Syrienkrise seit 2001 beschlossene Sache

Was geschieht gerade in Syrien? Wer steckt dahinter und mit welchen Absichten? In einem Interview mit der algerischen Zeitung ‘La Nouvelle République’ (Neue Republik) gewährt der französische Journalist und Krisenberichterstatter Thierry Meyssan tiefe Einblicke in das politische Geschehen rund um Syrien und Libyen und deckt die strategischen Pläne der USA und Europas auf

Syrienkrise seit 2001 beschlossene Sache Thierry Meyssan ist nicht irgendein Reporter. Er beweist Mut. Während der westlichen Annektion Libyens hatte er aus dem Hotel Rixos in Tripolis berichtet und sich gefährlich weit aus dem Fenster gelehnt, als er durchsickern ließ, dass sich unter seinen Journalistenkollegen auch CIA- Mitarbeiter befänden und dass Journalisten zudem in die Auswahl von militärischen Zielen involviert seien. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen, die von komfortablen Pressezentren aus embedded journalism betreiben, mischt sich Meyssan unter die Menschen, lebt mit ihnen zusammen, taucht ein in deren Alltag und gelangt so an Informationen von hohem Wertgehalt, die er als informative Juwelen ins Netz stellt. So auch im folgenden Interview.

La Nouvelle République : Sie waren in Syrien. Welchen Bestand haben Sie gemacht? Entspricht die Realität auf Ort den von den westlichen Medien verbreiteten Äußerungen? Massive Demonstrationen, Schüsse mit scharfer Munition die mindestens 5000 Tote verursacht haben, die Errichtung einer schon 1500 Mann starken Freien Syrischen Armee, und dieser Anfang eines „Bürgerkrieges“ mit 1,5 Millionen Syriern, die in dieser Falle Hunger leiden?

Thierry Meyssan: Eine französische Redewendung behauptet, dass „wenn man seinen Hund ertränken will, man ihn der Tollwut anklagt“. Im vorliegenden Fall sagen die westlichen Medien, wenn ihre Mächte in einen Staat einmarschieren wollen, dass es sich um einen barbarische Diktatur handelt, dass ihre Armee die Zivilbevölkerung beschützen kann und dass sie das Regime stürzen und Demokratie bringen müssen. Die Wahrheit haben wir im Irak und Libyen gesehen: die Kolonialmächte kümmern sich nicht im Geringsten um das Schicksal der Bevölkerung, sondern verheeren das Land und plündern es. Es gab niemals Massen Demonstrationen gegen das syrische Regime, und deshalb war es auch nicht möglich sie mit scharfen Schüssen aufzureiben. Es kam in den letzten Monaten zu ungefähr 1500 Toten, aber absolut nicht so wie es geschildert wurde. Es gibt wohl eine „freie syrische Armee“, aber sie ist in der Türkei und im Libanon zu Hause, und hat höchstens einige hundert Soldaten, die man den TV-Kameras vorstellt. Zu letzt ist Syrien, was Nahrungsmittel betrifft, autark und trotz Lieferungsschwierigkeiten gibt es keine Knappheit. Die westliche Medienversion ist eine reine Fiktion. Die Wahrheit vor Ort ist, dass der Westen einen nichtkonventionellen Krieg gegen Syrien führt. Er hat arabische und Paschtunkämpfer geschickt, von Prinz Bandar Bin Sultan angeheuert und von den französischen und deutschen Spezialtruppen ausgebildet. Diese Kämpfer haben zuerst versucht, ein islamisches Emirat auszurufen, dann weitgängige Fallen gegen syrische Militärkonvois eingeleitet. Heute werden sie von einem Al-Qaida Emir, dem libyschen Abdelhakim Belhaj, kommandiert. Sie haben auf große Operationen verzichtet und führen Kommandoaktionen im Zentrum von Städten, um dort Terror auszulösen, mit der Hoffnung einen religiösen Bürgerkrieg anzustacheln. Ihre letzte Heldentat ist dieses doppelte Attentat in Damaskus.

