Terroristen für den Frieden: Darf das sein?!

Soso. Die Tatsache, dass die ehemalige Terroristin Inge Viett auf einer Demo gegen die internationale Konferenz der Kriegstreiber, Pardon, Sicherheitskonferenz für die antikapitalistische Linke sprechen sollte, sorgt für Aufregung und Verunsicherung. Laut taz sind die meisten Friedensaktivisten entsetzt. Zum Inhalt von Vietts Rede schreibt die grünliberale Zeitung nichts. Natürlich, sonst könnte man darauf kommen, dass die Einladung an Inge Viett vielleicht ganz richtig war. Laut der Süddeutschen Zeitung hat sich Claus Schreer, “Frontmann des Aktionsbündnisses gegen die Siko”, vom Viett-Auftritt distanziert und ihren Auftritt als “Provokation, die der Antikriegsbewegung schadet” bezeichnet. In dem Artikel mit der bezeichnenden Überschrift “Bühne für die Ex-Terroristin” geht es dann noch einige Absätze lang darum, welche Gruppen es wohl aus welchen Gründen doof finden, dass ausgerechnet Inge Viett reden durfte, aber auch hier geht es kein bisschen um den Inhalt dessen, was Frau Viett überhaupt gesagt hat.

Das ist leider völlig üblich heutzutage: Inhalte interessieren nicht – es geht immer nur um den unglaublichen Skandal, weil irgendwer irgendwas gesagt hat, den oder das wiederum irgendwer irgendwie anstößig findet – und schon rollt ein ungeheurer Shitstorm leider nicht nur durch die elektronische Zwitscherwelt, sondern auch die herkömmlichen Medien, in dem völlig untergeht, worum es eigentlich gehen sollte. In diesem Fall geht es also nur noch um den unglaublichen Skandal, dass eine Frau aus dem ehemaligen Umfeld der ehemaligen RAF überhaupt noch etwas sagen darf. Und dann noch auf einer Friedensdemo! Wer einmal etwas mit Terroristen und Mördern zu tun hatte, kann ja wohl unmöglich für den Frieden sein.

Wäre man mit ehemaligen Nazis eben so streng gewesen, hätte es in der jungen Bundesrepublik zumindest in den Reihen von CDU und der FDP ja kaum jemanden gegeben, der irgendwas hätte öffentlich sagen dürfen. Aber damals nach der totalen Niederlage war man verständnisvoll und großzügig und hat den Leuten zugestanden, dass der Mensch verführbar ist und Fehler macht. Und selbstverständlich dazu lernen kann. Und so wurden aus Nazis, die bekanntlich auch Mörder waren, wieder anständige Bürger, die es noch mal mit Freiheit und Demokratie versuchen wollten. Schwamm über die hässliche Vergangenheit.

Ja, das waren andere Zeiten. Die Leute von der RAF, die darüber zu Mördern und Terroristen wurden, regten sich unter anderem darüber auf, dass so viele alte Nazis wieder zu Ansehen und Würden gelangt waren, wo an ihren Händen doch so viel Blut klebte. Sie wollten nicht hinnehmen, dass die Terroristen und Mörder des dritten Reichs in der Bundesrepublik einfach weiter machen, ach was, ordentlich Karriere machen konnten.

Nun finde ich keineswegs, dass Terror ein Mittel ist, um vergossenes Blut abzuwaschen – aber verdrängen und weitermachen ist auch keins. Terror ist immer falsch, weil er nicht aufklärt, sondern eben terrorisiert – manche Regimes setzen genau darauf, weil sie wollen, dass die Menschen Angst haben, nicht aufmucken und wie befohlen mitmachen. Insofern hat die RAF genau das Gegenteil von dem erreicht, wofür sie nach eigener Darstellung angetreten ist: Die Leute sind eben NICHT auf die Straße gegangen und haben Revolution gegen das herrschende Schweinesystem gemacht, im Gegenteil, der kapitalistische Staat hat aufgerüstet und die Leute auf der Straße haben den Kopf geschüttelt – und nicht wenige haben sogar in bewährter Nazimanier die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert – gegen diese besessenen Mordbrenner von der bösen RAF.

