Einer, der es ganz besonders nicht verstanden hat

Von Stefan Sasse

Einer, der es ganz besonders nicht verstanden hat

Hans-Werner Sinn (2008) ((c)Jan Roeder, GNU 1.2)

Hans-Werner Sinn hat für die New York Times einen Meinungsartikel geschrieben, in dem er zu erklären versucht, warum Deutschland keine Lust auf den Griechenland- und Südeuropa-Bailout hat. Meine Überschrift ist etwas verräterisch: ich halte von seiner Argumentation ziemlich wenig. Das fängt schon damit an, dass er Obama reinen Eigennutz unterstellt, wenn dieser die Rettung der Euro-Zone fordert. Das ist zwar richtig, würde ein Zusammenbruch derselben den USA doch definitiv schaden, entspricht aber in etwa der Vernunft eines Mannes, der mit einem Deutschen im Schlauchboot auf offener See unterwegs ist und ihn auffordert, doch bitte endlich den Stöpsel wieder in das Loch zu stecken, bevor man untergeht. Interessant ist auch, dass Sinns erstes echtes Argument der Maastricht-Vertrag ist, der einen Bailout generell verbiete. Deutschland könne damit selbst wenn es wöllte keine Rettung unternehmen, weil das Bundesverfassungsgericht sonst intervenierte. Ich bin kein Staatsrechtler, aber der Maastrichtvertrag ist kein Grundgesetzartikel, und der Verstoß Deutschlands unter Schröder, als die 3%-Grenze ohne Strafzahlung gerissen wurde, landete auch nicht vor dem BVerfG. Sich auf diesen Vertrag zurückzuziehen und für sakrosankt zu erklären ist mehr als merkwürdig, denn die aktuellen Vorgänge beweisen einmal mehr, dass Verträge erst einmal Papier sind. Warum in dieser Situation keine Änderung möglich sein sollte, entzieht sich meinem Verständnis. Im Ernstfall könnte man Maastricht einfach kündigen 

Aber das ist erst der Anfang. Sinn wäre kein deutscher Mainstreamökonom, wenn er nicht sofort auf die moralische Schiene finden würde. In wenigen dürren Sätzen erklärt er im Falle eines Bailouts die Marktwirtschaft für gefährdet, weil das Verantwortungsprinzip gefährdet würde, auf dem diese beruht. Es sei die Pflicht der Kreditgeber, die Kreditnehmer sorgfältig auszuwählen und im Zweifel die Verluste zu tragen. Er sei "überrascht, dass der Präsident der größten kapitalistischen Nation das übersieht". Ich nicht. Ich bin vielmehr überrascht, dieses passionierte Statement von Sinn nicht gehört zu haben, als die Banken für Milliarden und Abermilliarden gerettet wurden. Scheinbar hat er nun doch zur reinen Lehre gefunden und möchte die Banken, die ja den Staaten Kredite gewährt haben, bankrott gehen lassen, und der Wirtschaftszusammenbruch, der dem der Banken auf den Fuß folgen würde, sei verdammt. Anders lässt sich diess Argument kaum erklären. Offensichtlich ist die deutsche Volkswirtschaft in Sinns Universum vollständig von anderen Volkswirtschaften entkoppelt.

Anschließend an dieses reichlich merkwürdige Argument sagt Sinn allerdings etwas sehr vernünftiges: eine Teilung der Schulden unter den Ländern - wahrscheinlich denkt er dabei an Euro-Bonds - setzt eine politische Union voraus. Ohne gemeinsame Strukturen ist eine finanzielle Integration kaum denkbar. Eine solche Union ist aber, so Sinn, derzeit kaum machbar, vor allem weil Frankreich als key player keine Souveränität aufgeben will. Damit hat er Recht, es ist aber bestenfalls die halbe Wahrheit. Denn auch Deutschland kann eine solche Integration nicht tragen, selbst wenn es wöllte - das BVerfG hat ein entsprechendes Urteil erlassen. Ohne Verfassungsreform und Volksabstimmung ist nichts zu machen, und für beides stehen die Aussichten schlecht.