La Nouvelle République: In einem Ihrer Artikel stellen Sie Sich die Frage über die, vom syrischen Observatorium(in London basiert) der Menschenrechte gelieferten Informationen: wie kommt es, dass Institutionen wie das Hohe Kommissariat der Menschenrechte der UNO diese einfach übernehmen ohne sie zu prüfen. Ihrer Meinung nach, welchem Spiel widmen sich die UNO Institutionen?

Thierry Meyssan: Das syrische Observatorium der Menschen-Rechte (SOMR) ist plötzlich auf der Medienebene aufgetaucht. Dieser Verein hat keine Vergangenheit, auf die er sich berufen könnte, und nur eines ihrer Mitglieder ist bekannt. Es ist ein Kader der syrischen Muslimbrüderschaft, besitzt drei Passe, einen syrischen, einen britischen und einen aus Schweden. Dieser Herr verkündigt jeden Tag die Anzahl der „Opfer der Unterdrückung“, ohne seine Aussagen zu begründen. Seine Behauptungen sind unüberprüfbar und daher ohne Wert. Sie werden trotzdem von allen jenen übernommen, denen sie nützlich sind. Das Hohe Kommissariat der Menschenrechte hat drei Kommissare für die Forschung über die Syrienereignisse beauftragt. Ihre Mission überschreitet die Kompetenzen der UNO, welche regelmäßige Inspektionen vorsieht, die Syrien, den Abkommen entsprechend, empfängt. Wie in Sachen Hariri (Libanon) gehen die Vereinten Nationen vom Prinzip aus, dass die örtlichen Obrigkeiten (libanesischen oder syrischen) unfähig oder unehrlich sind und dass man sie durch ausländische Fahnder ersetzen muss. Daher können sie nicht ganz einfach Kooperation der lokalen Macht erwarten. So haben sie einfach von der Schweiz und der Türkei aus gearbeitet. Die Entsendung der drei Kommissare liefert keine Garantie für Unabhängigkeit. Sie kommen alle drei aus Ländern, die sich für die militärische Intervention in Syrien erklärt haben. Ihre Methode ist auch nicht akzeptierbar: unter dem Druck der türkischen Kommissarin, die eine engagierte Aktivistin im Kampf gegen Gewalttaten an Frauen ist, hat die Kommission es für überflüssig gehalten, die Zeugenaussagen zu überschneiden und zu prüfen: es wäre die Sache der Angeklagten ihre Unschuld zu beweisen, wenn man sie vor Gericht stellte. Diese Art von Inquisition macht es möglich, jedermann für jegliche Schuld anzuklagen, aber beweist überhaupt nichts. Die Fahnder haben mehr als 200 Leute abgehört, die vorgeben, dass sie über Informationen verfügen und die behaupten, manchmal Zeuge, oder selbst Opfer von Ausschreitungen gewesen zu sein. Gemäß der Prozedur bleibt der Name der Zeugen in diesem Stand der Fahndung geheim. Aber der Prozedur nicht entsprechend bleiben die Namen der Opfer hier auch geheim. Die Hohe Kommissarin versichert mit lehrerhaftem Ton, dass die Unterdrückung mehr als 5000 Opfer gefordert hat, aber sie zitiert nur zwei Namen. Wirklich kein Glück, weil die beiden Fälle sehr ausführlich von Al-Dschasira erörtert wurden und Objekt von vielfachen Studien waren. Der Erste betrifft ein Kind, das auf der Strasse von unbekannten Schützen aus einem Wagen getötet wurde; der Zweite betrifft einen jungen Mann, der von einer bewaffneten Bande angeheuert wurde, um an einem Angriff gegen eine Militär Residenz teilzunehmen und der mit einer Kalaschnikoff in der Hand, gefallen ist. Das hat also nichts mit Repression einer pazifistischen Demonstration zu tun. Wir erwarten daher von der Hohen Kommissarin, dass sie die Namen der Opfer freigibt, damit wir die Richtigkeit der Anschuldigungen überprüfen können. Zahlreiche Instanzen der UNO haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. Zum Ersten sollte man nicht erlauben, die Verantwortung Experten anzuvertrauen, die nicht den Status von internationalen Beamten haben, die aber nur nationale, von ihrem Land beauftragte Beamten sind. Man sollte nicht im Namen der UNO handeln können, wenn man gezwungen ist, seiner nationalen Hierarchie zu gehorchen.

