Fans westlicher Rollenspiele werden bei der Erwähnung der Black Isle Studios in seliger Erinnerung schwelgen. Neben Icewind Dale und Planescape Torment war das Studio vor zwanzig Jahren nicht nur für Fallout verantwortlich, sondern, zusammen mit Bioware, auch für das Revival von W-RPG's. Leider währte die große Zeit von Black Isle nur einige Jahre, viele Mitarbeiter sollten aber letztlich bei Obsidian Entertainment landen. Jenes Studio war neben diversen anderen Auftragsarbeiten unter anderem für das leider anfangs verbuggte, aber auch ziemlich großartige Fallout: New Vegas verantwortlich. Seit einiger Zeit kümmern sich Obsidian verstärkt um eigene Marken, darunter das großartige Pillars of Eternity. Mit The Outer Worlds steht nun nicht nur das erste komplett auf eigenem Mist gewachsene First Person Sci-Fi Rollenspiel von Obsidian Entertainment an, es erinnert in vielen Punkten auch immer wieder an Fallout. Nicht zuletzt übrigens dank reichlich schwarzem Humor.
Wilder Westen Weltraum
Eigentlich erinnert das Universum von The Outer Worlds auf den ersten Blick frappierend an diverse Space Western und ja, auch ein wenig an Firefly. Gigantische Kolonieschiffe haben verschiedenste Sonnensysteme kolonisiert, darunter auch unseren neuen Wohnort. Dummerweise wurde unser Kolonieschiff nach der Ankunft nie aktiviert und wir dümpeln immer noch in unserer Kryokapsel als intergalaktisches Stück Tiefkühlfleisch. Bis der anscheinend ein wenig verrückte Wissenschaftler Phineas Welles uns auftaut und zur Kolonie Emerald Vale schickt. Unsere Aufgabe: Irgendwie einen Weg finden, die Hope zu reaktivieren, die Kolonisten aufzutauen und all das Chaos in Ordnung zu bringen, das die örtlichen Konzerne zwischenzeitlich verursacht haben.
Denn die Welt von Outer Worlds spielt in einer alternativen Zeitlinie, die allerfeinstem Turbokapitalismus fröhnt. So gab es Roosevelts New Deal nie, die Kolonisierung der Galaxis erfolgte durch Megakonzerne, die sich die entsprechenden Rechte für einzelne Planetensysteme seinerzeit einkauften und dementsprechend herrscht statt einer ordentlichen Regierung ein Vorstand über das Sonnensystem. Wenig überraschend, The Outer Worlds steckt voller böser Anspielungen auf Neoliberalismus und Turbokapitalismus. Aber dazu kommen wir gleich wieder.
Nachdem wir per Raumkapsel in der Nähe von Emerald Vale gelandet sind stellen wir sehr schnell fest, dass wir dummerweise Alex Hawthorne geplättet haben, ausgerechnet den Captain der Unreliable, die uns auf unserer weiteren Mission durchs All transportieren sollte. Also machen wir uns selbst auf den Weg zum Schiff, wo uns die Bord-KI ADA nicht nur zum neuen Alex Hawthorne erklärt, weil der Captain nun mal Alex sein muss, sondern auch mitteilt, dass ein wichtiger Energiekonverter organisiert werden muss. Natürlich machen wir uns auf den Weg, entsprechendes Teil zu besorgen und lernen die tolle, kapitalistische Welt von Outer Worlds kennen.
Am Eingang von Emerald Vale treffen wir etwa auf den örtlichen Junior-Bestatter, dem wir helfen können, die Grabmieten einzutreiben. Die werden übrigens im Zweifelsfall von der letzten Person kassiert, die mit dem Verstorbenen zu tun hatte. Zuwiderhandlung kann zu Abmahnungen führen. Krankheit übrigens auch, weil der Firma damit Arbeitszeit verloren geht, weswegen sich Kranke gerne mit Adrena-Time vollpumpen. Das ist nicht nur unser universelles Heilmittel, es macht dummerweise auch abhängig. Natürlich erinnert das spontan etwas an die amerikanische Opioidkrise, weil sich Arbeitnehmer dort, nicht zuletzt mangels Krankenversicherung, aber oft auch, weil sie sich keine Krankentage leisten können, gerne mal mit Schmerzmitteln voll pumpen und dann abhängig werden.
