Stimmungsbild Jugend und Politik: gefährliches Unwissen und Desinteresse


1992 wurde „Politikverdrossenheit“ das Wort des Jahres, zwei Jahre später dann wanderte es in den Duden ein. Dort residiert es natürlich noch heute und das wohl leider zu recht.

Stimmungsbild Jugend und Politik: gefährliches Unwissen und Desinteresse

Jugend: Null Geschichtswissen? Null politisches Interesse?

Statistiken möchte ich keine Erheben. Viele Diagramme basieren auf: „Wir fragten 100 Leute …“-Umfragen und sollen dann die Gesamtheit der Bevölkerung in einer bestimmten Altersgruppe repräsentieren. Dies ist jedoch nicht mein Ziel, mein Artikel soll ein rein subjektives Stimmungsbild sein.

Für politropolis.de wollte ich ein Interview mit mehreren jungen Leuten im Alter von 18 bis 21 starten, doch jenes Unterfangen stellte sich als schwieriger heraus, als ich anfangs gedacht habe.
Sowohl im näheren Freundes- und Verwandtenkreis fand ich niemanden, der sich auch nur im geringsten für politische Belange interessierte. Geschweige denn, dass man darüber sprechen mochte. Auch im Arbeitsalltag zwischen Praktikanten und Auszubildenden stieß ich auf Ablehnung.

Dass etwas falsch läuft, teilten mir viele mit. Doch da niemand im Netz der Zerstreuung das, was der Anlass der Kritik war näher zu verbalisieren oder etwa konkret zu benennen, war Schlüsseziehen meinerseits unmöglich.

Auch Leute in meinem Alter (21-29) ließen sich nicht dazu überreden, Äußerungen politischer Art zu treffen oder Wertungen abzugeben.

Null Prozent.

Keiner der Befragten wollte zur Wahl gehen. Null Prozent Wähler oder 100% Nichtwähler und das noch nicht mal aus politischen Gründen, sondern aus reinem Desinteresse an der Sache. Ich glaube rausgehört zu haben, dass die Mehrzahl von ihnen noch nie gewählt hat. Wenigstens einer ließ sich finden. Er sagte, dass er seinen Wahlzettel ungültig mache. Immerhin eine Bemühung, dass er sich für Wahlgänge vom Sofa erhebt. Auf Frage, wieso er dies tut, sagte er: „Weil mir so keiner Vorwürfe machen, ich hätte diese oder jene Idioten untertützt, und ausserdem weil mich dieser Scheiß ohnehin nicht interessiert.“

Was jedoch ganz interessant ist, das beobachtete ich letztes Jahr. Zu jener Zeit befand ich mich in einer “berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme”, jeden Tag umgeben von Menschen zwischen 16 und 23 Jahren. Fester Unterricht war dort Teil des Programms und in diesem wurde auch Politik und Geschichte behandelt.

Null Geschichte.

Ein jüngeres Mädchen bat mich seinerzeit einer Prüfung wegen um Hilfe, somit versuchte ich ihr 2 Stunden lang alle prüfungsrelevanten Daten beizubringen. Von Hitlers Machtergreifung bis hin zum Ende des zweiten Weltkrieges, die Aufteilung in vier Besatzungszonen bis zu der Deutschen Vereinigung. Eine Woche später war das Chaos perfekt. Jene historischen Begebenheiten interessierten überhaupt nicht. Keine Relevanz für das eigene Leben oder die eigene Entwicklung. Da ich mich zuvor im Unterricht mit meiner Lehrkraft über George Orwells „1984“ unterhielt, schnappte sie diese Jahreszahl auf und erklärte es schriftlich als das Jahr des Kriegsendes, während 1945 die Wiedervereinigung war … wobei dann 1990 Deutschland erst in die erwähnten vier Besatzungszonen eingeteilt wurde. Derweil war Joseph Goebbels der erste Bundespräsident und aktuell regiert uns Joachim Gauck als Kanzler. Regierende Partei ist im Übrigen die „CSPD“! (Wichtiger Hinweis: Es handelt sich hier nicht um Satire!)

Mit der internationalen Geschichte und Politik sah es nicht anders aus. Mein Che-Guevara-Shirt zierte plötzlich „Chico Wara“ (Homophonie zum Rufnamen des Revolutionärs). Jener stammte irgendwo aus den USA und wurde irgendwann Präsident von Südamerika. Osama Bin Laden und Saddam Hussein verband eine enge Freundschaft und der eine war der Nachfolger vom Anderen.

Korrekturversuche dahingehend und Bemühungen meinerseits stießen auf Beratungsresistenz, da „dies alles eh egal ist“. Den Blick -explizit während der Unterrichtszeit- gebannt auf’s Handy fixiert.