La Nouvelle République: In Syrien sowie in Libyen behaupten gewisse Beobachter, dass die Rebellen in Wirklichkeit Mordgeschwader, ausländische Söldner sind. Was können Sie dazu sagen?

Thierry Meyssan: In beiden Fällen nehmen inländische Leute am Kampf teil, aber sie sind in Minderheit, verglichen mit den ausländischen Kämpfern. In Libyen haben sich Gruppen aus gewissen Stämmen den fremdländischen Söldnern für die Sezession der Cyrenaika angeschlossen. Aber sie haben sich geweigert in Tripolitanien zu kämpfen, um Kadhafi zu stürzen. Es war nötig Al-Qaida Truppen zu entfalten, dann 5000 Kommandos, der regulären Armee des Katar eingegliedert, an den Strand zu bringen, um die Schlacht am Festland zu liefern. In den letzten Tagen der Jamahiriya ist der Stamm von Misrata den NATO Kräften gefolgt und in Tripolis eingedrungen, als die Bombardierungen und die Schlacht zu Ende war. Die einzigen Libyer, die vom Anfang bis zum Ende gegen das Regime gekämpft haben, sind jene von Al-Qaida und eine Soldatengruppe, die mit General Abdel Fatah Younes abtrünnig geworden sind. Nun war General Younes in der Vergangenheit von Oberst Kadhafi beauftragt worden, die Al-Qaida Rebellen zu bekämpfen. Das ist der Grund, warum seine Alliierten von Al-Qaida ihn ermordet haben, um sich sofort zu rächen, als sie ihn nicht mehr brauchten. In Syrien gibt es Aufständische, es sind die Muslimbrüderschaften und die Takfiristen. Es gibt hauptsächlich ausländische Kräfte, die Gauner engagieren und sie reichlich für Zivilistenmorde bezahlen. Das Problem der NATO ist, zum Unterschied von Libyen, dass Syrien eine historische Nation ist. Es gibt keine regionale Spaltung wie zwischen der Cyrenaika und Tripolitanien. Die einzige mögliche Spaltung existiert auf religiösem Grund, aber sie funktioniert derzeit nicht, obwohl man einige solche Konfrontationen wie in Banyias und Homs erlebt hat. Die offizielle Ankunft der Libyer, um ein Hauptquartier in der Türkei aufzubauen und syrische Deserteure in diese Struktur einzugliedern, vervollständigt das ganze Unternehmen.

La Nouvelle République: Der nationale syrische Rat hat sich unter Frankreichs Obhut in Paris gebildet. Was kann man darüber sagen? Wird Frankreich wie in Libyen mit seinem „Gesandten“ BHL (Bernard Henry Levy v.Ü.) erste Geige spielen, oder mit einer anderen Strategie kommen?