Wenig verwunderlich, dass die Abhängigen, Abgemahnten und natürlich auch die zur Effizienzsteigerung Entlassenen zu Outlaws werden, also zur Outer Worlds Variante der Raider. Praktischerweise gibt es auch diverses, seltsames Getier und allerhand Wachroboter.
Aber noch mal zurück zu unserer Quest, in der Gegend von Emerald Vale gibt es genau zwei Energiekonverter. Um einen davon in die Finger zu bekommen, müssen wir den Energiefluss am Geothermiekraftwerk ändern und entweder den von Deserteuren bewohnten, aber wieder begrünten Botanikanlagen den Saft abdrehen oder Emerald Vale und der Saltuna Konservenfabrik. Dabei wird unser Handeln durchaus ernsthafte Folgen haben.
Obsidian trifft Bethesda trifft Black Isle
Spielerisch schließt The Outer Worlds tatsächlich einen Kreis. Die eigentlichen Areale sind zwar offen, aber gar nicht so groß. Das erinnert tatsächlich ein wenig an die ersten beiden Fallouts. Statt unzähliger Quadratkilometer ist die Gegend um Emerald Vale vielleicht einen einzigen groß. Andere Areale sind je nachdem kleiner oder ähnlich weitläufig. In Verbindung mit dem Schnellreisesystem haben wir so eigentlich nie weite Wege und stolpern auch nicht über ein ganzes Dutzend Quests, während wir die Wegpunkte einer einzelnen abklappern. Nachdem Open World Titel in letzter Zeit an jeder Ecke lauern, fühlt sich der kleinere Maßstab mehr als angenehm an.
Auf der anderen Seite spielt sich The Outer Worlds meist sehr ähnlich wie die modernen Bethesda Fallouts. Gesteuert wird aus First Person Sicht, Leichte, schwere und Nahkampfwaffen sowie verschiedene Rüstungsarten wecken ebenfalls klare Erinnerungen an die atomare Endzeit und natürlich dürfen wir Terminals untersuchen, Safes und Türen knacken (ohne Minispiel!), Dinge einsammeln und in Echtzeit kämpfen. Was es hier nicht gibt? Das VATS System. Stattdessen dürfen wir auf Tastendruck die Zeitdilatation nutzen, eine Zeitlupenfunktion.
Auch das Dialogsystem funktioniert wie gehabt, wobei hier klar im Vorteil ist, wer entsprechend redegewandt ist. Auch keine Überraschungen erwarten uns beim Charakteraufbau. Der wirkt auch fast so, wie das SPECIAL System, die Kategorien sind fast identisch und auch unsere einzelnen Fertigkeiten erinnern zum Teil an Fallout. Natürlich schaten sie auch die entsprechenden Optionen frei. Ein tumber Revolverheld wird sich in Kämpfen zwar leichter tun als ein charismatischer, wissenschaftlich begabter Klugscheißer, letzterer wird aber in Dialogen viel mehr Chancen und Möglichkeiten haben, und beispielsweise Wachroboter auch mal umprogrammieren können.
Quests, NPC's und Begeiter tun dem keinen Abbruch. Vergleicht man Outer Worlds dabei mit den modernen Fallouts, dann findet man die größten Überschneidungen allerdings ganz klar zu New Vegas. Das liegt vor allem daran, dass unsere Entscheidungen alle Auswirkungen haben. Auch auf unsere Begleiter. Die leicht firmengläubige, etwas unterwürfige aber geichzeitig eher humanistische Mechanikerin Parvati reagiert zum Beispiel oft ganz anders als Söldnerin und Feldärztin Ellie oder Vikar Max. Der übrigens den Unternehmensgauben vom Großen Plan predigt. So ganz nebenbei bieten unsere Begleiter, wenn wir sie mitnehmen, unterschiedliche Boni, beispielsweise in Überredungskunst.