Dafür wusste sie jedoch alle Finalisten und Finalistinnen des Casting-Komplotts eines Dieter Bohlen seit der ersten Staffel auswendig, konnte jede Zeile bestimmter Rapsongs zitieren und einen Song der Böhsen Onkelz an den ersten beiden von anderen Musikern geklauten Akkorde erkennen.

Nazis sind scheisse, weil das auf Aufklebern steht.

Im Sprachjargon jener Leute fand auch „Jude“ vermehrt seinen Einzug in Form einer Beleidigung bzw. verächtlichen Äußerung. Konfrontationen dahingehend stießen auf Verwirrung, da niemand der Mitschüler begreifen wollte, dass „Jude“ gewiss keine Beleidigung darstellt bzw. darstellen sollte. Juden wären ja nur Juden, das habe Hitler gesagt. Aber vom Neonationalsozialismus will niemand etwas wissen, geschweige denn damit zu tun haben. Nazis sind nämlich scheiße, weil das auf Aufklebern steht.

Bewirkt die Basisinformation der öffentlichen Haupt- und Realschulen derartiges Denken?  (Oder ist es die Art und Weise der [Nicht-] Wissensvermittlung?) Ich möchte nicht darüber nachdenken, was die Medienlandschaft im TV bei solch naiven Denkprozessen anrichtet.
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All jene Dinge sind Endergebnisse totalem eigenen (oder ererbten?) Desinteresses an der Politik und seiner Umwelt. Zur allgemeinen Zerstreuung dient das Handy als Gedanken-Auschtauschs-Plattform. Denn wenn man wirklich derartiges wie politisches wissen muss -wozu auch immer- so kann man es ja „googlen“ (ein Wort, welches 2004 in den Duden einkehrte und erheblich größere allgemeine Beachtung findet als die obengenannte „Politikverdrossenheit”).

Traurige Bilanz der Bildungsmaßnahme: Von anfangs über 30 Schülern der vermeintlichen Hauptschulabsolventen schafften es nur 11 Junge Menschen in die Abschlussprüfung. Von ihnen waren 3 Kandidaten für den erweiterten Hauptschulabschluss. (Was bedeutet, dass sie sich an die Fremdsprache Englisch herantrauten.)

Sicher keine objektive Bestandsaufnahme

Wie schon erwähnt ist dies hier gewiss keine objektive Bestandsaufnahme, die zur generalisierenden Be- oder Ver-urteilung der “Jugend” herangezogen werden darf. Dies ist bestimmt kein zu verallgemeinerndes Zeugnis eines kompletten Desinteresses an Aktuellem oder an vergangenen Geschehen.
Es ist (m)eine Aufzählung von Symptomen einer gesellschaftlichen Infektion, die sich nach meiner Meinung in der „Unterschichtjugend“ manifestiert:
Ein Virus namens Verdrossenheit.

Den “Erwachsenen” möchte ich etwas mitgeben.

Ich selbst als politisch und geschichtlich interessierter junger Mensch, der von sich ein gewisses Maß an Allgemeinbildung abverlangt, bin rückblickend noch immer schockiert der neun Monate in jener Bildungseinrichtung wegen. Auch möchte ich unmissverständlich niemanden diskreditieren, mich beim Schreiben über meine ehemaligen Mitschüler stellen oder sie verurteilen. Lediglich zum Nachdenken möchte ich anregen darüber, wo der Keim dieser Verdrossenheit und des Desinteresses schon aufgegangen ist – und was man selbst, gegebenenfalls als politisch interessierter Mutter oder Vater, seinen Kindern mitgeben könnte.
In der Jugend zeigt sich nach meiner Meinung das geistige Endprodukt der „erwachsenen“ Umwelt und dahingehend liegt eine hohe Mitverantwortung in eben jenen „Erwachsenen“.

Da braucht es keinen Thilo Sarazzin. Und Neu-Kölln ist nach wie vor nicht überall.

Ein Beitrag vom “stadtguerillero”


Die Jugend, ein unpolitischer Haufen? Darüber diskutierten Rapper Fard, Museumsleiter Frenz und Blogger Mössinger auf der Frankfurter Buchmesse in einer Ausgabe der Talkshow von “KLAPPSTUHL”.
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Quellen – weiterführende Links

Foto: “Amerikanischer Sektor” by Ich-und-Du, http://www.pixelio.de
Video: Jugend und Politik! – Mission Impossible? , youtube.com uploader: duhastdiemacht,
Weiterführende Info dazu: http://www.duhastdiemacht.de/


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