„… Die sozialen Gruppierungen der siebziger und achtziger Jahre waren „Ein-Punkt-Bewegungen“, die ihre Probleme innerhalb des Systems lösen wollten. Occupy steht dagegen für einen systemischen Protest, dafür, dass man die unterschiedlichen Anliegen stärker gemeinsam begreift. Als Protest gegen ein System, in dem der Kapitalismus nicht mehr in Eintracht mit der Demokratie lebt, sondern sie aushebelt.
In Frankfurt reformierte sich eine außerparlamentarische Opposition, weil es eine parlamentarische nicht mehr gibt. Die Oppositionsparteien sind inzwischen farbige Varianten des Establishments geworden, das sie einst bekämpften. SPD und Grüne unterstützen den Fiskalpakt, die Frankfurter Grünen hatten gar den Polizeieinsatz gebilligt. Ihre Kritik an der Merkel-Regierung liegt im Detail, nicht in der grundsätzlichen Richtung. Folgerichtig waren weder SPD noch Grüne auf der Demonstration vertreten.
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Nicht zuletzt deshalb hatte man den Ausnahmezustand inszeniert, weil die Aktivisten von Blockupy ihre Ziele klug gewählt hatten. Sie protestierten nicht gegen die Regierung, sondern gegen ihre eigentlichen Herren: Gegen die Banken und vor allem gegen die neuralgische Pumpstation der europäischen Geldströme, ohne die die Zirkulation auf den Finanzmärkten und die Zahlungsfähigkeit der Staaten akut gefährdet ist – die Europäische Zentralbank.
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In Frankfurt zeigte sich die Postdemokratie von ihrer illiberalen, autoritären Seite. Und so wurde eine friedliche Spontandemonstration geräumt – nur wenige Meter von der Paulskirche, in der 1848 die deutsche Demokratie ihren ersten Anlauf nahm. Symbolischer geht es kaum. Viele Veranstaltungen konnten gar nicht stattfinden. Die Lesung des Anthropologen und Anarchisten David Graeber, der gerade mit seinem Buch „Schulden“ Furore macht, wurde vom Staatsschutz verboten. Das lässt Böses ahnen: Werden jetzt auch die Menschen beobachtet, die dieses Buch gekauft haben?“
Quelle und gesamter Text: http://www.freitag.de/politik/1221-wir-gehen-nicht-mehr-weg