Terror durch Müßiggang?

Innenminister Friedrich sprach sich kürzlich dafür aus, so genannten Salafisten das Arbeitslosengeld zu streichen. Belege dafür, dass sich der deutsche Salafismus ausschließlich aus der Arbeitslosigkeit rekrutierte, gibt es allerdings keine. In der arabischen Welt mag er dies tun - was auch nicht verwundert, denn dort ist die Arbeitslosenrate ohnehin stattlicher, womit sich jede politische Strömung zwangsläufig übermäßiger aus der Arbeitslosigkeit mobilisiert. Für Deutschland läßt sich diese Behauptung hingegen nicht verifizieren - es fehlt an eindeutigen Erhebungen hierzu. Es ist nicht mehr als eine populistische Vermutung.
Narrativ der Christsozialen
Es ist mittlerweile Jahre her, dass Christine Haderthauer, damals Generalsekretärin der Christsozialen, forderte, man sollte nicht integrationswilligen Muslimen das Arbeitslosengeld II kürzen. So sprach sie seinerzeit unwidersprochen. Ob denn diese hinlänglich als integrationsunwillig bezeichneten Muslime überhaupt arbeitslos seien: diese Frage stellte sich öffentlich gar nicht erst. Man nahm es an, ließ das Bauchgefühl walten und es blieb als Aussage mit Wahrheitsgehalt stehen. Friedrich greift nun dieses Bauchgefühl neuerlich auf und adelt es zur ministeriellen Aussage mit Kopf und Verstand. Sein sozialdemokratischer Kollege, der Integrationsmuffel als Abschaffung Deutschlands publizierte, nahm ja immerhin noch an, dass Muslime auch in Dönerbuden und Gemüseläden integrationsunlustig seien.

Lassen wir hierbei mal außer Acht, dass der Umstand, jemanden die Bezüge von Sozialleistungen aufgrund weltanschaulicher oder religiöser Diskrepanzen zu verweigern, nicht verfassungskonform sind - wir haben uns daran gewöhnt, dass aus Innenministerien zuweilen wenig Verfassungskompatibles kommt. Es soll allerdings darum gehen, dieses einfache Weltbild zu hinterfragen.
Treibgut des Terrorismus
Für Friedrich und Haderthauer sind Salafisten beziehungsweise Integrationsunwillige ja zweifelsohne mehr. Es sind Gruppen, die den deutschen Kitt unterwandern, den es zwar nicht gibt, den es aber in deren Gedankenwelten geben sollte. Sie sind Gefährder, wie Terroristen auch - und unter ihnen findet sich gar die terroristische Vorstufe und terroristisches Fußvolk. Sie seien das Treibgut im Kielwasser des Terrorismus, der den Islam nutzt, um sich zu erklären. Sie seien der Bodensatz terroristischer Gemüter, die Basis und Sympathisanten. Dabei verkennen Friedrich und Geisteskollegen hierbei allerdings, dass sich, terrorgeschichtlich gesehen, dieses Milieu mitnichten rein aus der Arbeitslosigkeit und ihrer sozialen und ökonomischen Folgen rekrutiert. Die Sympathisanten der RAF waren nicht durchweg arbeitslos, sie kamen sogar vermehrt aus einer gesellschaftlichen Schicht, die dem Bildungsgedanken nahestand. Dasselbe gilt für die Köpfe und die Freunde der ETA - selbst die Terroristen selbst, die die Blutarbeit von eigener Hand leisteten, waren keine desillusionierten Müßiggänger, die zu viel Zeit gehabt hätten, um sich zu radikalisieren. Sie entstammten der Mittelschicht, gingen Berufen nach und waren in ihrer Freizeit Bombenbastler und Genickschußexperten. Bei der IRA war es nicht viel anders.
