Systemfehler

Man kann Bücher, Eier und Augen aufschlagen.
Du schlägst die Augen auf. Die Welt läuft dir aus den Augen heraus. Du stehst auf und fühlst dich leer. Du fühlst dich wie eine leere Eierschale.
Du wankst ins Bad. Blickst in den Spiegel. Versuchst dich zu erinnern.
Du überprüfst die Anzahl deiner Zähne.
Du duscht deinen Körper ab.
Kleidest deinen Körper an.
Setzt dich zur Fütterung an den Tisch.
Du erinnerst dich.
Woran? An das System!
Obwohl das System nicht direkt überall ist, ist es doch überall indirekt vorhanden. Es kommt zum Ausdruck, weil du ein Teil des Systems bist.
Das System erschafft das Erwachen.
Das System erschafft das Duschen und Zählen.
Das System erschafft das Futter und den Tisch.
Das System war nicht immer da. Das System wird nicht immer da sein. Das System unterliegt der Vergänglichkeit. Das System ist älter als du. Das System wird dich überleben. Vermutlich. Es ist eine Hypothese, die vom System unterstützt wird.
Das System ist nicht dort, wo du lebst. Aber das System hat dich und deine Wohneinheit erschaffen.
Um zum System zu gelangen, musst du dem System entgegen reisen. Du reist unwillig, weil du das System im Grunde deines Herzens verachtest.
Du sollst das System lieben.
Du sollst dich mit ihm identifizieren.
Du sollst sagen: Ich und das System sind eine Einheit.
Das System sieht das so. Du nicht.
Das System hat einen Administrator, der im unmittelbaren Einzugsbereich des Systems lebt.
Er atmet das System.
Er atmet das System aus, weil er das System studiert hat. Er hat sich am System überfressen.
Wenn der Administrator am Morgen erwacht, läuft keine Welt aus seinen Augen, weil er keine Welt außer dem System hat und kennt.
Er blickt dem System direkt ins Auge.
Das System ist bereits da, wenn er die Augen öffnet.
In den Nächten träumt er vom System. In diesem Punkt gleicht er dir. Allerdings träumt ihr auf verschiedene Weise vom System. Während er im Traum genussvoll durch die Gänge des Systems läuft, hast du dich in diesen Gängen verirrt. Du liest die Bücher eines gewissen Franz K., um das System verstehen zu können. Der Systemadministrator liest Arbeitsanweisungen, die das System weiter systematisieren sollen.
Mit dem Gefühl erkrankt zu sein, betrittst du das System. Du streckst deine Zunge heraus, die vom System erfasst wird. Das System lässt dich nach der Erkennungsprozedur in den inneren Bereich vor. Du schlenderst die Gänge entlang, von denen du in der Nacht geträumt hast.
Du betrittst deine Zelle, um dort dem System zu dienen.
Wenn alle Systemdiener eingetroffen sind, erwacht das System. Es streckt sich aus, atmet laut aus, lässt die Viren ein, die es zum Leben benötigt. Die Viren strömen in die Zellen. Dort paaren sich die Systemdiener mit den Viren. Nur für einen kurzen schalen Moment. Dann entlässt der Diener die Viren.
Der Systemverwalter, der nicht der Administrator ist, kontrolliert indes das System nach Systemfehlern. Wenn er keine Systemfehler entdeckt, dann erschafft er Fehler, denn er will sich und das System legitimieren. Das System kann nur überleben, wenn die Welt außerhalb und innerhalb des Systems Fehler aufweist, die das System untersuchen, aufarbeiten und ausmerzen kann.
Hin und wieder wird einer der Diener als Virus enttarnt, der dann in die Außenwelt entlassen wird, damit er sich dort als Virus erneut dem System andient. Das System benötigt stets eine genügend große Anzahl von Viren, um das eigene Bestehen rechtfertigen zu können.
Die Systemdiener leben das System.
Sie atmen das System.
Sie essen das System.
Sie träumen das System.
Würden sie das System nicht mehr träumen, bestände die Gefahr einer Implosion. Zumindest behaupten dies die Systemmanager. Sie sagen: Das System stürzt in sich zusammen, wird es nicht genügend geträumt und gefüttert. Und mit ihm würde die gesamte bekannte Welt in einem schwarzen Loch vom Ausmaß eines Stecknadelkopfes verschwinden.
Noch glauben die meisten Systemanhänger an diese Theorie.
Wenn die Dunkelheit einbricht, beginnt der Administrator zu zittern. Die Nacht ist ihm ein Einbrecher. Die Nacht stiehlt seinem System vorübergehend die körperliche Anwesenheit der Diener.
Die Diener reisen zu den Außenbezirken des Systems. Sie atmen auf. Fühlen sich ein Stück weit systembefreit. Das ist ein Trugschluss. Die Diener wissen das. Trotzdem mögen sie ihre eigenen Lügen. Sie fallen allzu gerne auf sich herein.
Die Diener setzen sich vor die Bilder des Systems. Sie beobachten den ganzen Abend über das System bei ihrer Arbeit. Manchmal sehen sie sich auch Bilder an, die von sich behaupten, eine Welt ohne System aufzuzeigen. Auch das ist eine Lüge. Denn die Bilder, die eine Welt ohne System zeigen, wurden vom System produziert.
Später schließt der Diener seine Augen.
Du schließt deine Augen.
Du versinkst in einer Truhe aus Sperrholz.
Das System kann überall eindringen. Das tut es auch. Das System geht stets systematisch vor.
Das System kennt nichts außer sich selbst.
Du auch nicht.
Du hast nur eine Ahnung davon, wie es wäre, ohne das System zu leben. Diese Ahnung bereitet dir Angst. Deshalb verdrängst du die Ahnungen. Du schließt sie in der Sperrholztruhe ein. Du schwitzt sie dort aus. Du belässt sie dort.
Du driftest in die Dunkelheit ab. Die Dunkelheit lässt dich irren. Der Irrtum ist dem System zufolge im System ausgeschlossen. In der Fingerkuppe deines kleinen linken Fingers spürst du: Das ist ein Fehler. Für einen Augenblick, auch REM-Phase genannt, erbebst du. Das System hat einen Fehler. Du erkennst dies in den Nächten. Nicht aber am Tag.
Der Administrator träumt nicht deine Träume. Er irrt nicht in der Dunkelheit. Er füllt sie aus.
Du schlägst die Augen auf.
Man kann Bücher, Eier und Augen aufschlagen.
Du schlägst in die gleiche Kerbe wie jeden Tag, weil du Angst hast, einen Fehler zu begehen, der dein System gefährden könnte.
Also reist du wieder dem System entgegen.
Nur das System weiß, dass du nie fort warst.



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