stuttgart album vol. 2

Zwischen Weihnachten und Neujahr haben Jahresrückblicke Hochsaison. Doch wer sich mal an eine ganze Stadt erinnern möchte, der sollte etwas mehr Zeit einplanen: die zweite Ausgabe des Stuttgart-Album rückt einfach unvergessliche “Stuttgartheiten” in den Fokus und gibt das ganze neue Jahr über ein spannendes Lese- und Bilderbuch ab.

2297_237x210_1334 Gleich auf den ersten Seiten entzückt eine Doppelseite mit einer Schwarzweiß-Fotografie des Marktplatzes – nicht zu fassen, dass aus diesem pittoresken Rathaus der unansehliche Klotz geworden ist, den wir heute kennen. Auch das hübsche Häuserensemble drumrum stünde Stuttgart, obwohl Millionenstadt, auch heute noch gut zu Gesicht, doch die Gebäude wurden nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nicht mehr aufgebaut.

Von solchen Sentimentalitäten halten die Stadtplaner wie wir wissen freilich nichts. Und so reihen sich auch im zweiten Stuttgart-Album wieder zahlreiche Fotos ein, bei denen der eine oder andere wohl tiefe Seufzer gen Himmel schickt, ob des unwiederbringlichen Verlustes an städtebaulichen Kleinoden.

Sicher, net älles isch schee gwäsa en dr guada alda Zeit, aber es scheint grad so, als waren die Winter früher weißer, viele Kaufhäuser – wie das legendäre Schocken – charaktervoller und der Charlottenplatz weitaus romantischer als dieser Tage.

Dass die Straßenbahnen viel mehr Charme hatten, ist unbestritten, deshalb bekommen sie in der neuen Ausgabe des Stuttgarter Fotoalbums besonders viel Platz.

In zehn Kapiteln servieren die Autoren Uwe Bogen und Manuel Kloker fotografische Raritäten sowie Liebeserklärungen, Vorher-Nachher-Impressionen und auch nicht ganz so illustre Kapitel, wie die RAF-Vergangenheit, an die nicht nur ein Gemeinschaftsgrab von Baader, Ensslin und Raspe auf dem Dornhaldenfriedhof erinnert.

Wer glaubt, das Stuttgart-Album sei nur was für rührselige ältere Leutchen, der irrt: Die unter 35-Jährigen bilden mit 19 Prozent die größte Altersgruppe auf der Facebookseite Stuttgart-Album. “Die Jüngeren wollen wissen, wie Stuttgart ausgesehen hat, als sie noch gar nicht auf der Welt waren. Etliche von ihnen sind sich einig mit den älteren Kommentatoren und Bildgebern, von denen das Stuttgart-Album auch sehr viele hat: Historische Bauten prägen eine Stadt und sollten erhalten werden. Zu einer Stadt gehören junge und alte Häuser – wie auch junge und alte Menschen. Die Mischung macht’s”, schreiben die Autoren im Vorwort.

Warum 1954 vier Pinguine über den Zebrastreifen laufen, wieviele Leutle an der ersten Menschenkette zur Abrüstung teilnahmen, warum Radler 1970 und heute auf die Straße gehen, weshalb die Staatsgalerie “therapeutischen Charakter” hat, warum das umstrittene Hotel Silber heute noch steht und die Autostadt früher ein Schoko-Zentrum war – das Stuttgart-Album dokumentierts mit pfiffigen Texten und tollen alten Aufnahmen.

Ergänzt werden das Best-Of-Album und die Facebookseite übrigens durch eine wöchentliche Serie in den Stuttgarter Nachrichten und wie viel Interesse das Geschichtsprojekt weckt, zeigt die Flut an Kommentaren und eingereichten Bildern, die sicher noch für ein drittes Stuttgart-Album reichen.

Uwe Bogen, Manuel Kloker “Stuttgart-Album”, 160 Seiten mit 241 Abbildungen, gebunden/wattiert, 29 Euro 90, Silberburg-Verlag



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