Stuttgart 21: »Befürworter haben sich total verrannt«

Wie soll die Schlichtung aussehen? Ja + Nein = Vielleicht?
Kann man überhaupt mit Lügnern und Ignoranten verhandeln? Welchen Sinn ergibt es, mit nachgewiesenen Anlagebetrügern und Dieben zu diskutieren? Fragen über Fragen, Grundsatzfragen.
Die Schlichtung wird zu dem Ergebnis führen, daß eine Seite sich nicht durchsetzen kann. Wie sollte sonst ein Kompromiss ausfallen, der gar keiner sein kann? Wir verlegen den Kopfbahnhof in die Tiefe  und veruntreuen noch mehr Steuer-Milliarden?  
Stuttgart 21 ist tot.
Basta!
»Stuttgart 21«: Sobald ein echter Fahrplan auf den Tisch kommt, ist das Projekt am Ende. Ein Gespräch mit Matthias Oomen. Matthias Oomen ist ­Bundespressesprecher des gemeinnützigen Fahrgastverbands Pro Bahn e.V.
Interview: Ralf Wurzbacher (Junge Welt) 
Am heutigen Donnerstag steigt die dritte Runde der sogenannten Schlichtung zwischen Befürwortern und Gegnern des Bahnhofsprojekts »Stuttgart 21«. Wie fällt Ihre bisherige Bilanz aus?
Wir sind mit sehr hohen Erwartungen in die Schlichtung gegangen. Wir hatten gehofft, daß man zum ersten Mal offen und ehrlich über »Stuttgart 21« spricht und alle Fakten auf den Tisch kommen. Doch wir sind schon jetzt schwer enttäuscht. Dies gilt insbesondere für das Verhalten der Deutschen Bahn, die sehr oft wichtige Details ausläßt oder Tatsachen verdreht. 
Was konkret werfen Sie den DB-Verantwortlichen vor?
Der in Stuttgart bewährte Kopfbahnhof wird künstlich schlecht geredet. Teilweise sogar mit Schaubildern, die rein gar nichts mit Stuttgart zu tun haben, sondern von anderen Städten stammen. Die Frage nach der Kapazität des geplanten Tiefbahnhofs wird mit Mindesthaltezeiten beantwortet, die völlig unrealistisch sind. Dabei beruft man sich auf die Haltezeiten an anderen großen Bahnhöfen in Deutschland, und hierbei wird hemmungslos gelogen. Das können wir beweisen, nicht nur anhand der bahneigenen Fahrpläne, die öffentlich zugänglich sind. Fakt ist: Man dreht und wendet die Wirklichkeit so sehr, daß dem beschworenen »neuen Herz von Europa« ein Infarkt droht. 
Landesverkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) behauptet dagegen, ein achtgleisiger Tiefbahnhof schaffe zusätzliche Kapazitäten für in der Spitze fünf Züge. Wie kommt Sie darauf?
An der Geschichte mit der zusätzlichen Kapazität ist rein gar nichts dran! Vielleicht ist Frau Gönner wegen fachlicher Überforderung auf die Märchen der Deutschen Bahn angewiesen und nimmt diese einfach mal für bare Münze. Oder aber es gibt für sie im persönlichen Geflecht zwischen ECE-Immobiliendeals und Wasserwerfereinsätzen politisch kein Zurück mehr. Es drängt sich auf jeden Fall der Eindruck auf, daß sich die gesamte Befürworterseite verrannt hat und aus Angst vor dem öffentlichen Gesichtsverlust unangenehme Tatsachen ignoriert. Zum Beispiel die, daß es erhebliche Probleme mit den Anschlußzeiten beim Umsteigen geben wird oder daß massive Engpässe durch eingleisige Abschnitte und niveaugleiche Streckenkreuzungen absehbar sind. All das wird schlicht übersehen, oder es wird so getan, als wäre das alles normal. 
»Normal« soll es laut Bahn AG auch sein, daß der S-Bahn-Verkehr durch »Stuttgart 21« erheblich eingeschränkt wird. Womit ist künftig zu rechnen?
Schon heute kommt es in Stuttgart ein- bis zweimal im Jahr zu Störungen im S-Bahn-Tunnel unter der Stadt. Dies kann heute nahezu problemlos bewältigt werden, die S-Bahnen fahren einfach in den Kopfbahnhof. Davon spürt der Fernverkehr gar nichts. Der geplante Tiefbahnhof ist aber schon außerhalb von Störungszeiten an der Kapazitätsgrenze. Wenn dann eine Störung der S-Bahn auftritt, muß diese über den neuen Tiefbahnhof abgewickelt werden, was dieser aber gar nicht bewältigen kann. Die Folgen sind dramatisch: In Stuttgart bricht der Verkehr weitgehend zusammen, die Menschen müssen zu Fuß weitergehen. Im Fernverkehr kommt es bundesweit zu Zugausfällen und Verspätungen, vor allen Dingen in Richtung München, Mannheim, Köln, Hamburg und Berlin. 
Sind diese ganzen Unwägbarkeiten der Grund dafür, daß die Bahn bis heute keinen Fahrplan für »Stuttgart 21« präsentiert hat?
Richtig. Die ganzen Engpässe und Betriebszwänge führen dazu, daß man für »Stuttgart 21« keinen Fahrplan vorlegen kann. Zumindest keinen, der nicht automatisch alle Planungsfehler schonungslos zutage befördert. An dem Tag, an dem für »Stuttgart 21« ein echter Fahrplan auf den Tisch kommt, ist das Projekt am Ende. 
Welchen Ausgang kann eine Schlichtung nehmen, bei der die Diskrepanzen zwischen den Widersachern so gewaltig sind?
Ich bin mir sicher, daß die Gegner das Projekt bis ins kleinste Detail zerpflücken werden. Das deutet sich schon an. Und ich befürchte, daß die Befürworter dies nach besten Kräften ignorieren. Auch das deutet sich schon an. Was dann bleibt, sind eine zu Recht frustrierte Bevölkerung und somit einer großer Schaden für die Akzeptanz des Verkehrssystems Bahn – dem eigentlich besten und leistungsfähigsten Verkehrsmittel in Deutschland.  

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