Street View: Schutz durch Scheuklappen

Street View: Schutz durch ScheuklappenRoter Alarm in Berlin. Während die Kanzlerin unbeobachtet urlaubt, sehen sich die Deutschen dem größten Ausspähungsangriff seit Guillaume ausgesetzt: der US-Konzern Google is angetreten, alle bisher streng geheimen Fassaden aller deutschen Wohnblocks und Einfamilienhäuser im Internet abzubilden. Die Politik scheint ratlos, in mutigen Einzelaktionen versuchen einzelne Politiker, wenigstens die Intimsphäre der eigenen Vorgärten vor Spähern aus dem Ausland zu schützen, doch die große Linie fehlt, ein Verbot der Sammlung von Mauerstein und Gehwegplatten liegt in weiter Ferne.
Nun allerdings soll sich Kanzleramtschef Ronald Pofalla, ein ausgewiesener Net-Spezialist, um das Problem kümmern. "Es wird eine abgestimmte Haltung innerhalb der Bundesregierung geben", drohte ein Sprecher des Innenministeriums dem "Spiegel" an. Es könne nicht sein, dass etwa die Fassade des berühmten Schlosses Neuschwanstein seit Jahren in Echtzeit im Internet zur Schau gestellt werde. Schon in der kommenden Woche soll die Bundesregierung deshalb über die Forderung des Bundesrats beraten, Panoramaaufnahmen im Internet schärfer zu regulieren. Im Gespräch sind ein Widerspruchsrecht und eine Pflicht, Menschen, Autokennzeichen, Häuser, Straßen, Plätze und Pflanzen unkenntlich zu machen.
Den zuständigen Bundesministerien für Verbraucherschutz, Justiz und Inneres geht das aber offenbar nicht weit genug. Sie setzen auf eine deutschlandweite Lösung nach der Strategie der letzten erfolgreichen Grippeimpfungskampagne, mit der das Virus H1N1 im Winter hatte besiegt werden können. Dazu hat die Bundesregierung bei einem chinesischen Brillenhersteller, der nicht imVerdacht steht, parallel Streubomben herzustellen, 80 Millionen sogenannte Google Street-View-Schutzbrillen geordert, die ab kommenden Monat gegen eine Zuzahlung von 15 Euro an alle Deutschen ausgegeben werden.
Street View: Schutz durch ScheuklappenDie speziellen Augengläser, die in zwei Modellen angeboten werden, wirken auf den ersten Blick wie ganz normale Brillen, verfügen aber über einen raffinierten Klappmechanismus, der es Nutzern erlaubt, sich beim Auftauchen einer Google-Maps-Seite mit Street-View-Funktion mit einem einzigen Handgriff über die herunterklappbaren Scheuklappen wirksam vor den verheerenden Wirkungen der menschenverachtenden Technologie zu schützen. Ob die sogenannte Pixel-Brille Pflicht werden soll, stehe noch nicht fest, hieß es in Berlin. "Das ist eben rechtliches Neuland", verlautbarte aus Regierungskreisen.
Da man Google nicht am Bildersammeln in Deutschland hindern könne, sei es wichtig, Aktionismus vorzuleben, betonte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner, die seit Monaten in Angst vor den Straßenaufnahmen lebt. Auch Innenminister Thomas de Maizière will darauf achten, "wann Quantität in Qualität umschlägt und aus etwas Normalem, der Blick auf eine Häuserfassade mit Klingelschildern und Briefkästen, ein weltweit möglicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen werden kann". Peter Bleser, nach eigener Aussage verbraucherschutzpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, teilte dem "Handelsblatt" mit, er werde nach der Sommerpause eine generelle Regelung schaffen - nicht nur für Google, sondern für alle Dienste. "Wenn der Rechtsrahmen nicht ausreicht, müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Privatsphäre bei dieser Technologie gewahrt bleibt."
Die Pixelbrille sei eine gute Brückentechnologie, könne aber ein generelles Verbot nicht dauerhaft ersetzen, heißt es bei der Opposition. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hat für die Street-View-Schutzbrille nur einen hämischen Kommentar übrig: "Das ist putzig", sagte sie.
Künast, selbst früher Sozialarbeiterin in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel, wirft Schwarz-Gelb vor, zu wenig Klarheit geschaffen zu haben. Man könne durch die Brille ja kaum etwas sehen, das aber nur undeutlich. "Nur ein Gesetz schafft klare Regelungen über die Rechtsgrundlagen bezüglich Zustimmungserfordernis", ätzt sie Richtung Regierungsbank.


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