Euro-Krise: Wird Deutschlands Solidarität überstrapaziert?

Von Stefan Sasse

"Wir dürfen Deutschland nicht überfordern", warnt Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts IW, in einem Gastbeitrag in der ZEIT. Deutschlands Solidarität dürfe nicht überstrapaziert werden. Ins gleiche Horn blasen andere Kommentatoren, besonders wenn sie auf den "moral hazard" hinweisen, der angeblich droht, wenn man die ganzen südländischen Versager raushaut und denen damit nur den Anreiz gibt, auch künftig nicht auf deutsche Tugenden zu achten. Michael Hüthers Warnung vor der "Überstrapazierung der Solidarität" jedoch trifft den Nagel auf den Kopf: they just don't get it. Es geht nicht um Solidarität. Es geht nicht um die gefälschten griechischen Bilanzen oder die genaue Deutung der Target-2-Salden. Menschen, die auf die oben beschriebene Weise argumentieren, leben offensichtlich in einem anderen, der Welt entrückten Deutschland, einem Deutschland, das irgendwo auf einer Insel liegt oder wie die Schweiz zwischen lauschigen und entlegenen Berghügeln. Ein Volk von emsigen, bodenständigen Arbeitern ohne hochfliegende Ambitionen, das ist quasi das Selbstbild dieser Leute, und ein Großteil der Deutschen hängt diesem Bild auch gerne nach. Kein Vergleich mit der notorischen Selbstüberschätzung der Franzosen oder Briten, die immer noch an Grande Nation und Empire glauben. Es ist von einer geradezu beißenden Ironie, dass die Deutschen nach zwei verlorenen Weltkriegen das Ziel der Hegemonie Europas aufgaben und diese Hegemonie nun nicht einmal mehr erkennen können, wenn man sie ihnen quasi auf dem Tablett serviert. Denn genau das ist in den letzten Monaten passiert: Deutschland ist eine Großmacht geworden, die Großmacht, die es früher einmal sein wollte. Ohne Deutschland geht in Europa gar nichts mehr. 

Andere haben das längst verstanden. Sarkozy hat in seine besonders für französische Verhältnisse geradezu schamlosen Anbiederung an Merkel und ihre "deutschen Tugenden" einen merkwürdig unbeachteten Kotau vor dem so lange misstrauisch beäugten Nachbarn gemacht. Der britische Premier Cameron hat Angela Merkel wiederholt aufgefordert, doch bitte endlich den Euro zu retten. Die Briten, die sich seit jeher aus europäischen Angelegenheiten soweit wie möglich heraushalten! Zuletzt hat Cameron diesen Aufruf sogar mit Barrack Obama zusammen gemacht. Reaktion in Deutschland? Null. In der Newsweek kommentiert der konservative Kolumnist David Frum, der wichtigste "Swing State" für die Präsidentschaftswahlen 2012 seit Deutschland, dessen Politik in den kommenden Wochen entscheidend für die USA sei. Natürlich, das sind PR-Statements und mediale Übertreibungen, aber wer hätte noch vor drei Jahren gedacht, dass jemand so etwas sagen würde? Damals hätte man sich beschwert, den US-Präsidenten nicht wählen zu dürfen, obwohl dessen Politik so viel auf der Welt entscheidet. Jetzt hoffen die Amerikaner, in ihren eigenen Wahlen nicht zu sehr von deutscher Politik beeinflusst zu sein. 

Damit keine Missverständnisse aufkommen: es gab wohl nichts Gesünderes für Deutschland, als alle Großmachtphantasien zu den Akten zu legen, sich auf das oben skizzierte Selbstbild der fleißigen und bescheidenen "Schaffer" zu beschränken und die große Bühne anderen zu überlassen, besonders wenn die sie so bereitwillig und gerne ausfüllten wie die Franzosen. Spätestens seit der Wiedervereinigung und der EU-Osterweiterung aber ist ein Prozess in Gang gesetzt worden, den die Briten und Franzosen 1990 (offensichtlich zu Recht) gefürchtet haben: Deutschlands Gewicht steigt, seine Macht wächst, und es setzt sie in eigener Sache ein (oder dem, was es dafür hält). Die Bundesrepublik ist die mit Abstand größte Wirtschaftsmacht in Europa. Man kann den Großen dieses Landes gerne glauben, dass sie keine Großmachtallüren haben. Merkels harter europapolitischer Kurs beschränkt sich letztlich darauf, die Interessen der deutschen Finanz- und Exportindustrie durchzusetzen. Allein, das hilft nichts: das Land ist schlicht zu groß, um sich in einen Isolationismus flüchten zu können. Seine Nachbarn haben das begriffen. Daher auch die Forderung nach deutscher Führung, die in unseren Ohren so fremd und gefährlich klingt und es vermutlich auch ist. Sie ist allerdings auch, in einem weiteren ironischen Seitenhieb des Schicksals gegen Merkel, alternativlos, so sehr sich die Kanzlerin auch sträubt. 

Deutschland ist keine Insel und kein entlegener Staat an der Peripherie der EU, der einfach ein bisschen mehr Geld hat als die anderen. Das gilt etwa für Schweden, oder für Finnland oder Österreich. Die fragt aber auch keiner danach, den Euro zu retten. Das hat nichts mit Solidarität zu tun, wie Hüther irrtümlich mutmaßt. Deutschland hat seit den mit dem Vertrag von Nizza begonnen EU-Reformen versucht, eine delikate Balance zwischen gestiegener Macht (etwa durch die Sitze im EU-Parlament) und Begrenzung allzu offener Machtausübung (etwa durch die enge Zusammenarbeit mit Frankreich) zu schlagen. Solange es nur um ökonomische Standortvorteile ging, lief das auch ganz gut. But now push comes to shove, wie die Angelsachsen sagen würden. Alle Einsätze liegen auf dem Tisch, und die Karten müssen gezeigt werden. Will Deutschland weiter die Illusion leben, ein kleines, unbedeutendes, strebsames und tugendhaftes Land zu sein? Dann ignoriert es den implizit aufgestellten Führungsanspruch und überlässt Europa sich selbst. So gerne die Franzosen etwa diese Führungsrolle selbst übernehmen würden, sie können es nicht. Ohne Deutschland geht nichts mehr. Niemand kann wissen, wohin die Reise geht, wenn die Bundesrepublik sich entschließt, tatsächlich eine Führungsrolle zu übernehmen. Eines aber ist sicher: es wird teuer. Das Geld, das dann aus Deutschland abfließt, fließt nicht aus Solidarität. Es ist der Preis, den ein Hegemon zahlen muss. Angela Merkel sollte einmal die Briten oder Amerikaner fragen. Die kennen sich aus mit so was.


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