Wie man heute weiß, hat der westdeutsche Verfassungsschutz damals über V-Leute gezielt dafür gesorgt, dass die einschlägigen linken Zellen durch Waffen, Bombenbaumaterial und gelegentliche Provokationen tatsächlich als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und noch schlimmer: der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufgebaut werden konnten, die wiederum eine wahnsinnige Aufrüstung des Sicherheitsapparates und Einschränkungen der angeblich heiligen freiheitlichen Bürgerrechte rechtfertigte.

Furchtbar, dass diese Reflexe auch Jahrzehnte nach dem offiziellem Ende der RAF noch immer funktionieren. Ich kenne Inge Viett nicht (genauso wenig wie die Journalisten der bürgerlichen Presse), aber man sich kann ja anhand der im Internet kursierenden Informationen durchaus ein eigenes Bild machen: Inge Viett ist Jahrgang 1944, kam 1946 ins Heim, weil ihrer Mutter das Sorgerecht entzogen wurde – nicht unbedingt eine Voraussetzung für eine glückliche Kindheit. Nach verschiedenen Versuchen, sich irgendwie in der bürgerlichen Welt zu etablieren, von der sie immer wieder schlecht behandelt wurde, stieß sie wohl auf ein entsprechendes Umfeld, das zu ihrer Politisierung und zum Einstieg in die damalige Widerstandsbewegung gegen eben jene spröde bürgerliche Welt führte. Sie war Mitglied der “Bewegung 2. Juni”, die 1975 den damaligen Berliner CDU-Chef Peter Lorenz entführte. Später schloss sie sich der RAF an. 1982 entschloss sie sich zum Ausstieg und setzte sich in die DDR ab – die DDR-Behörden verschafften ihr eine neue Identität und ein Job als Organisatorin von Kinderferienlagern. Nach dem Zusammenbruch der DDR und ihrem Anschluss an die BRD wurde Viett 1990 verhaftet und 1992 wegen versuchten Mordes verurteilt. 1997, als sie zwei Drittel ihrer Strafe verbüßt hatte, wurde ihre Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt – damit ist sie ein freier Mensch mit allen Bürgerrechten. Warum soll sie also nichts sagen würfen, wenn sie etwas zu sagen hat?

Dankenswerterweise hat die junge Welt die Rede von Inge Viett dokumentiert. Es lohnt sich durchaus, sie zu lesen. Hier nur ein kurzer Ausschnitt, um einen ersten Eindruck zu bekommen:

Warum sind wir nicht Millionen. Wissen die Menschen zu wenig, was um sie herum vorgeht? Ich glaube nicht, denn zwei Drittel der Bevölkerung wollen keine Kriegspolitik. Was sie hindert, ist zum einen das Gefühl der Ohnmacht und zum anderen die Illusion, die Hoffnung auf eine »vernünftige« Politik, auf eine »vernünftige« Regierung mit »vernünftigem« Personal. Diese Illusion bestimmt das Verhalten so vieler Menschen hier und reicht weit in die linke Bewegung hinein. Gutgläubige, Friedensbewegte und aufrichtige Demokratinnen und Demokraten appellieren an die Herrschenden, machen Aufklärung und Propaganda für eine bessere Welt. Diese Hoffnung erfüllt sich jedoch nicht.

Rosa Luxemburg hat 1913 im Vorkriegstaumel des Ersten Weltkrieges geschrieben: »Wir haben auch noch mit einer andern Illusion, die Verwirrung anrichten kann, reinen Tisch zu machen, nämlich mit der Illusion von der Abrüstung. (…) Solange das Kapital herrscht, werden Rüstungen und Krieg nicht aufhören. Alle großen und kleinen kapitalistischen Staaten sind jetzt in den Strudel der Wettrüstungen gerissen. (…) Es ist eine hoffnungslose Utopie, zu erwarten, daß durch unsre Propaganda für die Abrüstung die kapitalistischen Staaten aufhören werden zu rüsten. Die Rüstungen sind eine fatale Konsequenz der kapitalistischen Entwicklung, und dieser Weg führt in den Abgrund. (…) Eine Folge der Rüstungsdelirien ist der schmachvolle Niedergang des Parlamentarismus. In Deutschland ist jede bürgerliche Opposition aus dem Parlament verschwunden, es gibt keine Rüstungsvorlage, die nicht von den getreuen Regierungsmamelucken bewilligt würde.«

Die komlette Rede gibt es auf der Internet-Seite der jungen Welt zu lesen.

Statue der Rosa Luxemburg vor der Redaktion der jungen Welt.

Statue der Rosa Luxemburg vor der Redaktion der jungen Welt.



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