Die Geschichte des Terrorismus ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Sie wird als eine Geschichte von "zu viel Zeit" gelesen, als eine Geschichte von "Müßiggang ist aller Terror Anfang" - nie allerdings als eine Geschichte sozialer Ausgrenzung, ökonomischen Drangsals, altruistischen Einsatzes für unterdrückte Schichten. Wobei letzteres natürlich nicht verklärend zu verstehen ist, sondern aus der jeweiligen Motivation verstanden werden muß. Der allgemeine Erklärungsansatz des amtierenden Salafismus ist die Arbeitslosigkeit, das "Zu viel Zeit"-Haben zur Radikalisierung. Die Geschichte des Terrorismus ist eben keine Geschichte arbeitsloser Typen, die zu viel Zeit dazu hätten, sich ideologisch verbohrter Konstellationen zu widmen, um dabei völlig zu verblöden - dies widerspräche ja auch der herrschenden Ansicht, wonach Arbeitslose nichts täten außer schlafen, fressen, fernsehen. Terroristen und deren Sympathisanten und Steigbügelhalter waren nicht selten im Alltag unscheinbare Mitglieder der Gesellschaft - die Unscheinbarkeit ist zugegeben bei den salafistischen Stereotypen im Westen nicht denkbar. Sie fallen ja auf. Aber nicht alle laufen rum wie Pierre Vogel - sie sind vielleicht bärtig, tragen aber Jeans und Hemd und gehen somit unter in der Masse.
Enttäuschung und Arbeitslosigkeit als einfach vermittelbare Erklärungsansätze
Natürlich ist es ein Erklärungsversuch nach herrschenden Kritierien, der hier unreflektiert verbreitet wird: Der Salafist ist radikal und terrorbereit (ist er das überhaupt?), weil seine persönliche Situation ihn frustet. Wenn Friedrich und Haderhauer das so sehen, dann ist das auch Teil einer ideologischen Weltbetrachtung, die da lautet: Wenn es dem Subjekt schlecht geht, dann stellt es sich gegen die Gesellschaft, dann wird es radikal und brutal. Da schimmert die neoliberale Agenda hervor, wonach alles was man tut und denkt, sich am Eigennutzen schleift. Was schließt denn aus, dass sich Radikalisierung und Abwendung von der Gesellschaft auch ergeben können, wenn man nicht selbst in die Enge getrieben wird, sondern dabei zusehen muß, wie es anderen so ergeht? Terror als altruistisches Affekt - ein falscher Ansatz freilich, aber eine Reaktion. Natürlich ist das eigene Schicksal auch Motivator - aber doch nicht ausschließlich. Die Milieus vergangener Terrorbrigaden waren ja auch nicht alle notleidend - aber sie gaben oftmals vor, für solche zu kämpfen. Das Opium für das Volk ist nicht nur Opium für Notleidende, sondern viel zu oft auch Rauschmittel für saturierte Gestalten, die ihr vages Bauchgefühl, etwas gegen das Unrecht tun zu wollen, in der Religion oder Ideologie legitimiert, bestätigt und bekräftigt sehen.
Dass auch der Salafismus nicht unbedingt ausschließlich aus Hartz IV-Empfängern bestehen muß, ist ja eigentlich eine Binsenweisheit. Eine jedoch, die keinerlei Raum einnimmt im öffentlichen Raum der Monologe. Die absolute Neuheit, die man dem Salafismus nun unterstellt, ist nichts weiter als Dramaturgie aus Ministerien - Entwicklungen ähneln sich viel zu oft, absolut neu ist nie etwas; wer das behauptet, der will sich und seine Aufgabe mit roter Wichtigkeitsfarbe unterstreichen. Natürlich soll mit der Entkräftung friderizianischer Einfältigkeit nicht bestätigt werden, dass wir eine Gesellschaft voller Schläfer seien. Nicht jeder Sympathisant vermeintlich terroristischer Weltbilder und nicht jeder Koranverteiler ist ja auch selbst gewaltbereit. Er zeigt zwar vielleicht Verständnis für terroristische Gewalt, lobt, findet es berechtigt, ist selbst aber relativ zurückhaltend. Das mag man moralisch verurteilen, justiziabel ist dergleichen aber richtigerweise nicht. Grundsätzlich ist die Arbeitslosigkeit als Prämisse einfach, weil sie unkompliziert eine Sachlage erklärt. Ohne diese Arbeitslosigkeit jedoch offenbarte sich, dass der westliche Salafistmus ein Produkt der Weltpolitik ist - und das zu erläutern ist kompliziert und bedarf einiger Selbsterkenntnisse, die man von der derzeitigen Politik nicht zu erwarten hat.
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