Manch einer, der sich hier auf dem Blog schon umgeschaut hat, ist irgendwann auf den Begriff “ganzheitlich” gestoßen. Ich verwende dieses Wort gerne und häufig, da es in meinen Augen ein elementarer Faktor ist bei jeglicher Art von Behandlung, Therapie, Vorgehensweise. Um zu erkennen, wie man ein Problem beseitigen kann, müssen sämtliche Faktoren berücksichtigt werden, die damit in Zusammenhang stehen könnten. Das können dann durchaus auch Faktoren sein, welche man auf den ersten Blick überhaupt nicht in Zusammenhang mit der Problematik bringt.
Über meine Seite deinFuttercheck berate ich Hundehalter bei der Ernährungsgestaltung für ihre Hunde. Mindestens 50% dieser Beratungen basieren auf allergischen Erkrankungen der Kundenhunde. Allergien sind also auch bei Hunden ein sehr großes Thema, weshalb ich mich natürlich auch ausgiebig mit diesem Thema befasst habe, vor allem unter den Gesichtspunkten der Ganzheitlichkeit. So ist auch mein Ratgeber zur ganzheitlichen Allergiebehandlung entstanden.
Stress bei Hunden
Dass Stress Auslöser oder Verstärker von Erkrankungen sein kann, ist bei Menschen mittlerweile eine akzeptierte Tatsache. Dass jemand z.B. an einem “Burn-Out” erkrankt, weil er sich im Job völlig verausgabt, keine seltene Angelegenheit mehr. Aber dass auch Hunde mittlerweile sogar sehr häufig unter Stress leiden, hat sich in der Hundehalterwelt noch nicht so wirklich rumgesprochen. Auch die Faktoren, welche zu Stress beim Hund führen können, werden von den meisten wohl eher nicht so eingeschätzt.
Typischer Fall Balljunkie
Wer kennt ihn nicht, den klischeehaften Terrier, der zu jeder Tages- und Nachtzeit bereit ist, hinter einem Ball herzusprinten, dies mit scheinbar unermüdlichem Eifer. Schon der Anblick eines Balles lässt seine Augen glänzen vor aufgeregter (freudiger?) Erwartung, er gibt keine Ruhe, bis der Ball endlich geworfen wird und er rennen kann und rennen und rennen …
Was dabei im Körper des Hundes passiert, bleibt den Hundehaltern i. d. R. verborgen. Der Hund, der ein Suchtverhalten im Bezug auf den Ball entwickelt hat, steht quasi permanent unter Stress, was wiederum eine erhöhte Produktion der Hormone Adrenalin und Cortisol auslöst. Diese Hormone werden u. a. in der Nebenniere gebildet.
Typischer Fall Tierschutzhund
Tierschutz ist natürlich eine gute Sache. Gerade den Tierschutz im Bezug auf Auslandshunde sehe ich mittlerweile allerdings eher skeptisch. Nehmen wir mal den klassischen Fall, wie z.B. eine “Straßenhundrettung” abläuft.
Ein Hund hat die ersten Jahre seines Lebens selbstbestimmt auf der Straße verbracht. Abseits der weitverbreiteten Horrorszenarien heißt das für den Hund, er hat von Kindesbeinen an seinen Leben selber bestimmt. Er hat entschieden, wo er sich meist aufgehalten hat, wo er geschlafen hat, wie viel Gesellschaft er hatte, wie viel Lärm, Verkehr, Menschen er in seiner Nähe aushalten konnte.
Dann wird er gerettet und entscheidet von Stund an gar nichts mehr. Er wird in einen Käfig gesteckt, kann seinem Fluchtinstinkt nicht mehr folgen, wird verschiedenen medizinischen Behandlungen unterzogen und darf sich am Ende “glücklich schätzen”, in ein “besseres Leben” umzusiedeln. Häufig zum ersten Mal in seinem Leben muss er einen 10, 20 oder noch mehr Stunden andauernden Transport in Auto oder gar Flugzeug (lauter, kalter Frachtraum) über sich ergehen lassen.
