Target2 oder der verbuchte Selbstbetrug

Von Marc Schanz
Target2 ist ein Flussgeldkontensystem für Bankreserven, das aufgrund von Eigenwährungstransfers negative Bankreserven erzeugen kann. Diese Anomalie entsteht, da die Zentralbankkonten der nationalen Notenbanken des Euro-Systems in Wahrheit nur Unterkonten einer faktischen, gemeinsamen Euro-Zentralbank sind.
Was passiert eigentlich auf diesen viel diskutierten Target2 Salden, die im Zuge der Euro-Krise astronomische Ausmaße angenommen haben? Die positiven Target2 Salden der Bundesbank belaufen sich auf unglaubliche +644,182 Mrd. Euro (Stand April ’12) und übersteigen den Haushalt des Bundes sogar um ein Mehrfaches! Sind wir dank der Krise und Target2 nun abartig reich geworden?Die Antwort ist leicht, die Begründung jedoch alles andere als das. Um die komplexen Zusammenhänge so einfach wie möglich darzustellen, verdeutliche ich den Sachverhalt an einer fiktiven Währungsunion von Athenia und Teutonia.
Die beiden Nachbarländer beschließen, eine Währungsunion zu bilden und als Gemeinschaftswährung den Money (M) herauszugeben. Die Länder sind befreundet, mehr auch nicht. Daher soll die Währungsunion nur ein ökonomischer Akt werden und es gilt die strenge politische Vorgabe, dass die Unabhängigkeit der beiden Zentralbanken erhalten werden muss. Es ist jedoch offensichtlich, dass die beiden Zentralbanken ein gemeinsames System zum Austausch von Zentralbankgeld benötigen. Zu diesem Zweck wird das ForExSim (foreign exchange simulator alpha) Kontensystem ins Leben gerufen.
Athenia ist ein kleines Land, die athenischen Geschäftsbanken haben bei ihrer Zentralbank Sicherheiten im Wert von nur 2 Mrd. M hinterlegt und die Banken haben daraus über den Mechanismus der Giralgeldschöpfung eine Geldmenge von 20 Mrd. M erschaffen. Teutonia ist ein größeres Land und dementsprechend haben die dortigen Geschäftsbanken mit 10 Mrd. M an Sicherheiten eine Geldmenge von 100 Mrd. M erzeugt. In der gesamten Währungsunion ist die Summe der Geldmenge M0 somit 12 Mrd. M und die der Geldmenge M1 120 Mrd. Bisher lebten beide friedlich vor sich hin, hatten keine größeren wirtschaftlichen Austausch und alles war gut:
Target2 oder der verbuchte Selbstbetrug 
Nach der Währungsunion beschließen die Athenier von Teutonia eine größere Lieferung der dort produzierten tollen, teutonischen Autos zu kaufen. Teutonia liefert die Autos und die Athenier bezahlen sie mit 15 Mrd. M – ein im Grunde ganz harmloser, wirtschaftlicher Vorgang. Zu jeder Überweisung der Geschäftsbanken gibt es eine Gegenbuchung bei der entsprechenden Zentralbank. Daraus ergibt sich folgende Situation:
Target2 oder der verbuchte Selbstbetrug
Die Summe von M0 und M1 bleiben in der Währungsunion bleiben gleich, das Kapital der athenischen Geschäftsbanken verringert sich um 15. Mrd., während es sich für die teutonischen im gleichen Maße erhöht. Die Bilanzen der Zentralbanken geraten ob der Gegenbuchung ins Ungleichgewicht. Die Bilanz der teutonischen Zentralbank explodiert und Athenias Zentralbank fällt ins Minus. Obwohl doch nur eine normale Finanztransaktion in der Eigenwährung erfolgte, müssen wir überrascht feststellen, dass es zu seltsamen Anomalien gekommen ist:

  1. Die Zentralbank Athenia verfügt über eine negative Bilanz, es sind aufgrund einer Eigenwährungstransaktion negative Bankreserven erschaffen worden.

  2. Die Bilanzsumme der teutonischen Zentralbank ist größer als die Summe der hinterlegten Sicherheiten der gesamten Währungsunion.