Etwas Retro
Es gibt auch Punkte, in denen The Outer Worlds Federn lassen muss. Das liegt wohl vor allem am nicht besonders hohen Produktionsbudget. Zwar hat das in vielen Punkten für eine Konzentration auf das Wesentliche gesorgt, anderswo fehlen aber liebgewonnene Standards. Unser Avatar kann beispielsweise selbst gar keine Beziehung eingehen. Schade, wo man doch schon im zweiten Fallout heiraten konnte, wenn man denn wollte. Und so manche Figur, inklusive unserer eigenen Begleiter, hätte mehr als genug Potenzial für eine interessante In-Game Beziehung geboten. Auch die Gegner-KI gibt sich eher simpel. Nahkämpfer und Möter stürmen beispielsweise stur auf uns zu, Flankieren oder andere Taktiken kennt die KI üblicherweise eher nicht. Und ja, auch die Animationen wirken durch die Bank eher antiquiert. Unser mühsam im Editor erstellter Avatar ist eigentlich nur im Menü zu sehen und besteht ansonsten nur aus dem klassischen, fliegenden Waffenarm. Kein Körper, keine Kletteranimationen für Leitern und schon gar keine Third Person Ansicht. Schade. Aber auch die NPC's sind eher einfach animiert, teilweise wirkt das schon ziemlich antiquiert. Tagesabläufe gibt es ohnehin nicht, für gewöhnlich steht oder sitzt jeder an der gleichen Stelle herum, außer vielleicht mal nach Abschluss einer Quest. Sieht man davon mal ab, dann ist The Outer Worlds zwar eher ansehnlich als technisch großartig, kann aber mit seinem stilsicheren Design und den gelungenen Settings visuell durchaus überzeugen. Und das auch auf der Basis-Xbox. Die fremden Welten können visuell gefallen, die Remiszenzen an Weltraum-Western und klassische Sci-Fi können ebenfalls immer wieder punkten und das Design ist angenehm eigenständig. Einzig die Ladezeiten können teilweise etwas lang ausfallen. Außerdem hätten die Texte teilweise ruhig größer sein dürfen. Bei 55 Zoll und normaler Couchentfernung ist manches schon ziemlich schwer zu lesen und wirkt eher für PC-Monitore optimiert. Wer nah am Fernseher sitzt oder einen Riesenscreen besitzt, hat das Problem natürlich nicht.
Akustisch gibt Obsidian sich keine Blöße. Die englische Sprachausgabe passt einfach perfekt und die Sprecher können durch die Bank überzeugen, die Soundeffekte passen zum Spiel. Und der Ambiant-lastige Soundtrack weckt ebenfalls wieder leichte Erinnerungen an Fallout, auch wenn er gleichzeitig eigenständig und deutlich weniger schwermütig daherkommt.
Moderner Oldie
Zugegeben, in manchen Punkten ist The Outer Worlds ein klein wenig altbacken. Erfreulicherweise sind das fast alles Bereiche, in denen das Spiel keine Schwerpunkte setzt. Das ganze Kampfsystem samt KI wirkt ein wenig oldschool, ist aber durch die Bank ordentlich spielbar. Die Animationen reißen leider wirklich keine Bäume aus. Hier macht sich das geringe Budget einfach bemerkbar. Gar keine Optionen für Romanzen zu haben, ist ebenfalls schade, nicht zuletzt, weil so mancher NPC nun wirklich interessant genug gestaltet ist.
In anderen Punkten haben sich Obsidian Entertainment dafür auf genau die richtigen Punkte konzentriert, eben beim Quest Design, den Dialogen und den Möglichkeiten, die das Spiel bietet sowie bei angenehm dicht besetzten Arealen, die praktisch ohne Leerlauf auskommen, einen aber trotzdem über die eine oder andere Minigeschichte stolpern lassen. Und innerhalb der 30 bis 40 Spielstunden viel über die Welt erzählen. Gleichzeitig können die ziemlich unverhohlenen Anspielungen auf den neoliberalen Turbokapitalismus und seinen Umgang mit Humankapital immer wieder punkten.
Fazit:
Obsidian konzentriert sich auf das Wesentliche und macht dabei vielleicht nicht alles, aber sehr vieles richtig. Ironischerweise schlägt The Outer Worlds damit auch eine spielerische Brücke zwischen den alten Fallouts aus Black Isle Zeiten und den modernen Bethesda Ablegern mit Ego Perspektive und Echtzeit Kampfsystem. Sicher, in manchen Punkten merkt man The Outer Worlds das vergleichsweise geringe Budget zwar an, den Qualitäten des Spiels tut das aber so gar keinen Abbruch. Es macht mich aber verdammt gespannt darauf, was Obsidian zukünftig mit dem Kapital der Xbox Game Studios im Rücken erreichen könnte.