Am Ende des Transports wartet ein ganz neues Leben auf ihn, eingesperrt in einer Wohnung, in die unmittelbare und unausweichliche Nähe “seiner Menschen” gezwungen, die glauben, er kann sich doch glücklich schätzen, endlich seine eigene Couch zu haben. Und die sich nicht selten wundern (vor allem die ohne Erfahrung), wieso der Hund so undankbar ist. Der Hund aber steht vom ersten Moment seiner Rettung an unter Stress. Sein Körper läuft ständig unter “Notfallprogramm”, er fühlt sich bedroht und schaltet ständig in den “Überlebensmodus”. Die Folge ist eine ständige erhöhte Produktion von Cortisol.
Typischer Fall “der Hund braucht Beschäftigung”
Irgendwann in den letzten Jahrzehnten hat sich der Stellenwert der Hunde zumindest in der “westliche Welt” maßgeblich verändert. Immer mehr Hunde erlangen den Stellenwert eines Partners, entsprechend soll es ihnen an nichts fehlen, sie sollen bestmöglich versorgt sein. Dazu gehört auch ihre “Beschäftigung”.
Früher hatten die meisten Hunde eine Aufgabe, wie z.B. die Jagdhunde oder die Hofhunde. Heute ist die einzige Aufgabe vieler Hunde, diesen Partnerstatus entsprechend auszufüllen und viele Hundehalter sorgen sich, dem Hund könne es langweilig werden. Das Ergebnis ist ein “schneller, weiter, höher” in den vielfältigen Möglichkeiten, den Hund vor Langeweile zu bewahren.
Schon von Kindesbeinen an möchte man alles richtig machen und der Hund wird von der Welpenstunde zum Agility, von dort zur Sozialisierungsstunde, dann zur Wellnessmassage und noch zum Sitz-Platz-Fuß-Kurs geschleppt. Anschließend zuhause noch eine Futtersuche und Leinentraining. Am Abend fällt er müde und erschöpft in sein Körbchen, um am nächsten Morgen die Augen aufzuschlagen und dann als erstes in das Bett seiner Mensch zu hüpfen, um zu fragen: “hey, ich bin wach, was steht an?”.
Auch dieser Hund ist irgendwann gestresst und zwar von seiner eigenen Erwartungshaltung. Die Folge – eine ständige erhöhte Produktion von Cortisol und auch Adrenalin.
Typischer Fall gestresster Hundehalter
Ja, unsere Hunde haben sowohl eine feine Nase, als auch ein feines Gespür für die Stimmung ihrer Menschen. Stress, dem wir selber permanent ausgesetzt sind, überträgt sich auch auf unseren vierbeinigen Lebensgefährten. Aber nicht nur das – i. d. R. hat der eigenen Stress für den Hund noch weitläufigere Folgen. Es kommt häufig zu unstrukturierten Lebensweisen für den Hund (mal schnell noch Gassi, den Hund “mal eben” in der HuTa parken, keine Zeit gemeinsam zu entspannen …) und sein Tagesablauf wird nicht zuletzt durch den Stress bestimmt, den sein Hundehalter erlebt. Das Ergebnis auch hier – u. a. wird die Produktion der Stresshormone (dauerhaft) erhöht.
Was macht Cortisol?
Cortisol ist ein Hormon, das in der Nebennierenrinde produziert wird. Es ist ein sogenanntes Stresshormon, das …
” … katabole (= abbauende) Stoffwechselvorgänge aktiviert und so dem Körper energiereiche Verbindungen zur Verfügung stellt. Seine dämpfende Wirkung auf das Immunsystem wird in der Medizin häufig genutzt, um überschießende Reaktionen zu unterdrücken und Entzündungen zu hemmen. ” (Quelle Wikipedia)
Allergische Erkrankungen werden aus genau diesen Gründen gerne mit Kortison behandelt, um die entzündlichen und überschießenden Reaktionen zu hemmen.
Nun denkt wahrscheinlich der ein oder andere: Ja und jetzt? Wo liegt jetzt das Problem?”. Man könnte ja nun daraus schließen, dass es gut ist, wenn die Produktion von Cortisol bei einer allergischen Erkrankung erhöht ist.