  3. Bankreserven darf nur über eine Kreditgewährung erschaffen werden, in diesem Falle wurde es durch eine simple Überweisung erzeugt.
Wodurch entsteht diese Fülle an Anomalien? Eine Antwort wird leichter verständlich, wenn wir versuchen, die ForExSim-Salden als Devisenkonten zu verstehen: Zentralbanken tauschen niemals Zentralbankgelder direkt aus, es ergäbe auch keinen Sinn. Sie müssen sich zuerst am Devisenmarkt mit der Fremdwährung versorgen und können dann am Devisenmarkt ihre Transaktionen tätigen. Dürfen die ForExSim nicht als eine Art der Simulation einer Devisentransaktion verstanden werden? Nein, denn es fehlen zwei wesentliche Elemente: Devisen und der Markt. Es ist ja so: die beiden Länder sind bewusst eine Währungsgemeinschaft eingegangen und haben sich dafür entschieden, den Marktmechanismus abzuschaffen, um ihre Finanztransaktionen leichter durchführen zu können. Möchte man die länderübergreifenden Kapitaltransfers jedoch lieber besichern und vom Markt bewerten lassen, da der Nachbar einem irgendwie suspekt geworden ist, dann gibt es einen ganz einfachen Trick: die Währungsunion auflösen.Sind zwei Zentralbanken direkt über einen Austausch von Zentralbankgeld verbunden, ist es in Wahrheit nur eine einzige. Der ungehinderte Austausch von Bankreserve über ein gemeinsames Kontensystem schweißt die Zentralbanken so eng zusammen, dass sie in Wahrheit eine Einheit bilden. Aus Sicht dieser einen faktischen Zentralbank ist die fiktive Gemeinschaftswährung Money in bester Ordnung, nur die künstlichen Konten der beiden „unabhängigen“ Zentralbanken bilden ob ihrer widersinnigen Konstruktion heftige Ungleichgewichte aus. Um das Chaos zu beheben, müssen die Bankreserven mittels eines eigenen, unabhängigen Geldsystems übertragbar gemacht werden, um sie zwischen den dezentralen Zentralbanken verbuchen zu können. Dabei entstehen negative Bankreserven mit mit all ihren Anomalien. Die Eigenständigkeit der beiden Zentralbanken ist somit nur eine Illusion, die Buchungstricks mit Flussgeldkonten für Bankenreserven sollen diesen Selbstbetrug aufrecht erhalten.
Was macht dieses seltsame Kontensystem eigentlich? Es misst die Kapitalungleichgewichte der beiden Ländern, um die Zentralbankkonten ausgleichen zu können. Es ist demnach nur ein Seismograph für Kapitalbewegungen in der Währungsunion. Die Transaktionen werden nur aufgezeichnet, ohne dass sie mit Sicherheiten unterlegt werden, wie dies bei „echten“ Devisentransaktionen der Fall wäre.Das Target2 System ist eine komplexere, aber vergleichbare Konstruktion wie die fiktiven ForExSim Salden. Daher ist auch die dezentrale Struktur der nationalen Notenbanken des Euro-Systems eine Illusion, auch die Euro-Währungsunion verfügt faktisch nur über eine einzelne Zentralbank, in der die einzelnen Länder nur ihre Unterkonten verwalten. Hans Werner Sinn, unser Starwirtschaftsökonom, meint nun, negative Target2 Salden seien als eine Art Überziehungskredit anzusehen. Kann man eine Illusion überziehen? Wer weiß das schon, aber Länder mit negativen Target2 Salden könnten auch eine Ausleihgebühr verlangen, denn schließlich haben sie „ihr“ Kapital einem anderen Land zur Verfügung gestellt.
Die entscheidende Frage ist, haben die Target2 Salden irgendeinen einen Wert, falls die Währungsunion zerfallen würde? Nein, sie enthalten weder Geld noch sonstige werthaltige Forderungen, es sind nur Forderungen auf Bankreserven, die aufgrund einer Anomalie erzeugt werden müssen. Eines hingegen belegen die Target2-Salden eindrucksvoll: die Ungleichgewichte an den Kapitalmärkten übersteigen die Problematik der Staatsschulden um ein Vielfaches, die wahren Probleme der Euro-Krise werden immer noch nicht verstanden.Die Target2 Debatte zeigt, unsere Experten verstehen das eigene Konstrukt der Euro-Zone nicht, ihnen fehlt völlig das Verständnis für eine Währungsunion. Kein beruhigendes Faktum in einer Krise wie dieser.

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