Ey, ist hier noch einer?
Ich weiß, das darf man nicht erwarten, wenn man sich drei Wochen lang totstellt. Hmmm, ich könnte jetzt behaupten, ich hätte die Zeit damit verbracht, das heutige Buch zu lesen, aber das stimmt nicht. Und damit wären wir schon beim Thema: Das Ding hat über 1.000 Seiten.
Wenn ich jetzt sage: Jonathan Strange & Mr. Norell ist nichts für Feiglinge, dann liegt das allerdings weniger am Umfang des Romans, sondern an seiner überwältigenden Opulenz. Wahrlich, das Buch ist wirklich nichts für Feiglinge! Das fängt schon damit an, dass sich 1.021 Seiten als Hardcover irre schlecht transportieren lassen. Zwei Wochen lang lief ich mit einem zusätzlichen Jutebeutel herum, da dieses Brikett nicht in die Axt'sche Handtasche passte. Unhandlich. Schwer. Das Buch hat Selbstbewusstsein, das macht sich sperrig.
Und das nicht nur von außen, sondern auch von innen. Jonathan Strange & Mr. Norell spielt im England des 19. Jahrhunderts und ist auch sprachlich dort angesiedelt – sehr verspielt, sehr detailreich. Die Rahmenhandlung lässt sich folgendermaßen umreißen: Die englische Zauberei ist aus England so gut wie verschwunden. Zauberer begnügen sich mit dem theoretischen Studium des Vergangenen, und alle Magie scheint das Königreich verlassen zu haben, bis ein schräger älterer Herr aus Yorkshire vor einem fassungslosem Publikum beweist, dass die Zauberei noch immer lebt.
Der schräge ältere Herr heißt Mr. Norell und tritt alsbald eine steile Karriere als Englands einziger praktizierender Zauberer an, der sogar die Regierung in Kriegsangelegenheiten (Napoleon! Ha!) magisch berät. Als ein zweiter Zauberer auf den Plan tritt, sieht Mr. Norell seine Alleinherrschaft gefährdet, weshalb er diesen jungen Jonathan Strange als Schüler unter seine Fittiche nimmt. Klassischer Fall von Kontrollwahn.
Strange jedoch ist eines ganz anderen Geistes Kind als sein trockener Lehrmeister, und seine Faszination vom größten Zauberer aller Zeiten, dem mysteriösen "Rabenkönig", dem verkniffenen Mr. Norell ein steter Dorn im Auge. Es kommt, wie es kommen muss – die beiden Zauberer entzweien sich und werden zu bitteren Kontrahenten.
Es ist wohl so, dass man dieses Buch liebt oder hasst. Dazwischen gibt es nicht viel. Jonathan Strange & Mr. Norell ist kein Burger, sondern ein 5-Gänge-Menü, und zwar ein französisches. Den tatsächlichen historischen Rahmen und die eigene Fiktion verknüpft Susanna Clarke so gekonnt und raffiniert, dass es eine helle Freude ist (inklusive einiger erhellender Einsichten über Napoleons Kriegstaktik und deren magische Vereitelung durch die beiden Zauberer). Zahlreiche Fußnoten garnieren die Story aufs Unterhaltsamste – diese Ergänzung findet man nur toll oder nur nervig. Ich find's toll, weil gewagt und gewonnen.
Vielleicht nur eine weitere Fußnote, aber ich finde sowas ja wichtig: Das Buch ist in zwei Ausführungen erhältlich, nämlich in schwarz und weiß, wobei das Hardcover so richtig was hermacht. Sehr schöne Gestaltung. Allerdings dürfte die broschierte Version leichter zu handhaben sein.
Ein wahllos herausgegriffener Satz lautet: "Sie trug ein Gewand in der Farbe von Stürmen, Schatten und Regen und ein Halsband aus gebrochenen Versprechen und Bedauern."
Wem das gefällt, der sollte dringend zugreifen.