Thierry Meyssan: Zuerst sieht man leicht, dass die französischen Institutionen zum Teil von illegitimen Leuten wie Bernard Henry Levy geführt werden, welche Verantwortungen ohne Recht und ohne Titel übernehmen. Dann dienen gewisse gewählte Personen, wie Präsident Sarkozy nicht nationalen Interessen, sondern jenen des imperialen US-Systems. Unter deren Obrigkeit hat sich Frankreich schon in einem Konflikt in der Elfenbeinküste engagiert, um das neo-konservative Projekt einer Neuformung des „Erweiterten Mittleren Orient“ auf Nordafrika auszudehnen. Frankreich hat keine Streitsachen mit Syrien mehr, wie es der Besuch von Präsident el-Assad in Paris, zum Anlass des Mittelmeergipfels gezeigt hat. Man könnte höchstens meinen, dass der alte Konflikt der 80er Jahre (speziell der Mord des französischen Botschafters in Beirut) getilgt wurde aber ohne Entschädigung, und man ihn eventuell reaktivieren könnte. Aber ich bin nicht sicher, ob in dieser Angelegenheit das französische Verschulden nicht größer war als das der Syrier. Kurzum, Paris hat keinen Grund Damaskus anzugreifen. Wir wissen alle genau, dass die wahre Geschichte woanders liegt: die Dominanz und die Ausbeutung dieser Gegend hängen von dem Bündnis der USA und Israel einerseits, mit der Türkei und den Ölmonarchien andererseits ab. Dieses Bündnis stößt auf eine Widerstands-Achse, welche aus Hamas, dem Libanon, Syrien, Irak und Iran gebildet und von Russland und China unterstützt wird. Auf regionaler Ebene haben sich zwei Pole gebildet, der eine ausschließlich sunnitische, der andere multikonfessionelle (und nicht schiitisch, wie es die Neo-Konservativen behaupten um die Fitna aufzudrängen). Frankreich ist Handlanger der USA geworden. Es kann Syrien zu jeder Zeit Krieg erklären. Jedoch hat es allein nicht das Vermögen dafür, selbst auch nicht mit Hilfe Großbritanniens. Und der Gipfel vom 2. Dezember, der ein Dreierbündnis mit Deutschland schaffen sollte, wurde wegen Finanzschwierigkeiten abgeblasen. Inmitten der Euro-Krise haben die Europäer nicht die Mittel ihres Imperialismus.

La Nouvelle République: Die arabische Liga hat in einer unerwarteten Art beschlossen, Syrien aus allen Institutionen auszuschließen, und zwar, bevor noch die, der syrischen Führung anerkannte Frist von 15 Tagen, um den arabischen Schlichtungsplan der Krise zu entfalten, abgelaufen war. Wie kann man diesen Beschluss betrachten, der den Regeln der Liga widerspricht, weil Einstimmigkeit mit höchstens einer Gegenstimme in solchen Angelegenheiten verlangt wird?

Thierry Meyssan: Die internationalen Organisationen, ob es sich um die arabische Liga oder die UNO handelt, gehören nicht den Mitgliedstaaten, aber jenen die sie finanzieren. Die Liga ist ein Spielzeug in den Händen der Ölmonarchien geworden. Leute die nicht einmal eine Verfassung besitzen, denken nicht daran, die Statuten der Organisationen, die sie gekauft haben, zu beachten. Über diese Feststellung hinaus, ist die Beschlussfassung durch die Liga, Syrien wirtschaftlich zu belagern, nicht eine Sanktion für einen begangenen Fehler, sondern der Anfang eines konventionellen Krieges.

La Nouvelle République: Das gleiche Szenario bildet sich, wie in Libyen. Werden wir die gleichen Zwischenfälle in Syrien erleben, oder sind die Umstände anders, oder werden wir es mit einer anderen Lage zu tun haben?

Thierry Meyssan: Die Umstände und die Akteure sind anders. Libyen ist ein isolierter Staat. Oberst Gaddafi hat viel Hoffnung erregt und viel enttäuscht. Er war Anti-Imperialist, aber hatte viele geheime Abkommen mit den USA und Israel. Er war der Alliierte von allen und hat jeden vernachlässigt oder gar verraten. Sein Land kannte keine Diplomatie, keine Allianzpolitik, abgesehen von der Investitionspolitik für die Entwicklung von Afrika. Libyen stand deshalb isoliert gegenüber der NATO. Im Gegenteil ist Syrien eine alte Nation, die immer Bündnisse geschmiedet hat, selbst in seiner Wahl des Widerstandes an Seiten der Palästinenser, der Libanesen, Iraker und Iraner. Seine Diplomatie ist so stark, dass sie in wenigen Tagen das doppelte russische und chinesische Veto im Sicherheitsrat bekommen konnte. Jeglicher Krieg gegen Syrien wird sich auf die ganze Region verbreiten, oder selbst in einen Weltkrieg ausarten, falls der Iran und Russland direkt eingreifen. Die Libyer sind noch dazu nur 5 Millionen, während Syrien 23 Millionen Einwohner hat. Libyen hatte außer dem Tschadkrieg keine militärische Erfahrung, während Syrien seit 60 Jahren gewohnt ist, in einer kriegsträchtigen Region zu leben. Die Experten der kriegerischen Lobby aus Washington behaupten, dass die syrische Armee schlecht ausgerüstet und schlecht trainiert sei. Sie versprechen, dass eine internationale Intervention eine Gesundheitspromenade sein wird. Das ist lustig, da dieselben Experten in 2006 behaupteten, dass Israel einen neuen Krieg gegen Syrien vermeiden sollte, weil Syrien zu gefährlich wäre.