Sinn stellt aber sofort klar, dass selbst in einer solchen politischen Union keine Haftung von Ländern für andere entstehen könnte und verweist, wieder seinen Adressaten Obama im Blick, auf Kalifornien, das vom Bund ja auch keinen Bailout zu erwarten hat. Jedes Land habe dann selbst mit seinen Problemen fertig zu werden. Dabei überseiht Sinn aber geflissentlich, dass es auch in den USA eine Art Länderfinanzausgleich gibt. Eine politische Union in Europa würde eine solche Art von Ausgleich mit Sicherheit ebenfalls beinhalten; man sieht es an nationalen Beispielen wie Italien (Norditalien und Süditalien) oder Deutschland (alte und neue Bundesländer) häufig genug. Genau hier aber liegt der Hase im Pfeffer: obwohl bei diesen Länderfinanzausgleichen in den vergangenen Jahrzehnten große Beträge flossen, sind die Ergebnisse eher mager. Zu ihrr Verteidigung lässt sich lediglich die letztlich unbeweisbare Behauptung anbringen, dass es ohne den Ausgleich schlimmer wäre. Die Erfolgsbilanz solcher Ausgleichszahlungen ist schlecht und hat nicht zu nachhaltigem eigenen Wachstum geführt; wie es etwa in Deutschland nach Auslaufen des Solidarpakts weitergehen soll steht in den Sternen. Fakt aber ist, dass ein Auseinanderdriften von Regionen innerhalb einer Nation nicht gewünscht sein kann, soll die Gemeinschaft als Ganzes erhalten bleiben. Diesr Effekt freilich lässt sich in ökomomischen Statistiken nicht messen, und es kann nicht im Interesse einer Gesellschaft sein, einzelne Teile in Armut und Extremismus abrutschen zu lassen.

Aber zurück zu Sinn. Dessen Argumentation wird zum Ende hin nämlich wieder abenteuerlich. Er greift sein Lieblingsthema der Target-2-Salden wieder auf und erklärt sie einfach zur Risikoübernahme Deutschlands gegenüber Resteuropas. Zum Abschluss seiner Argumentation findet er dann auch noch auf den moralischen Boden zurück, indem er den Marshallplan-Vergleich zurückweist, nach dem Deutschland Europa einen solchen schulde, da es nach dem Zweiten Weltkrieg ja auch aufgebaut wurde. Die Zahlen der Target-Bilanzen vor Augen erklärt er, der Umfang der Hilfen an Griechenland entspräche mittlerweile 115 Marshallplänen, 29 davon aus Deutschland, und wirft Obama die rhetorische Fragr vor die Füße, ob das denn nicht ausrichend sei.
Das ist aus mehreren Gründen Unfug. Zum Einen sind schon die Zahlen höchst fragwürdig, denn ein Dollar von 1949 ist nicht mit einem Euro von 2012 vergleichbar. Zum anderen, und das ist der wesentlich wichtigere Aspekt, flossen die Marshallplangelder in konkrete Projekte, etwa den Aufbau von Infrastruktur. Die Gelder der Griechenlandhilfe aber gingen an die Banken und dienten letztlich ausschließlich dem Schuldendienst. Das ist etwas anderes als der Marshallplan, den für Griechenland zu fordern durchaus seine Berechtigung hat und sinnvoll ist. Und zuletzt begeht Sinn auch einen historischen Fehler, denn die Marshallplanhilfen für Deutschland waren wenig bedeutend und hauptsächlich von propagandistischem Wert. Entscheidend für den schnellen Aufbau der deutschen (Export-)Wirtschaft war der Importhunger der USA aufgrund des Koreakriegs und der sehr guten Bedingungen, die sie der jungen bundesdeutschen Wirtschaft boten.

Sinns Argumentation offenbart sein fehlendes Verständnis für die größeren Zusammenhänge. Er sitzt in seinem Elfenbeinturm, von dem aus Deutschland als eine Insel erscheint. Hier funktioniert die reine Lehre, kann man sich auf moralischen Grund zurückziehen, während die Welt drumherum in Scherben geht; Hauptsache, die eigenen Prinzipien bleiben gewahrt. Mit dieser Einstellung gehen wir zwar reinen Gewissens in den Untergang, aber das ist Heinrich Brüning auch schon. Der Erfolg lässt sich nachlesen.


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