„Es gibt sie tatsächlich, typische Merkmale, die mordlüsterne Täter in der Mehrzahl der Fälle (65 Prozent und mehr) beschreiben, typisieren: männlich, jünger als 30 Jahre, deutscher Staatsangehöriger, durchschnittlich intelligent, mäßige schulische Leistungen, Hauptschulabschluß, beruflich gescheitert oder wenig erfolgreich, polizeibekannt oder vorbestraft.“ (S. 219) Mit diesen Worten charakterisiert Stephan Harbort den bundesdeutschen Typus desjenigen Mörders, der ausschließlich mordet um des Mordens willen.
Und er widerspricht damit auch indirekt der Biertisch-These, dass vor allem Ausländer kriminell seien. Zumindest bei diesem Tötungsdelikt „aus reiner Mordlust” führt die Kriminalstatistik ausschließlich (ethnische) deutsche Täter auf.
Autor Stephan Harbort ist Kriminalhauptkommissar und namhafter Experte für Serienmorde. Mit diesem, seinem zweiten Buch, will er eigenen Worten zufolge „erstmals aufklären und erklären”, was es mit dem „juristischen Konzept der Mordlust” auf sich hat, wenn die Tötung eines Menschen selbst der Zweck der Tat ist. Harbort will vor allem zwei Fragen beantworten: „Was sind das für Menschen, die Freude empfinden können, wenn sie ein Opfer niedermetzeln? – Unter welchen Voraussetzungen und wie passieren solche Taten?” (S. 15)
Wenn er auf Grundlage der Kriminalstatistik ein recht allgemeines Täterprofil skizziert (siehe oben), so relativiert er es gleich wieder mit diesen Worten: „Nur muß bezweifelt werden, ob die genannten Merkmale und die Mordlust der Merkmalsträger kausal miteinander verbunden sind. Denn die allermeisten Menschen mit einer sehr ähnlichen Vita haben nicht das Bedürfnis, seinesgleichen niederzumachen.” (S. 219) „Seinesgleichen” – das leitet über zur Typisierung der Mordopfer beim „Morden aus reiner Mordlust”: “Das typische Opfer ist männlich, jünger als 30 Jahre, stammt aus derselben sozialen Schicht wie der Täter und kennt seinen Mörder. Allerdings besteht kein persönliches oder intimes Verhältnis” zwischen Täter und Opfer. (S. 225)
Für sein Sachbuch hat er acht authentische und besonders grausame Kriminalfälle ausgewählt; Namen und Orte wurden allerdings verfremdet. Der Autor hat hierfür nicht nur die Ermittlungsakten studiert – und zitiert aus den Verhörprotokollen. Ergänzend zu diesen Täteraussagen hat er selbst, z.T. Jahre nach den Morden, selbst eingehende Interviews mit den inhaftierten Tätern geführt. Letzteres, um Einblicke in die jeweiligen, und jedes Mal anders gearteten, psychologischen Hintergründe für deren Taten zu gewinnen.
Ein Tatmotiv gibt Harbort so wieder: „Er will die Frau nicht vergewaltigen, nicht mißbrauchen, auch nicht quälen – einfach nur töten, auslöschen, beobachten, wie sie stirbt.” (S. 52) Und dieses steht nicht im Widerspruch zu anderen Taten, bei denen es zugleich auch um zeitlich langes qualvolles Sterben geht, mit z.B. 278 einem Manne zugefügten Messerstichen… Zu einem anderen Fall merkt Harbort an: „In den vergangenen 40 Jahren gab es in Deutschland genau 51 Leichenzergliederer…” (S. 148)
Der Autor schont seine Leser keinesfalls, auch wenn er die Tathergänge und die Tatorte sowie die Arbeit der Gerichtsmediziner beschreibt. Selbst diese absolut sachlichen Texte lassen einem oftmals das Blut in den Adern gefrieren. Doch, wenn „man sich dem Phänomen der Mordlust tatsächlich nähern” will, dann „muß man auch bereit sein, das Leid anderer Menschen zu teilen, unmenschliche Gewalt zu ertragen.” (S. 15)
Und Stephan Harbort geht auch auf die Medien ein, egal ob Kino, Fernsehen oder Internet, und die dort einschlägigen Horror- (Splatter-)Filme bzw. Computer- und Videospiele, die sogenannten Ego-Shooter („Massenmord per Mausklick”). Doch für ihn ist die Gleichung „Medien machen Mörder” zu simpel. Ebenso wie er verneint, daß die Medien die Ursachen für solch gräßliche Mordtaten sind. Bezugnehmend auf einen der beiden Fälle, in denen der jeweilige Täter seinen normalen Kick aus solchen Filmen bzw. Spielen bezog, schreibt er: „Roman Stadler hat nicht gemordet, weil er diesen Film gesehen hat. (…) Roman Stadler ist also nicht zum Mörder geworden, weil, sondern vielmehr als er diesen Film gesehen hat.” (S. 120-121)
Den acht ausführlich beschriebenen Fällen hat Harbort eine umfängliche Synopse „Tötungsdelikte aus Mordlust – Bundesrepublik Deutschland 1970 – 2012″ angefügt. Eine lange Liste weiterführender Literatur beschließt dieses unter die Haut gehende Sachbuch.
Siegfried R. Krebs
Stephan Harbort: Aus reiner Mordlust. Der Serienmordexperte über Thrill-Killer. 248 S. Paperback. Knaur Taschenbuch-Verlag. München 2013. 8,99 Euro. ISBN 978-3-426-78616-1[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]