La Nouvelle République: Manche Leute meinen, dass das, was in Syrien passiert, nur eine Verlängerung der „arabischen Frühlinge“ sei, während Syrien seit der Bush-Ära auf der amerikanischen Agenda steht, laut der Erklärungen von General Wesley Clark; was glauben Sie, welcher Ausweg existiert für Bachar Al-Assad, um die Konspiration zu umgehen?

Thierry Meyssan: Wie Sie uns daran erinnern, wurde der Beschluss Syrien anzugreifen, in einer Versammlung in Camp David am 15. September 2001 getroffen, gerade nach den Attentaten in New York und Washington. Die Bush Regierung hatte eine Reihe von Kriegen geplant: Afghanistan und Irak, Libyen und Syrien, Sudan und Somalia, um mit dem Iran zu schließen. Im Jahr 2003, kurz nach dem Fall von Bagdad hat der Kongress den Syrian Acountability Act verabschiedet, der den US-Präsidenten beauftragt, Syrien so schnell wie möglich Krieg zu erklären. Was Präsident Bush aus Zeitmangel nicht machen konnte, soll sein Nachfolger Barack Obama nun ausführen. Der General Wesley Clark hat diese Strategie schon vor vielen Jahren freigegeben, um sich gegen sie besser zu wehren. Er hat eine sehr wichtige Rolle im Libyenkrieg gespielt, den er verzweifelt versucht hat, mit Hilfe von zahlreichen Aktivgenerälen zu stoppen. Alle diese Leute verkörpern eine Strömung höherer Offiziere, die sich weigern, ihre Soldaten in Auslandsabenteuern sterben zu lassen, die nicht den Interessen der USA dienen, sondern nur einigen Israel nahestehenden Ideologen. Sie werden alles in Gang setzen, um den Krieg in Syrien zu verhindern und besitzen mehr Hebel als man glaubt, um die Weltpolitik zu beeinflussen. Präsident Bachar Al-Assad ist nicht wie sein Vater. Er ist kein Autokrat. Er regiert mit einer Mannschaft. Die Strategie seiner Regierung besteht einerseits darin, den zivilen Frieden gegen die Destabilisierungsversuche und konfessionelle Spaltungen zu schützen und andererseits die Bündnisse zu stärken, speziell mit Iran, Russland und China.

La Nouvelle République: Eine Erkenntnis, die sich uns in den Wirren der arabischen Welt aufdrängt, sei es in Tunesien, Ägypten, Libyen und jetzt in Syrien, ist diese „Versöhnung“ des Westens mit den islamistischen Strömungen, die er doch bekämpft hatte. Was sind die Gründe und Ziele dieses neuen Spieles des Westens Ihrer Meinung nach?

