Redakteurin Fetscher mit einem Rundumschlag gegen ein „gesellschaftliches Mikroklima“
Das, was die Redakteurin C. Fetscher in ihrem „Tagesspiegel“-Kommentar zur Causa „Drygalla“ publiziert (http://www.tagesspiegel.de/kultur/debatte-um-nadja-drygalla-kein-sex-mit-nazis/6982574.html), strapaziert die Nerven eines besonnenen Demokraten in jederlei Hinsicht. Eine Abrechnung mit einer Gesellschaft, die von der Autorin pauschal kriminalisiert wird, ist nahezu genauso hetzerisch wie das, was Fetscher mit ihren eigenen Worten anprangern will. Sie steht dem, was sie an der Diskussion um Rechtsextremismus in Deutschland bemängelt, in ihrer eigenen Form der Argumentation wohl in kaum etwas nach. Wenn sie auf Artikel 1 des Grundgesetzes hinweist, klingt das wie Hohn – ist es doch sie selbst, die die dort angesprochene Würde eben nicht jedem Menschen gleichermaßen zuteil kommen lassen will.
Zunächst einmal muss festgestellt werden: Wer einer Gesellschaft attestiert, ihr „Mikroklima“ sei es, „in dem zur hinnehmbaren Normalität erhoben wird, dass neonazistische Zeichen, Symbole, Versammlungen, Aufmärsche und minderheitenfeindliche Graffiti-Sprüche ‚nun mal‘ existieren“, dem ist wohl jegliche Objektivität abhanden gekommen. Fetscher konstatiert der Bundesrepublik einen Zustand der „Bagatellisierung“ – ein Blinder würde glauben, in Deutschland herrsche rechte Anarchie. Verantwortungslos und von offenkundiger Wut auf ganze Teile des öffentlichen Lebens getrieben, zieht die Kommentatorin den Fall „Drygalla“ heran, um den Deutschen allensamt ein schlechtes Gewissen zu verpassen. Denn das, was Fetscher an Strukturen erkennen will, breitet sie vorwurfsvoll vor denjenigen aus, die aus ihrer Sicht zu „empfindlich“ sind und „abwiegeln“. Dazu zählt sie unter anderem die „Frankfurter Rundschau“ – wahrlich kein rechtslastiges Medium –, die zum „Maßhalten“ ermutigt hatte. Maße kennt Fetscher aber nicht – denn sie selbst ist es, die vermengt und „geschmacklos“ nebeneinander stellt, was sich nicht vergleichen lässt. So tauchen in der Reihe der Ereignisse, in denen Fetscher die „Relativierungen“ des rechten Gedankengutes nebeneinander stellt, nahezu alle historischen Namen auf, die die deutsche Politik und Gesellschaft zu bieten hat: Hohmann, Kohl und Nolte, Adenauer oder Walser sind mit dabei. Und dass dem Leser ihres Kommentars mulmig werden muss, wenn von zweifelsohne nicht in Frage zu stellenden 180 Morden mit rechtsradikalem Hintergrund in den vergangenen Jahrzehnten zu den „Nazi“-Tätowierungen eines Popstars gesprungen wird, dürfte bei Fetscher wohl lediglich „wohlfeile Entrüstung“ statt die Einsicht auslösen, dass ein derartiger Kommentar nichts von Ausgewogenheit hat.
An dieser Stelle muss ich klarstellen: Rechtsextremismus ist abscheulich. Er ist genauso abscheulich wie Linksextremismus oder jeglich anderer fanatische Extremismus von Ideologien, die Fetscher in ihrem Eifer wohl nicht mehr in ihren Ausführungen unterbringen konnte. Ich distanziere mich von jedweder Art der Menschenverachtung – egal, aus welcher politischen oder religiösen Ecke sie stammt. Sie ist inakzeptabel. Und doch müssen wir es in einer Demokratie ernst nehmen, dass nicht alles, was uns nicht passt, sofort verboten werden kann. Unabhängig davon, dass Verbotenes die höchste Anziehungskraft gerade für die hat, die in sozialer oder finanzieller Not, im Gefühl der Ungerechtigkeit den Nährboden für eine radikalisierte Einstellung sehen, hat unser Bundesverfassungsgericht nicht umsonst äußerst hohe Hürden gesetzt, um ein Verbot gegen politische Kräfte auszusprechen – Anschauungen selbst kann er ohnehin nicht per Gesetz ausradieren. Denn es ist unabweichliches Fundament unseres demokratischen Denkens, dass Meinungsfreiheit weite Grenzen hat. Das ist gut so – und das ist eines der höchsten Geschenke, die sich ein Land leisten kann. Meinungsfreiheit endet dort, wo sie anderen Menschen schadet. Und unzweifelhaft übergeht rechtsextreme Gesinnung häufig den Punkt, an dem Meinungsäußerung erträglich bleibt. Die Verfassungsschutzbehörden haben in den vergangenen Jahren tatsächlich den Beweis geliefert, dass sie mehr oder weniger bewusst geschlafen haben. Gleiches unterstellt Fetscher aber auch unserem Rechtsstaat, dem sie erst in der vergangenen Zeit zugesteht, „wacher und bewusster“ geworden zu sein. Wer abstreitet, dass unsere Justiz fähig ist, Anfang und Ende der Meinungsfreiheit einordnen zu können, der muss in seiner Hoffnungslosigkeit über die deutsche Gesellschaft wohl auch zwangsläufig zu der Forderung „Kein Sex mit Nazis“ kommen, mit der die Autorin ihren Kommentar überschrieben hat.