Aber – eine chronische Überproduktion von Cortisol im Organismus führt irgendwann dazu, dass die Nebennierenrinde, welche das Cortisol produziert, “schlapp macht”. Und dann wird plötzlich zu wenig Cortisol produziert. Und das wiederum nimmt dem Organismus eine wichtige Waffe gegen die allergische Reaktion.
Irgendwie basieren alle Reaktionen, die ein Organismus zeigen kann, auf logischen biologischen Vorgängen. Cortisol wird gebildet, um dem Organismus zu ermöglichen, auf Situationen zu reagieren, die mehr Aufmerksamkeit erfordern, als der normale Alltag. Das wären dann z.B. Situationen, die unmittelbar das Überleben gefährden, wie z.B. der Angriff eines Feindes. Es handelt sich um Ausnahmesituationen, die nicht so oft vorkommen sollten.
Das Organ Nebennierenrinde ist also so ausgelegt, dass es sich immer wieder von der Ausnahmesituation erholen können müsste. Bei Dauerstress kann es das aber nicht mehr. Deshalb kommt es zur sogenannten Hypoadrenia, der Nebennierenschwäche. Und diese hat zur Folge, dass das wichtige Hormon Cortisol nicht mehr ausreichend produziert wird, was sich u. a. auch bei allergischen Erkrankungen logischerweise sehr negativ auswirken kann.
Wie gemeinhin bekannt ist, kann sich eine Therapie mit dem Cortisol-Ersatz Cortison sehr negativ auswirken. Am schlimmsten dabei ist aber wahrscheinlich der Effekt auf die Nebennierenrinde – diese schlussfolgert nämlich, dass kein Cortisol mehr gebraucht wird und stellt die Produktion komplett ein.
In der Ruhe liegt die Kraft
… oder – weniger ist meist mehr. Und so sollte man sich z.B. bei der Gestaltung der Hundefreizeit immer mal wieder ehrlich fragen, wessen Bedürfnis man da gerade eigentlich erfüllen möchte. Das des Hundes oder vielleicht eher doch das eigene. Hunde haben von Natur aus ein weitaus höheres Ruhebedürfnis als wir Menschen, welchem sie aber häufig gar nicht mehr folgen können, dann müssen sie entsprechend angeleitet und Ruhephasen “verordnet” werden.
Tipp: Zu dem Thema Überbeschäftigung und deren Folgen auf die Entwicklung des Hundes gibt es ein tolles Buch von Michael Grewe, die “Hoffnung auf Freundschaft “, welches ich jedem Hundehalter (am besten noch vor der Anschaffung) wärmstens empfehlen kann.
Bei einem Hund aus dem ausländischen Tierschutz muss man immer davon ausgehen, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit eine völlig andere Lebensweise gewöhnt ist, als die eigene. Entsprechend muss man damit rechen, dass die Eingewöhnung für den Hund schwierig und teilweise vielleicht gar nicht zu bewältigen sein wird. Und ob man dem Hund wirklich einen Gefallen tut, ist da manchmal mehr als fraglich.
Tipp: Der Tierpfleger Stefan Kirchhoff hat das Buch Streuner!: Straßenhunde in Europa geschrieben. Er war 3 Monate lang mit seinem VW-Bus und seiner Kameraausrüstung über 8000 km weit in Süd- und Südosteuropa unterwegs, um das Leben der Straßenhunde zu dokumentieren. Dabei interessierte ihn vor allem, wie die Streuner jenseits reißerischer Negativ- und Mitleidsberichte tatsächlich leben, wie sie sich verhalten und sozial organisieren, wie sie Probleme lösen und Überlebensstrategien entwickeln. Dieses Buch kann die Sichtweise der “armen Straßenhunde” an der einen oder anderen Stelle deutlich relativieren.
Grundsätzlich sollte man (vor allem bei bestehenden Erkrankungen!) die Lebensweise des Hundes immer mal wieder einem Check unterziehen und schauen, ob man seinen Bedürfnissen auch wirklich Rechnung trägt. Stresssymptome, die der Hund zeigt, sollten niemals auf die leichte Schulter genommen werden.