Thierry Meyssan: Ich glaube nicht, dass die Islamisten jemals als Feinde des Westens betrachtet wurden. Wenn man die Geschichte studiert, sieht man, dass alle Imperien sie benützt haben, um den nationalen Widerstand zu zügeln. Es war der Fall für die Ottomanen, der Franzosen und der Engländer. Erinnern Sie Sich, wie Frankreich niemals das Gesetz der Trennung zwischen Kirche und Staat (1905) in Algerien angewendet hat. Es hat im Gegenteil die Moscheen gefördert, um seine Autorität durchzusetzen. Die Angel-Sachsen haben es ebenfalls so gemacht. Noch mehr haben die USA islamistische Bewegungen in den 80er Jahren mit der Hoffnung kreiert, einen Zivilisationskonflikt zwischen der Muslimwelt und der Sowjetunion zu provozieren. Es war die Strategie von Bernard Lewis, die von Zbigniew Brzezinski angewendet, und die von Samuel Huntington für das allgemeine Publikum zur Theorie gemacht wurde. Das hat Al-Qaida gegeben. Diese Leute haben die Interessen des US- Imperiums in Afghanistan, Jugoslawien, in Tschetschenien und in neuerer Zeit in Irak, Libyen und jetzt in Syrien verteidigt. Abdelhakim Belhaj, den Ayman Al-Zawahiri zu Nummer 3 von Al-Qaida ernannt hat, als die islamische Gruppe de Kämpfer in Libyen von Al-Qaida absorbiert wurde, ist heute Militärgouverneur von Tripolis und Kommandant der freien syrischen Armee. Er gibt sich ohne Komplex als Mann der NATO aus und verlangt vom MI6, der ihn gefoltert hatte, dass er ihm Rechenschaft ablege. Was die Muslimbrüder betrifft, welche Washington heute in Tunis, in Libyen und Ägypten an die Macht bringt und die er in Syrien installieren will, sind sie geschichtlich mit dem MI6 verbunden. Sie waren von Hassan Al-Banna konzipiert um die Engländer zu bekämpfen, aber sie wurden von den Engländern benützt um Nasser zu bekämpfen. Heute sind sie mit Geldsubventionen vom GCC (Golf Cooperation Counsil) überhäuft, was kein Zeichen von Unabhängigkeit ist.

La Nouvelle République: Wenn morgen das Bachar Al-Assad Regime fallen sollte, was wären die Folgen für die Widerstandsachse Teheran-Hezbollah-Hamas?

Thierry Meyssan: Die USA machen kein Geheimnis daraus, falls es ihnen gelingen sollte Syrien zu zerstören – ich sage „Syrien zu zerstören“ – weil die Frage des Widerstandes weit über die Person von Präsident el-Assad hinweggeht – würden sie den Krieg fortsetzen und sofort den Iran angreifen. Daher würde der Fall Syriens eine Periode mit großer Instabilität einleiten, die in einen Weltkonflikt entarten könnte.

La Nouvelle République: In dem syrischen Konflikt hat die Türkei Partei ergriffen und die Thesen der syrischen, pro-westlichen Opposition vollkommen übernommen. Indem die Türkei bereit ist, das syrische Regime zu verbannen, Syrien darzustellen, als würde es sein eigenes Volk töten, die Demonstrationen zur Unterstützung des syrischen Präsidenten nicht zuzugeben, die Dimension der bewaffneten Protestbewegung zu bestreiten und es bis zur Negierung der Bürgerwahlrechte der inneren Opposition und ihrer parlamentarischen Repräsentanzmöglichkeit zu treiben, und sie nur dem syrischen National Rat zuzuerkennen, wie können Sie diesen Umschwung der Türkei erklären?

Thierry Meyssan: Wir hatten alle vergessen, dass die Türkei NATO Mitglied ist. Das türkische Heer ist eine amerikanische Hilfstruppe. In der Vergangenheit war es dieses, welches die USA in Korea gerettet hatte. Die Türkei beherbergt US-Basen und hat gerade eingestimmt, dass das Pentagon seine derzeit in Spanien liegenden NATO-Stützpunkte in die Türkei übersiedelt, und neue Radarstationen, die den Iran überwachen sollten, dort aufbaut. Seit einem Jahrhundert begehen die türkischen Leader laufend politische Fehler. Erdogan hofft der Gendarm der Region zu werden, wie es vor ihm der Schah Reza Pahlavi und Saddam Hussein gemacht haben. Die Geschichte hat gezeigt wie die USA jene behandeln die ihnen dienen: sie benützen sie und eliminieren sie später.

Chérif Abdedaïm
Thierry Meyssan

Quellennachweis:

Mit freundichem Dank an



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