Entnommen aus einer Aktion von linkspolitischen Jugendorganisationen, erklärt diese Aussage auch die Kernbotschaft, die Fetscher uns übermitteln will: Wer rechts denkt, ist ein schlechter Mensch. Auf diese kurze Formel kann man das bringen, was sie als fehlende „Analyse und Distanz“ denen zuschreibt, die das „Bett teilen“ mit jenen, die „Konzentrationslager“ leugneten und trotzdem „prima Männer“ seien. So wie die Ruderin Drygalla, die sich ebenso auf solch einen Mann eingelassen hat und sich mit „Nur-weil-Argumenten“ herauszureden versuche. Nicht „Intimität und Nähe“ seien es, die im Vordergrund standen, sondern die politische Bereitschaft, wie Fetscher über die Beziehung zu wissen vermag. Die Sportlerin gehört also zu den „Individuen“, die dazu „bereit“ sind, eine „verbrecherische Ideologie eines anderen“ von seiner Person „abzuspalten“. Die Kommentatorin fasst diese Einstellung mit „irgendwie Nazi, aber prima Kumpel“ zusammen. Nach Fetschers Worten sei es diese Bereitschaft zur Abspaltung, die beweist, dass jemand den ersten Artikel des Grundgesetzes nicht verstanden habe. Und wenn mich Frau Fetscher nun auch als „emotionalen und ethischen Hochstapler“ abstempelt, halte ich ihr entgegen, dass sie es ist, die von der Grundlage unserer Verfassung keine Ahnung haben möchte.
Die Würde des Menschen – ja, sie gilt jedem, bedingungslos. Wer das verkennt, muss eine schwere Zäsur in seinem demokratischen Verständnis verkraften und wird sich fragen lassen dürfen, ob es „locker und tolerant“ ist, jemandem ein Menschenrecht zuzusprechen, das unabhängig ist – auch von Gesinnung und sonstiger Prägungen. Nein, es ist mehr als locker und tolerant – es ist die demokratische Pflicht, dieses Recht anzuerkennen. Dass die Autorin den „Beischläfern“ und „Mitläufern“, wie sie Fetscher in G. Grass und dem Tenor-Sänger von Bayreuth mit Nazi-Gravur auf der Brust in allen sieht, die einen „Lebenspartner annehmbar finden, der offiziell in der rechtsradikalen Szene organisiert ist“, dieses Menschenrecht abspricht, ist einer der Skandale. Der zweite ist dagegen ein Vergehen am Grundsatz der Unschuldsvermutung und eben schlichtweg unwürdig, wenn die „Tagesspiegel“-Kommentatorin wie viele weitere Medien eine Beteuerung von Drygalla und anderen unterschlagen, die die Ablehnung rechter Meinungen unterstreicht.
Denn es ist genau das, was Fetscher als „Abspaltung“ bezeichnet, die es braucht, um dem Artikel 1 des Grundgesetzes gerecht werden zu können. Auch ein Verfassungsschutz bewertet nicht eine Person, sondern allein sein Gedankengut, seine Einstellungen und vor allem sein Handeln und seine Vernetzung. Wäre das Menschsein von der Gesinnung nicht trennbar, wie Fetscher es behauptet, wären viele in diesem Land wohl verloren. Liebe ist Emotion, nicht politische Bindung. Und überhaupt ist es ein Desaster zu meinen, als Gesellschaft und Staat das Recht zu haben, bis hinter die Haustür eingreifen zu wollen, um politisches und persönliches Leben zu lenken. Die Privatsphäre ist es ebenso, die wir als hohes Gut verfassungsrechtlich zu schützen haben. Strategisch missbraucht und beschnitten hat man diese Freiheit letztmals vor 1990 – und auch wenn Fetscher den Begriff der „Gesinnungsschnüffelei“ ablehnt, ist es exakt ihr scheinbar sozialistisches Denken, das diese DDR-Methodik über eine ganze Epoche hin ermöglicht hat.
Ein Mensch ist ein Gefüge seiner Eigenschaften und seines Charakters. Doch wer nicht zu unterscheiden in der Lage ist, ob ein „Ja“ der Liebe oder der politischen Haltung gilt, der gibt Menschen mit rechtem Gedankengut auf. Aber gerade dieser Aufgabe müssen wir uns stellen: Niemand ist unwiderruflich extrem – und niemand kann und darf als Person aus der Gesellschaft ausgeschlossen sein. Diskriminierung bringt neue Radikalisierung – Fetscher bringt, vielleicht unbewusst, mit ihren Argumenten einen Kreislauf in Gang, der nicht gegen rechts oder links hilft, sondern Außenseiter beflügelt. Wir sind verpflichtet, gerade auch denen die Würde zu geben, die diese bei anderen bekämpfen wollen. Anders kann Vernunft nicht gewonnen werden. Und doch bleibt bei all dieser „Pathetik“, wie sie Frau Fetscher nun bezeichnen würde, die unabdingbare Feststellung: Alle Menschen haben bei uns Platz, nicht aber all ihre Gesinnungen – und schon gar nicht all ihr Tun!
Der Kommentatorin des „Tagesspiegel“ möge man zum Schluss noch die Fähigkeit wünschen, künftig an der richtigen Stelle differenzieren zu können – und die Erkenntnis zu gewinnen, dass derjenige, der mit Populismus Missstände lösen will, wohl zuerst beim eigenen Versagen beginnen sollte…
Dennis Riehle