdem bezahlen musste?
7/10